Sprockhövel / Hattingen. Zum Impfstart: Interview mit Dr. Willi Martmöller und Dr. Lasse Schäfers, die eine Gemeinschaftspraxis in Hattingen und Sprockhövel führen.
Am Montag (8. Februar) starten die Impfungen in den Impfzentren. Doch nicht alles lief im Vorfeld reibungslos. Dr. Willi Martmöller und Dr. Lasse Schäfers, die eine überörtliche Gemeinschaftspraxis in Bochum, Hattingen und Sprockhövel führen, beschreiben im Interview, wie sie auf die bevorstehenden Impfungen blicken und welche Herausforderungen Hausärzte in der Pandemie bewältigen müssen und könnten.
Jetzt geht es mit den Impfungen in den Impfzentren los – wie ist die Stimmung in den Praxen, unter ihren Patienten?
Schäfers: Die Patienten wollen gerne geimpft werden. Die Impfbereitschaft empfinden wir als sehr hoch. Wir haben alle mitbekommen, dass nur die einen Impftermin machen konnten, die auch eingeladen wurden per Brief. Und darauf warten jetzt alle.
Zuletzt gab es viel Kritik an der ganzen Impfkampagne. Die Terminvergabe lief überhaupt nicht gut und es gibt erstmal weniger Impfstoff als gedacht. Was raten Sie ihren Patienten jetzt?
Martmöller: Im Grunde raten wir Ihnen, zu versuchen, gelassen zu bleiben. Denn es lohnt sich nicht, sich zu erregen, wenn kein Impfstoff da ist. Wir haben jetzt eine merkwürdige Situation: Erst hat es geheißen, es sollen die Hochbetagten geimpft werden. Dann stellen wir fest, ein Impfstoff (von der Firma Astra Zeneca) ist geeignet für Leute bis 64. Das heißt, die ganze Planung ist jetzt außerordentlich kompliziert, denn die, die vorgezogen werden sollten, kommen wenn Astra Zeneca geliefert wird nicht infrage.
Gerade diese Einschränkung, dass ein Impfstoff für Menschen ab 65 nicht empfohlen wird, führt das in dieser Generation zu Verunsicherung?
Martmöller: Ja natürlich, da ist einerseits Verunsicherung. Das andere ist aber auch, dass auch Patienten, die unter 65 sind, sagen: „Ich hätte lieber den anderen Impfstoff.“ Denn da wird ja mit Prozentzahlen gearbeitet. Und die belegen einem Impfstoff von Astra Zeneca eine Wirksamkeit von etwa 70 Prozent, und bei den anderen werden über 90 Prozent angegeben. Da müsste man sich mal fragen, ob es sinnvoll ist, das so in die Bevölkerung zu tragen. Wir haben auch Grippeimpfstoffe immer verimpft, da haben wir niemals 90 Prozent-Bereiche erreicht. Das ist nur der Bevölkerung so nicht klar geworden.
Warum ist denn ein Impfstoff mit einer Wirksamkeit von 70 Prozent noch gut und sinnvoll?
Martmöller: Geimpft werden heißt ja nicht automatisch, dass man auch erfolgreich immunisiert wurde. Das ist eine Fantasievorstellung. Aber je mehr geimpft werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gesellschaft sich schützt.
Schäfers: Bei Impfungen geht es natürlich auch immer um den individuellen Patienten, aber diese großangelegten Impfaktionen sind eine gesamtgesellschaftliche, statistisch berechnete Aufgabe. Pocken, zum Beispiel, wurden durch Impfungen ausgerottet.
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Noch einmal zu den Impfzentren. Was halten sie von diesem Konzept?
Schäfers: Unsere Patienten, die jetzt in der Kategorie 1 sind – über 80, häufig multipel erkrankt, oft auch schlecht zu Fuß – stehen jetzt vor dem Problem: Wie komm ich jetzt zum Impfzentrum, wenn ich denn mal einen Termin bekomme. Viele sind mit der logistischen Herausforderung überfordert.
