Hattingen. Seit knapp einem Jahr wütet die Corona-Pandemie in Hattingen und den anderen EN-Städten. Das sagen die beiden Leiter des Krisenstabs im EN-Kreis.
Das Impfzentrum des EN-Kreises hat am Montag trotz des Winterwetters seinen Betrieb aufgenommen – auch die über 80-Jährigen aus Hattingen müssen sich für die Corona-Schutzimpfung auf den Weg nach Ennepetal machen. Astrid Hinterthür und Michael Schäfer leiten gemeinsam den Krisenstab des Ennepe-Ruhr-Kreises – sie haben mit Redakteur Andreas Gruber über ihre Arbeit und darüber gesprochen, was im Verlauf der Pandemie gut und was schlecht lief.
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Ende Februar 2020 wurde der Krisenstab des EN-Kreises in Alarmbereitschaft versetzt, am 10. März vermeldete das Kreishaus den ersten positiven Corona-Fall im Ennepe-Ruhr-Kreis. Welche Gedanken begleiteten sie durch diese Tage?
Michael Schäfer: Corona kam ja nicht von heute auf morgen. Seit Anfang Februar gab es auch in Nordrhein-Westfalen erste Verdachtsfälle. Wir behielten die Lage ständig im Blick. Ich kann mich noch daran erinnern: Am 28. Februar hatten wir morgens mit den Städten zusammengesessen und verschiedene Szenarien durchgesprochen: Was wäre wenn... Gegen Mittag hatten wir beim Kreis das Gefühl, dass wir mehr tun müssen. Um 16 Uhr am selben Tag hatten wir dann über die Bezirksregierung das Land informiert, dass wir hier bei uns einen Krisenstab einrichten.
Was ging Ihnen dabei persönlich durch den Kopf?
Michael Schäfer: Emotionen sind immer da. Aber wir sind das beim Kreis gewohnt, in solchen Situationen professionell vorzugehen. Im Krisenstab muss man distanziert an die Sachen rangehen. Wir treffen uns jeden Tag um 8.30 Uhr, um auf einer sachlichen Grundlage Entscheidungen zu treffen. In den ersten Monaten tagte der Krisenstab auch an den Wochenenden.
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Was ist seitdem aus Ihrer Sicht gut gelaufen und was schlecht?
Astrid Hinterthür: Richtig gut gelaufen, das ganze Jahr über, ist die Zusammenarbeit in der Kreisverwaltung. Die Beteiligten sind seit mehr als einem Jahr quasi im Dauereinsatz. Ihr Engagement und ihre Leistungen sind unglaublich und gehen weit über das hinaus, was erwartet werden darf. Im Krisenstab sind wir zwölf, 13 Personen, vertreten sind Gesundheitsamt, Katastrophenschutz, Polizei, Rettungsdienst, der Bereich Schulen und Soziales, die IT und unsere Pressestelle. Gute Beispiele dafür sind, dass wir zu Beginn schnell stationäre Diagnostikteams aufstellen konnten oder jetzt zuletzt, wie wir das Impfzentrum innerhalb von nur drei Wochen aus dem Boden gestampft haben.
Was ist denn schlecht gelaufen?
Astrid Hinterthür: Dass das Land bis heute keinen Krisenstab eingerichtet hat, so wie die Kommunen. Das hat dazu geführt, dass die Ministerien im Kampf gegen die Pandemie nicht so koordiniert sind, wie sie es sein müssten. Es gab teilweise widersprüchliche Ansagen aus den Ministerien. Oder es gab neue Vorgaben, die ab Montag der kommenden Woche galten, über die das Ministerium aber erst am Freitagabend davor informierte. Sowas macht es schwierig für uns, die Dinge dann passgenau umzusetzen.
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Bund und Land diktieren Vorgaben, die Gesundheitsämter vor Ort haben sie umzusetzen. Ist diese Aufgabenverteilung das richtige Vorgehen zur Eindämmung?
Michael Schäfer: Grundsätzlich ist diese Aufgabenteilung und sind einheitliche Regelungen, die fürs ganze Land gelten, erst mal gut. Das ist dann auch für die Menschen einfacher, die Vorgaben umzusetzen. Wie das aber von unserer Landesregierung umgesetzt wurde, darüber kann man anderer Meinung sein. Es gab so viele Verordnungen, ob Betreuungsverordnung oder Einreiseverordnung, die wurden teilweise innerhalb von einer Woche wieder erneuert. Da weiß man am Ende gar nicht mehr genau, was aktuell noch gilt. Ein anderes Beispiel: Wir wollten im Herbst die Maskenpflicht für unsere Grundschulen. Das hätte die Rückverfolgung bei den Infektionsfällen deutlich einfacher gemacht. Das Land hatte uns damals die lange Nase gezeigt. Kurz vor Weihnachten wurde dann aber das Maskentragen in Grundschulen angeordnet. Wenn wir vor Ort eingreifen möchten, weil wir es für richtig halten, ist das aktuell schwierig, weil das Land nicht sehr flexibel ist.
Apropos Rückverfolgung. Der Inzidenzwert von 50 gilt ja als Maßstab, was ein Gesundheitsamt bei der Rückverfolgung noch schaffen kann und was nicht. Warum hat der EN-Kreis keine Bundeswehrkräfte angefordert, die die Rückverfolgung unterstützen?
