Gladbeck.


Der Tag der „Machtübertragung“ an die Nazis, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, vor genau 80 Jahren, war in Gladbeck noch keine Machtdemonstration der Nazis: Es gab eine letzte Gegendemonstration.

Einen Siegeszug wie andernorts gab es in Gladbeck nicht, vielmehr noch einmal ein letztes Aufbäumen demokratischer Kräfte: Am gleichen Abend formierte sich ein Protestzug der SPD durch die Stadt. Allerdings sind sich Historiker einig: Sympathisanten hatten die Nazis da aber auch schon in Gladbeck reichlich.

Dennoch organisierten die Sozialdemokraten in aller Hektik mit den Gewerkschaftern Widerstand. Mit dem Reichsbanner als Zeichen ihres Selbstbehauptungswillens, so schreibt Historiker Frank Bajohr, formierten sie sich, zunächst im Lokal Mey, dann mit einem Demonstrationszug „durch die dunklen Straßen der Innenstadt“. Auch am nächsten Tag soll es noch Protest der Gladbecker Linken gegeben haben, schreibt Heimatforscher Manfred Samen. Es sollten die letzten freien Proteste in Gladbeck in den nächsten 12 Jahren sein, so Bajohr.

Ausgerechnet am Tag der „Machtergreifung“, wie die Nazis die Machtübertragung stilisierten, fand die letzte Ratssitzung im Rathaus vor der Neuwahl statt, wie Politiker Wendel vorm Walde in einem Beitrag zur Reihe „Gladbecker Geschichte“ schreibt. Die Machtübertragung an Hitler spielte im Rat keine Rolle. Wichtigstes Thema war die Beratung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms der Stadt mit einem Volumen von 2,6 Mio Reichsmark. „Politisch kamen diese Maßnahmen zu spät“, so vorm Walde.

Die Nationalsozialisten waren in diesem Rat nicht vertreten – die NSDAP hatte einen schweren Start in Gladbeck, fasst Samen zusammen. Bei der letzten Kommunalwahl hatten sie nur 164 Stimmen bekommen – 0,64 %. Es gab vor ‘33 eine erhebliche Gegnerschaft im „roten Gladbeck“ – mit heftigen Zusammenstößen. Trauriger Höhepunkt war eine Saalschlacht am 4. März 1932 in der Gaststätte Kiekenberg in Zweckel, bei der es zwei Tote gab. Ansporn war für die Nazis vor ‘33 der Wahlkampfbesuch Adolf Hitlers am 27. Juli 1932 im Stadion vor tausenden Anhängern, die aus weitem Umkreis heran geschafft wurden.

Die erste Hakenkreuzfahne wurde am 6. März 1933, einen Tag nach der Landtags- und Reichstagswahl mit Zugewinnen für die NSDAP, auf dem Rathausturm gehisst. SA-Leute hatten sich Zutritt verschafft, stellten auch Forderungen an OB Bernhard Hackenberg: die „Entfernung“ des Beigeordneten Krahn (SPD) und des Stadtobersekretärs Denninghaus. Hackenberg, 1932 von Zentrum, SPD und Wirtschaftspartei zum OB gewählt, lehnte die Forderung da noch ab, wusste sich aber in der Folge „vorzüglich“ an die braunen Machthaber anzupassen, so vorm Walde. Schon kurz drauf war er SS-Mann.

Am 12. März 1933 wurde noch einmal der Rat gewählt in Gladbeck (62 000 Einwohner) – die NSDAP erhielt 26,97 %. Das Ergebnis war für die Nazis eher bescheiden, auch wenn sie stärkste Partei wurden. Mit Druck und undemokratischen Mitteln verschafften sie sich die nötige Ratsmehrheit: Die Stimmen der KPD wurden für ungültig erklärt, mit zwei Splitterparteien formten sie den „nationalen Block“. Zentrums-Chef Bette bot bei der konstituierenden Sitzung am 7. April 1933 „die Mitarbeit an einem neuen Deutschland an“. Im Ratssaal waren Hitlerbild und Hakenkreuzfahne aufgestellt, die NSDAP-Ratsleute kamen in Uniform, SA- und SS-Formationen marschierten vorm Rathaus auf. Wenige Monate später wurden die SPD verboten und führende Sozialdemokraten verfolgt – der Naziterror fasste Fuß.


Die Anfänge der NSDAP

Das erste NSDAP-Parteimitglied gab es in Gladbeck 1927. Es war, so schreibt Heimatforscher Manfred Samen, ein gewisser Konrad Wilde. Er gehörte zur Ortsgruppe Buer.

Ein Jahr später gesellten sich zwei weitere „Parteigenossen“ zu Wilde in Gladbeck, 1929 kam es dann zur Gründung einer eigenen Ortsgruppe mit neun Mitgliedern. Maßgeblich war an dem Zustandekommen Edwin Müller beteiligt, ein 25-jähriger Konditor, der aus Göttingen zugezogen war, wie es Harald Neumann in einem Buch schreibt. Müller wurde erster Ortsgruppenleiter. Die Gründung fand im Erkerzimmer des Vestischen Hofes der ev. Kirche statt, der etwa dort stand, wo heute das Bonhoeffer-Haus ist. Später wurde der Vestische Hof Veranstaltungslokal der Gladbecker Nazis. Ende 1930 zählte die NSDAP 31 Mitglieder in der Stadt.

Am 1. Oktober 1932 gründete sich ein „Kreis“ der Partei in Gladbeck, zunächst, so Samen, mit drei, dann mit fünf und zuletzt, 1942, mit neun Ortsgruppen. Diese waren untergliedert in „Zellen“ und „Blocks“.

Seit 1930 gab es die Hitlerjugend in Gladbeck, die SA seit 1929 , zunächst „Sturm 11“ (mit Buer), dann „Sturm 67“ für Gladbeck, der ‘31 auf dem Markt seine Fahne weihte.


Unruhige Zeiten um 1930

Die wirtschaftliche, soziale und politische Situation war um 1930 in der Stadt alles andere als gut und geordnet. Die Weltwirtschaftskrise nach dem Börsencrash 1929 wirkte sich enorm aus: Die Arbeitslosigkeit nahm sprunghaft zu. Ab Mitte 1930 entließen die Gladbecker Zechen, so Historiker Rainer Weichelt, zahlreiche Bergleute. Mitte 1931 waren nur noch knapp 5400 Kumpel beschäftigt, bei Vollbeschäftigung waren es 13 500 gewesen.

Mitte 1932 lebten 40 % der Gladbecker Bevölkerung von öffentlicher Unterstützung. Vor diesem Hintergrund gewannen radikale Ideen deutlichen Zulauf, schreibt Weichelt im Buch „Geschichte der Stadt“.

Keiner Revierstadt gehe es so dreckig, schrieb damals der sozialdemokratische „Volksfreund“. Chronist harals Neumann berichtet von Protesten: „Die Arbeitslosen marschierten von der Stempelstelle im Arbeitsamt, oft barfuß, durch die Stadt und forderten Arbeit und Brot.“ Die Polizei verjagte sie mit Knüppeln.

Die Stadt musste ihre Träume einer rasanten Entwicklung einstellen. Das Steueraufkommen sank rapide, die Fürsorgeausgaben stiegen drastisch: 1930 bis 1933 um 468 % auf 4,8 Mio Mark. Schon 1932 reichten die Steuern nicht, um die Fürsorgeausgaben zu zahlen. Politisch blockierten sich elf Parteien im Rat – es gab keine klaren Mehrheiten.