Hattingen/Sprockhövel. Christopher Böhmer war erst 22, als er Pfingsten 2020 starb. Sein Vater gewährt Einblicke, wie er mit dem tragischen Unfalltod des Sohnes lebt.
Es war ein glücklicher Tag, der 30. Mai 2019, an dem Ludger Böhmer mit seinem Sohn eine Radtour unternahm. Beiden habe dieser Ausflug am Vatertag sehr viel Freude gemacht, sagt der Vater. Ein Foto, das er während einer Picknickpause auf dem Truppenübungsplatz in Haltern am See von Christopher gemacht hat, bestätigt das. Dass Ludger Böhmer damit einen jener besonderen Vater-Sohn-Momente festgehalten hat, von denen es schon bald keine mehr geben würde, ahnte der 58-Jährige damals noch nicht. Doch auf den Tag genau ein Jahr nach dieser Radtour war Christopher tot. Gestorben mit nur 22 Jahren an den Folgen eines tragischen Unfalls.
Bei einer Motorrad-Spritztour verunglückt
Am Esszimmertisch seines Hauses erinnert sich Ludger Böhmer zum Ende des Jahres 2021 wieder einmal daran, wie in jener Pfingstnacht 2020 plötzlich zwei Polizeibeamte an der Tür seines Hauses klingelten und sagten, sein Sohn sei als Sozius bei einer Motorrad-Spritztour verunglückt. Der Fahrer sei lebensgefährlich, Christopher schwer verletzt. Auf dem Weg zum Krankenhaus, sagt Ludger Böhmer, habe er noch darüber nachgedacht, wie lange Christopher wohl brauchen werde, bis es ihm besser gehe und was für ein Leben danach er wohl noch werde führen können: eines als Pflegefall? Oder würde Christopher vielleicht doch wieder ganz gesund?
Kurz darauf ist jegliche Hoffnung dahin. „Wir können nichts mehr für ihren Sohn tun“, sagen die Ärzte.
„Wir haben hier einen sehr schlimmen Tag verlebt“
„Das war ein schwerer Schlag. Ich war wie gelähmt“, blickt Ludger Böhmer zurück. Er habe sich noch von Christopher verabschiedet, dann sei er nach Hause gefahren, habe seine Ex-Frau informiert, Christophers ältere Schwestern in Berlin und Düsseldorf angerufen, die direkt zu den Eltern nach Sprockhövel fuhren. „Wir haben hier dann einen sehr schlimmen Tag verlebt, mit sehr viel Trauer, sehr viel Weinen. Aber es gab da auch das Wissen, dass jetzt trotz allem etwas zu tun war – wir Entscheidungen treffen mussten über die Beerdigung, die Beisetzung. Mir hat das damals geholfen, mich nicht völlig dem Schmerz zu ergeben, dass Christopher nicht mehr lebt.“
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Die Frage nach dem „Warum“ sei dagegen selbst in diesen ersten Tagen „nie wirklich aufgekommen“, gesteht Ludger Böhmer. Nicht, als er sich am Pfingstmontag mit den Eltern des ebenfalls verstorbenen Motorradfahrers an der Unfallstelle trifft; und auch nicht in den Wochen und Monaten danach, in denen er weiterhin viel nachdenkt über das Geschehene. Höchstens eine gewisse Wut auf seinen Sohn habe er kurzzeitig mal gehabt, gesteht Ludger Böhmer. Als er erfahren habe, dass dieser keinen Helm aufgesetzt hatte für jene Motorradfahrt (auch wenn diese nur als kurze „Spritztour um den Block“ geplant war).
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„Ich bin froh, dass ich niemandem Schuld zusprechen muss“
Die Frage, wer Schuld hat, ob jemand überhaupt Schuld hat, bleibe trotz allem aber für immer ungeklärt, sagt er. Und fügt hinzu: „Ich bin froh, dass ich niemandem Schuld zusprechen muss.“ Und auch sollte sich niemand schuldig fühlen an Christophers Tod. Nicht die Freunde, mit denen Christopher vor jener Spritztour zusammen feierte. Und nicht seine Töchter, denen er immer wieder sagte: „Ihr habt ein Recht auf ein glückliches Leben.“
Zur Trauerfeier Mitte Juni 2020 im Böhmerschen Garten mit rund 40 Personen intoniert eine Sängerin die Kirchenlieder „Halleluja“ und „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Dazu lässt Ludger Böhmer „Ich bin Boss“ von Rapper Kollegah spielen. Ein Lieblingssong seines Sohnes sei das gewesen, der auch gut zu ihm gepasst habe, sagt der 58-Jährige.
Christopher hat andere sehr inspiriert
Christopher habe großes Selbstvertrauen gehabt, er habe gut reden und überzeugen können und mit Beharrlichkeit und Disziplin seine Ziele erreicht. Schon mit 17 Jahren hatte er seine erste eigene Wohnung, direkt nach dem Abi 2017 wurde er Geschäftsführer einer Marketing-Agentur, später gründete er die Firma Plant Boutique, einen Online-Vertrieb mit CBD-Ölen aus der Hanfpflanze, erzählt der Vater.
Christopher habe „ein Leben auf der Überholspur geführt“, sagten einige seiner Freunde auf der Trauerfeier; und dass er sie sehr inspiriert habe. „Das“, sagt Ludger Böhmer, „macht mich stolz.“
Den Online-Vertrieb von Plant Boutique führt er gemeinsam mit Frau und Töchtern zu Ehren von Christopher bis heute weiter. Der Zusammenhalt der Familie, die durch die Verarbeitung von Christophers Tod noch weiter zusammengerückt ist, habe ihm dabei ebenso geholfen, das Geschehene zu verarbeiten, wie auch die zahlreichen Gespräche mit Freunden und Bekannten, mit Pfarrer Arne Stolorz und Hospizhelferin Karin Klemt – und das rasche Verabschieden von der Schuldfrage.
Das gewesene Leben wertschätzen
Inwieweit sich sein Leben verändert hat seit dem 30. Mai 2020? Ludger Böhmer sagt, er mache heute verstärkt nur noch das, „was ich gern machen möchte“, setze sich heute auch noch intensiver auseinander mit Sterblichkeit und Tod (auch wenn sein Engagement beim Ambulanten Hospizdienst Witten-Hattingen schon 2019 begonnen hat). „Wir wissen alle, dass wir sterben müssen, aber wir rechnen nicht damit, dass es so früh passiert“, sagt der 58-Jährige über Christophers Tod. Und: Um mit einem solchen Geschehnis klarzukommen, helfe es, das gewesene Leben wertzuschätzen, anstatt nur den Verlust in den Blick zu nehmen. „Am Ende kommt es doch nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität eines Lebens an. Dass Christopher tot ist, kann ja niemand mehr ändern, ich muss das akzeptieren.“
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