Hattingen. Bernd Irle ist Hausarzt in Hattingen. An Entwicklungen im Gesundheitswesen übt er harsche Kritik, u.a. an der elektronischen Patienten-Akte.

Mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt Hausarzt Dr. Bernd Irle eine seinen Patienten mitbehandelnde Kollegin am anderen Ende der Leitung. Und bespricht mit dieser dann ausführlich dessen weitere Behandlung. Was er als Hausarzt diesem künftig für Medikamente geben will, welche der Mann bislang genommen hat, die Diagnoseliste seiner Erkrankungen: All‘ das, kritisiert der Hattinger, solle künftig in der elektronischen Patienten-Akte (ePA) einsehbar sein. Deren Einführung auf breiter Front ist dabei nicht die einzige Entwicklung im Gesundheitswesen, die Irle missfällt.

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Im Januar 2025 beginnt der Roll-out der zentralen elektronischen Patienten-Akte für rund 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland. Den „Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten zwischen allen behandelnden Leistungserbringern verbessern und so gezielt die Versorgung der Patientinnen und Patienten unterstützen“ werde die ePa, heißt es seitens des Bundesgesundheitsministeriums.

Digitalisierung der Patienten-Akte treibt Hattinger um

Bernd Irle ist seit inzwischen 27 Jahren Hausarzt in Niederwenigern. Er hat viel erlebt in all‘ den Jahren, auch etliche Reformen im Gesundheitswesen. Die Digitalisierung der Patienten-.Akte indes treibt ihn um. Der 65-Jährige befürchtet insbesondere, dass diese unberechtigte Zugriffe auf sensible Informationen über Patientinnen und Patienten zur Folge hat. Mit im schlimmsten Fall schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen.

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„Für mich“, sagt Bernd Irle, „geht die Befüllung der elektronischen Patienten-Akte mit einer Verletzung meiner ärztlichen Schweigepflicht einher.“ Er wolle sich daher von jedem Patienten eine Entbindung von eben jener Schweigepflicht unterschreiben lassen, ehe er die ePa befülle. Und seine Patienten darüber informieren, dass sie, wenn sie keine persönliche elektronische Kranken-Akte wollen, deren Anlegung schriftlich bei ihrer Krankenkasse widersprechen müssen (Opt-Out-Regelung).

Videosprechstunden findet der Hausarzt schwierig

Aber auch anderes im Gesundheitswesen sieht Bernd Irle kritisch. Videosprechstunden etwa findet er schwierig. Und bietet diese, nachdem er eine Zeitlang lang damit ganz persönliche Erfahrungen gesammelt hat, inzwischen nicht mehr an. „Für die ganzheitliche Erfassung des Befindens eines Menschen“, findet der Mediziner, „muss ich diesen zum einen live erleben und zum anderen auch ärztlich untersuchen können.“

Er selbst tue dies immer noch mit großer Leidenschaft, auch wenn die Ökonomisierung der Medizin mitunter schon frustrierend sei. „Menschen individuell nach ihren ganz persönlichen Bedürfnissen bestmöglich zu behandeln, ist schwieriger geworden.“

Irle: Finanzielle Lage für Hausarztpraxen nicht rosig

Und auch die finanzielle Lage für die meisten Hausarztpraxen sei alles andere als rosig. Und ob die versprochene „Entbudgetierung“ nach dem Aus der Ampel-Regierung nun noch kommt? „Wir Hausärzte“, so Bernd Irle, sollen laut Gesundheitsminister Lauterbach ja endlich vollständig dafür bezahlt werden, was wir tun. Und nicht - wie jetzt - Behandlungen, die unser Budget überschreiten, aber für unsere Patienten wichtig sind, umsonst leisten müssen.“

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Die meisten medizinischen Nachwuchskräfte, von denen es fürs gesamte Gesundheitssystem ohnehin viel zu wenig gebe, so Dr. Irle, „wollen eine Hausarztpraxis selbst gar nicht mehr führen“. Zumal sie nicht nur die Verdienstmöglichkeiten, sondern auch überbordende Bürokratie abschreckten: Qualitätsmanagement, verschärfte Datenschutzvorgaben, Codierung von Diagnosen und Regresse (Strafzahlungen).

„Wenn Nachwuchskräfte oder auch Quereinsteiger aus Krankenhäusern überhaupt als Allgemeinmediziner arbeiten wollen, dann fast ausschließlich im Angestellten-Verhältnis. Und am liebsten auch noch in Teilzeit.“ Für die hausärztliche Versorgung - auch in Hattingen - werde das „zunehmend problematischer“.

Vollzeit-Manager einer Praxis

Nicht zuletzt deshalb will Bernd Irle selbst weitermachen so lange es eben geht - als Vollzeit-Manager einer Praxis mit zurzeit zwei angestellten Hausärzten und einem Allgemeinmediziner in Ausbildung. „Man muss heute“, sagt er, „noch viel mehr als früher Leidenschaft haben als Hausarzt mit eigener Praxis.“ Doch auch wenn der 65-Jährige diese hat: Er wünscht sich von Tag zu Tag mehr, „in einem anderen System zu arbeiten“.