Astrid Hinterthür: Gut, dass Sie das ansprechen. Die 50 ist ein von der Politik im vergangenen Frühjahr willkürlich gesetzter Wert. Dass bei mehr als 50 eine Rückverfolgung der Infektionskette nicht mehr möglich sei, ist für das Gesundheitsamt des EN-Kreises eine Mär. Wir sind personell so aufgestellt, dass wir eine Rückverfolgung bis zu einem Inzidenzwert von 150 schaffen. Wir haben für ein Jahr 40 externe Kontaktverfolger eingestellt, dazu 70 Kräfte aus der Kreisverwaltung sowie das gesamte Gesundheitsamt zur Verfügung. Daher brauchen wir auch keine Bundeswehr-Kräfte, die eh nur drei, vier Wochen hier im Einsatz wären.
Was halten Sie von Bundeswehr-Einsätzen zur Unterstützung bei den Schnelltests in Pflegeheimen?
Michael Schäfer: Das ist grundsätzlich eine gute Sache, wenn sie gebraucht werden. Wir haben vor zwei Wochen alle Heime abgefragt, weil die Anforderung der Bundeswehr über die Kreisverwaltung laufen muss. Das Ergebnis war, dass kein Heim die Unterstützung wollte. Die Einrichtungen haben inzwischen alle personell nachgerüstet, nachdem vor Weihnachten beschlossen wurde, dass die Kosten dafür übernommen werden.
Pannen bei der Impftermin-Vergabe haben Zweifel an den Behörden und Institutionen aufkommen lassen. Die Kreisbehörde gerät so automatisch mit in die Kritik. Wie reagieren sie darauf?
Michael Schäfer: Für mich war klar, dass das nicht problemlos starten würde. Allein schon wegen des komplizierten Vergabeverfahrens auf der Online-Plattform. Es war auch klar, dass der Kreis mit in den Fokus der Kritik geraten würde. Für viele Menschen ist es halt schwer, da zu unterscheiden. Aber die Kritik ist unberechtigt. Diese Aufgabe ist an die Kassenärztliche Vereinigung beauftragt.
Astrid Hinterthür: Meine Sekretärin war nur damit beschäftigt, Menschen zu trösten oder wieder aufzubauen, die keinen Impftermin bekommen hatten. Die Leute waren teilweise echt verzweifelt. Das hat sich zum Glück jetzt wieder gelegt.
Was halten Sie eigentlich von der Corona-Ampel für Kindergärten?
Das sind Astrid Hinterthür und Michael Schäfer
Astrid Hinterthür ist 59 Jahre alt, lebt in Mettmann und wurde 2015 Fachbereichsleiterin Soziales und Gesundheit beim Ennepe-Ruhr-Kreis.Vorher war sie 30 Jahre lang bei der Stadt Mettmann in unterschiedlichen Funktionen tätig, zuletzt als Dezernentin für Bildung, Jugend und Soziales.Michael Schäfer ist 61 Jahre alt, verheiratet, Vater zweier Kinder und wohnt in Hattingen. Nach dem Jurastudium in Bochum ist er seit dem 1. September 1990 bei der Kreisverwaltung beschäftigt. Seit dem 1. April 2005 arbeitet er als Ordnungsdezernent (Fachbereich Ordnung und Straßenverkehr).
Astrid Hinterthür: Ich habe von dem Vorschlag gehört, weiß ehrlich gesagt aber nicht, was genau damit gemeint ist. Wir haben bei uns im Kreis die Erfahrung gemacht, dass ein positiv auf Corona getestetes Kind selten zu einem Ausbruch in einem Kindergarten geführt hat. Es musste in Quarantäne und das war es. Gruppen- oder Einrichtungsschließungen gab es in der Regel, wenn Erzieher positiv waren. Erwachsene geben das Virus schneller weiter als Kinder mit ihren kleinen Lungen, deren Aerosole sich nicht so weit im Raum verteilen. Aus meiner Sicht müssen Erzieher daher schneller geimpft werden, als bisher geplant. Auch schneller als Lehrer, finde ich. Ich bin jedenfalls kein Freund davon, Kitas zu schließen.
Wie geht es ihrer Meinung nach weiter in der Bekämpfung der Corona-Pandemie? Worauf müssen wir uns in Zukunft einstellen?
Michael Schäfer: Wir werden uns mit Sicherheit noch eine ganze Zeit lang mit dem Thema beschäftigen müssen. Es stellen sich ja noch viele Fragen, die wissenschaftlich bisher nicht geklärt sind. Beispielsweise die, ob geimpfte Menschen den Virus weiter verbreiten können. Und dann gibt es noch die Mutationen. Ein ganz brisantes Thema. Wir werden mit Sicherheit noch lange Regeln einhalten müssen, die unser Leben beschränken.
Astrid Hinterthür: Ich hoffe, dass die Lage durch das Impfen deutlich besser wird. Dass wir die Pandemie beenden können, davon gehe ich in den nächsten Monaten nicht aus. Ich hatte mal im vergangenen Herbst gesagt, dass wir nicht vor Ende 2021 mit einem Ende der Krise rechnen sollten. Wir sind auf einen Marathon eingestellt.
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