Martmöller: Die meisten Patienten sind nicht so hochmobil, sie können nicht mal eben ins Internet schauen, mal eben reagieren und sie können auch nicht mal eben nach Ennepetal. Das alles geht nicht „mal eben“. Wir werden auch Wartezeiten haben an diesen Impfzentren, da wird nicht alles reibungslos funktionieren.
In Mecklenburg-Vorpommern läuft ein Pilotprojekt, in dem auch Hausarztpraxen impfen. Würden Sie sich das für NRW auch wünschen?
Martmöller: Ja auf jeden Fall. Was wir umsetzen könnten, wäre Moderna – da geht es ja um -20 Grad, sowas könnte man ja mit ausreichendem Vorlauf machen. Astra Zeneca könnten wir sogar problemlos umsetzen. Auch Sputnik V, der russische Impfstoff, ist ein Vektorimpfstoff, also unempfindlich.
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Waren die Impfzentren also von vornherein eine schlechte Idee?
Schäfers: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Wenn man optimistisch gedacht hat: Wir bekommen viel Impfstoff und wir wollen in kurzer Zeit ganz viele priorisierte Menschen impfen und dabei die ambulante hausärztliche Versorgung nicht lahmlegen, dann ist das eine Entscheidung, die man so treffen konnte. Im Nachhinein sehen wir aber: Der Impfstoff war nicht da. Und mit den Impfstoffmengen, mit denen bisher gearbeitet worden ist, hätten wir das in den Praxen machen können. Es wäre eine andere Herangehensweise gewesen, aber im Nachhinein wäre es wahrscheinlich günstiger gewesen, weil der ganze Aufwand nicht hätte getrieben werden müssen. Das, was in Mecklenburg-Vorpommern läuft, könnten wir in unseren Praxisstrukturen auch leisten.
Abgesehen von der Logistik gibt es ja auch inhaltlich immer wieder neues in der Pandemie, was meist auch sofort durch die Medien geht. Wie gehen Sie bei der Beratung ihrer Patienten damit um?
Martmöller: Die Patienten hoffen ja, dass wenn Sie zu ihrem Arzt gehen: „Sie wissen doch bestimmt ein bisschen mehr als ich.“ – Nein. Das ist die fatale Situation jetzt. Wir erfahren das, was wir wissen zwar auch durch eine Fachpresse. Aber wir erfahren nichts besser und schneller als Journalisten, die sich mit diesen Themen befassen. Und wir haben eine schlechte Datenlage, von der wir keine gesicherten Erkenntnisse ableiten können. Das ist eine katastrophale Situation, weil Fragen gestellt werden, die wir beim besten Wissen und Wollen nicht beantworten können.
Wir müsste es aus ihrer Perspektive als Hausärzte jetzt idealerweise weitergehen?
Martmöller: Na das Erste ist, wir brauchen genug Impfstoff.
Schäfers: Davon hängt alles ab! Wir würden uns wünschen, dass wir jetzt zügig einen Impfstoff bekommen, den wir über die Hausarztpraxen verimpfen können.
Wir sprechen fast nur noch über das Impfen. Wie wirkt sich das auf das allgemeine Gesundheitsverhalten ihrer Patienten aus?
Martmöller: Wir stellen fest, dass bei unseren Hausarztpatienten wieder eine Zurückhaltung entstanden ist: „Ne ich geh mal lieber jetzt nicht, ist doch alles wieder gefährlich.“ Aber trotz dieser ganzen Impfsache sollen die Menschen bitte auch weiter zum Hausarzt gehen, zur Vorsorge und mit ihren normalen Krankheitsbildern, von Diabetes bis zur Herzerkrankung.
Schäfers: Die Verunsicherung ist groß. Wir sehen, dass ältere und chronisch kranke Patienten einfach nicht mehr in die Praxis kommen, dass unsere Behandlungszahlen zurück gehen und dass gezögert wird. Und häufig werden wir erst kontaktiert, wenn das Kind schon im Brunnen liegt. Die Leute sterben nicht nur an Corona, sondern auch wegen.
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