Recklinghausen / Gladbeck. In vielen Familien herrscht Funkstille. Jetzt gibt es ein neues Gruppenangebot für Eltern, die von ihren erwachsenen Kindern verlassen wurden.

„Und, wie geht es deiner Tochter?“ Senta* (Name geändert) weiß auf diese Frage keine Antwort, denn seit sieben Jahren hat die 60-Jährige keinen Kontakt mehr zu ihr. „Du warst nie für mich da. Jetzt brauche ich dich nicht mehr“, waren die Abschiedsworte ihres Mädchens, die per WhatsApp kamen. Seitdem herrscht Funkstille.

Die bald 40-jährige Tochter lehnt ein Treffen mit der Mutter strikt ab

„Sie hat mich zutiefst verletzt“, sagt die Pädagogin. Als alleinerziehende, dennoch Vollzeit berufstätige Mutter habe sie jede freie Minute mit ihrem Kind verbracht, es in der Schulzeit und Ausbildung durch Krisen begleitet, ihm mehrmals beruflich auf die Beine geholfen. Natürlich gab es auch Konflikte, „aber nicht mehr, als in anderen Familien“. Gerne würde Senta klären, warum die Tochter eine völlig andere Wahrnehmung hat: „Ich möchte nicht mit ihr streiten, sondern in aller Ruhe ihre Sicht der Dinge hören und im Gegenzug schildern, wie ich es erlebt habe.“ Gleichwohl, die bald 40-jährige Tochter lehnt ein Treffen rigoros ab.

Senta ist nicht allein. Kontaktabbrüche zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern sind häufig, auch wenn es keine konkreten Zahlen dazu gibt. Aber als die Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) in Recklinghausen für den Kreis Recklinghausen in diesem Jahr erstmals ein Gruppenangebot für verlassene Eltern ins Jahresprogramm aufnahm, war die Resonanz riesig.

Neue Gruppe für betroffene Eltern startet im Januar

Erstaunt waren die Beraterinnen zudem, welch weite Anfahrtswege die Betroffenen in Kauf nahmen, um an der Gesprächsrunde teilnehmen zu können. „Eine Frau hatte eine anderthalbstündige Anreise, aber schon nach dem ersten Treffen hat sie gesagt: Das hat sich gelohnt.“ Darum startet im Januar 2025 wieder eine Gruppe.

„Für die Teilnehmer der ersten Gruppe war es schon Erleichterung festzustellen, dass sie nicht allein sind “

Ute Brücker
Ehe-, Familien- und Lebensberatung Recklinghausen

Das Ziel: den verlassenen Eltern dabei helfen, mit dem Kontaktabbruch zu leben, die widersprüchlichen Gefühle zu verstehen und auch andere Eltern kennenzulernen, sich mit ihnen auszutauschen. „Für die Teilnehmer der ersten Gruppe war es schon Erleichterung festzustellen, dass sie nicht allein sind.“ Worum es bei den Treffen ausdrücklich nicht geht: Die vermeintlich Schuldigen für den Kontaktabbruch zu suchen. „Vielmehr ermuntern wir die Eltern zu einem Perspektivwechsel nach dem Zwei-Welten-System“, erklärt Ute Bücker. Schließlich sei schon im normalen Alltag festzustellen, dass jedes Familienmitglied selbst Erlebnisse wie einen Urlaub anders wahrnehme, empfinde und bewerte. Für Auseinandersetzungen gelte das erst recht.

Eltern empfinden oft Scham, Schuld, Wut und Trauer

Ganz gleich, welche Umstände zur Trennung führten, die Eltern eint, dass sie Scham, Schuld, Wut und Trauer empfinden. „Darüber zu sprechen, hilft sehr“, sagt Maria Hergl. Weil die Teilnehmer der ersten Gruppe die Treffen als zu kurz empfanden, wurden die vier Gesprächsabende nun auf jeweils zweieinviertel Stunden erweitert. „Wir starten mit einem Impuls und leiten zu den Themen hin“, erklärt Uta Bücker. Neben den Perspektiven geht es um die Beziehungsgeschichte zwischen Eltern und Kind, über Streitkultur in der Familie und vieles mehr: „Selten führt ein einziger großer Krach zum Kontaktabbruch, meistens handelt es sich um eine langsame Entwicklung bis der berühmte Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt.“

Die verlassenen Eltern hätten sich abschließend getröstet und gestärkt gefühlt, um ohne Kontakt zu den Kindern zu leben. Sie fühlten sich aber auch besser gerüstet, falls es doch mal wieder zu einer Begegnung kommen sollte. Wut, Schuld und Scham – die Betroffenen wollen versuchen, diesen Gefühlen keinen Raum mehr zu geben, stattdessen für sich selbst zu sorgen. Nicht in der Opferrolle zu verharren, sondern den Mut zu fassen, ein eigenes und auch zufriedenes Leben zu führen. Senta ist das recht gut gelungen. Aber sie weiß aus eigener Erfahrung, dass es in diesem Prozess immer wieder Rückschläge gibt, die Trauer um und die Sehnsucht nach dem Kind manchmal ab-, aber dann auch wieder zunehmen. Zuletzt, als sie über Dritte erfahren hat, dass sie Oma geworden ist.

>> Anmeldungen möglich

Die neue Gruppe für verlassene Eltern wird sich im Januar 2025 jeweils freitags um 17 Uhr bei der EFL in Recklinghausen, Kemnastraße 7, treffen. Das Angebot ist kostenlos.

Anmeldungen unter Tel. 02361/59929, oder per E-Mail an efl-recklinghausen@bistum-muenster.de.

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