Es ist der 30. August 2010, der ein Umdenken der türkischen Autorin und Schriftstellerin Hatice Akyün verursacht. Thilo Sarrazin veröffentlicht unter großem Medieninteresse sein Buch „Deutschland schafft sich ab“. Nicht etwa der Inhalt nimmt der Deutsch-Türkin ihren Humor, vielmehr ist es die anschließende Diskussion in der Bevölkerung. „Kenne ich dieses Land, in dem ich lebe wirklich?“, fragt Akyün sich und hadert mit ihrer Wahlheimat.
Das ist die Vorgeschichte für ihr neuestes Werk „Ich küss dich, Kismet“. Zum Abschluss der Gladbecker Lesetage war Akyün in der Bücherei zu Gast, um aus ihrem aktuellen Werk zu lesen – und von dessen Entstehung zu berichten.
Leidenschaftlich erzählt die in Akpinar, einem kleinen anatolischen Dorf, geborene Autorin aus ihrer Gedankenwelt. Zugegeben, zu Beginn ihres Romans ist Akyün nicht in bester Verfassung. Eine Midlife-Crisis, so dürfte man es wohl nennen, macht ihr das Leben nicht leicht.
Urplötzlich meldet sich der Vater per Telefon. Ein Anruf, der einem Ruf aus Hollywood gleicht. „Du musst schnell kommen.“ Also macht sie sich von Berlin nach Duisburg auf. Dort erwarten sie zahlreiche Verwandte, Geschwister und die Eltern. Ein Grundstück am Rande der türkischen Metropole Istanbul erhält die Autorin als Geschenk von ihrem Vater. Und die große Frage für die Protagonistin ist nun: „Wie komme ich raus aus dieser Nummer?“ Oder anders gefragt: „Wie könnte mein Leben in Istanbul aussehen?“
Hatice Akyün wagt das Abenteuer, die Reise zu den Wurzeln. Sie fliegt in die Türkei und wird direkt am Istanbuler Flughafen von ihrer Schwester abgefangen. Sie müsse erst einmal „istanbultauglich“ gemacht werden. Eine erste schmerzhafte Erfahrung, denn beim schwesterlichen „Beautytag“ muss die Erzählerin zunächst einmal (Körper-)Haare lassen, um dem Ideal „einer schönen türkischen Frau“ zu entsprechen.
Freundinnen erleichtern den Start
Ihre neue Wohnung ist indes längst nicht bewohnbar. Sie schließt sich Freundinnen ihrer Schwester an. Ein Leben, das ihr anfangs gefällt. Bei ihren „Desperate Housewives“, einer munteren Frauentruppe, fühlt sie sich wohl.
Obwohl sie fest entschlossen ist, ihr Leben in Istanbul weiter zu leben, fühlt sich Akyün fremd und als Langzeittouristin. Sie begibt sich zu ihren Wurzeln, in ihr Heimatdorf, und findet endlich eine Antwort auf ihre Frage, wo sie hingehöre. Ihre Erkenntnis: „Man muss wissen, woher man kommt, um dort hinzugehen, wo man hingehört.“ Ihr Platz jedenfalls sei in Deutschland.
Hatice Akyün ist eine wahre Wortakrobatin, wenn sie von ihrer türkischen Entdeckungsreise erzählt. Wie sehr sie zwischen Deutschland und der Türkei steht, wird eindrucksvoll geschildert. Es ist eine Frage, die wohl viele – nicht nur türkische – Leser interessiert: „Wo gehöre ich eigentlich hin?“ Akyün hat für sich die ersehnte Antwort gefunden.