Hattingen. In Hattingen werden Häuser neu verpackt, um Klimaziele zu erreichen und Bauzeiten zu verkürzen. Die Pilotprojekte der HWG gefallen nicht jedem.
Für alle, die sich für modernes Bauen interessieren, gibt es in Hattingen gerade etwas zu gucken: Fassadenteile schweben in der Luft! Die HWG saniert erstmals mehrere Häuserzeilen mit Fertigteilen. Die Mieter bleiben dabei die ganze Zeit über in ihren Wohnungen wohnen. Nicht jeder ist aber von dem Pilotprojekt begeistert.
Trotz Dauerregen zieht die Baustelle an der Goethestraße, direkt hinter der Bruchfeldschule in der Südstadt, allerlei Schaulustige an. Sie gucken und filmen, denn der Anblick ist spektakulär: Ein Kran hebt komplette Fassadenteile vom Lkw und schiebt die Wand - in der Fenster, Rollläden und Türen schon eingebaut sind - millimetergenau zwischen Gerüst und bestehende Fassade. Rainer Heemsoth, Technischer Leiter der Firma B&O, schaut besorgt zu: Der starke Wind erschwert die Arbeiten.
Idee zur Sanierung mit vorproduzierten Fassadenteilen stammt aus den Niederlanden
Sehr oft wurde diese „serielle Sanierung“ noch nicht getestet. „Meines Wissens erst dreimal in NRW“, sagt Rainer Heemsoth. Die HWG lässt das Verfahren an zwei Standorten durchführen: an 30 Wohnungen in der Goethestraße mit der Firma B&O Bau GmbH und an 24 Wohnungen im Karl-Roth-Weg mit dem Berliner Start-Up ecoworks. Auch LEG und Vonovia (aktuell in Witten-Heven) testen ähnliche Konzepte. Die Idee zur Sanierung mit vorproduzierten Fassadenteilen stammt aus den Niederlanden. „Energiesprong“ heißt es da.
Vor Start der Baustellen gab es aufwendige Vermessungsarbeiten. Mittels 3D-Scan wurde ein „digitaler Gebäudezwilling“ angefertigt. Auf seiner Grundlage wurden die Bauelemente passgenau angefertigt. Nun werden sie mit Haken an das Gebäude montiert. Binnen zwei Arbeitstagen soll so je ein kompletter Wohnblock neu verkleidet werden. Erst danach werden von innen die alten Fenster ausgebaut.
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Das Konzept könnte eine Antwort sein auf ein Dilemma, vor dem viele Wohnungsgenossenschaften gerade stehen. Nach dem Gesetz sind sie verpflichtet, ihren Bestand bis 2045 energetisch zu sanieren. „Mit konventionellen Mitteln können wir die Energiewende nicht schaffen“, sagt David Wilde, Chef der HWG. Bisher wurden die Häuserzeilen in der Südstadt ganz klassisch saniert: Die Mieter mussten zeitweise ausziehen, dann kamen die Handwerker und es wurde gedämmt, Dächer gedeckt, Fenster, Heizungen, Elektrik erneuert.
Technik ist teurer als die klassische Sanierung
Der Aufwand ist beim seriellen Sanieren deutlich geringer. Durch die Vorfertigung der Elemente kann die Maßnahme schnell und effizient durchgeführt werden. Noch sei diese Technik teurer als die klassische Sanierung - aber es würde sich bei größerer Auftragszahl lohnen, sagt David Wilde. Wenn die beiden Pilotprojekte gut laufen, „wäre es unser Ziel, innerhalb eines Jahres den alten Bestand modernisieren zu lassen.“
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Die Gebäude in der Südstadt haben aktuell den niedrigsten energetischen Standard. Nach der Sanierung sollen sie klimaneutral sein. „Durch eine gute Außendämmung und die Integration von Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen werden die modernisierten Gebäude im Jahresdurchschnitt genauso viel Energie erzeugen, wie sie verbrauchen“, schreibt die HWG in einer Mitteilung. Weil die Gebäude mit Fördergeldern modernisiert würden, „bleibt die Miete nach der Sanierung bezahlbar“.
Mieter klagen über nasse Wohnungen und Schimmel
Ob das, was so gut klingt, auch gut wird? Einige der Mieter an der Goethestraße sind sichtbar genervt von der nun sieben Monate dauernden Baustelle. Größter Kritikpunkt ist das fehlende Dach: Seit acht Wochen gebe es nur Balken mit Folie, es regne hinein, berichtet ein älterer Herr. „Es tropft. Wir haben alle nasse Wohnungen und Schimmel“, sagt er. Noch vor dem Sommer seien die Balkone abgerissen worden, die geringe Mietminderung tröste über diesen Verlust nicht. Lärm und Dreck seien weit mehr, „als man uns vorher erzählt hat“, sagt ein anderer. „Die Kommunikation ist ein Riesen-Problem.“ Schon vor Start der Arbeiten gab es Ärger um Baumfällungen. Das Sanieren am „lebenden Objekt“ scheint auch Schattenseiten zu haben.
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