Gelsenkirchen. Was für ein spektakulärer Fund auf dem Gelände der Neuen Zeche Westerholt: Das lag in der über 70 Jahre alten Zeitkapsel.

Die große Frage lautet: Was ist da drin? Denn die Zeitkapsel, die bei den Abbrucharbeiten von Schacht 2 auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Westerholt in Hassel gefunden wurde, lag seit 1953 eingegossen in einem Betonfundament. Erst jetzt, exakt 72 Jahre später, ist das 66 Zentimeter lange Stahlrohr wieder zurück am Tageslicht. Und wird nun per Akku-Säge geöffnet. Die Blicke der Umstehenden und zahlreiche Kamera-Objektive fokussieren sich im entscheidenden Moment auf die Öffnung. Und zum Vorschein kommt - ein zweites, etwas kleineres Rohr, gefertigt aus Kupfer.

Die Überraschung wird nicht sofort gelüftet

Ja, es ging richtig spannend zur Sache, als am Donnerstagmittag das Geheimnis gelüftet werden sollte. Eingeladen hatte die Entwicklungsgesellschaft (EG) Neue Zeche Westerholt, die sich um die Weiterentwicklung des früheren Bergbaugeländes kümmert, das sowohl auf Gelsenkirchener als auch auf Hertener Stadtgebiet liegt. „Die Fundstelle lag aber bei Schacht 2 und damit eindeutig und zweifelsfrei in Hassel“, berichtete Uwe Neukirchen, der Prokurist der EG.

Thorsten Scholz (r.) und Nico Pauls fanden Mitte Januar bei den Abbrucharbeiten von Schacht 2 die ominöse Zeitkapsel in einem freigelegten Betonfundament.
Thorsten Scholz (r.) und Nico Pauls fanden Mitte Januar bei den Abbrucharbeiten von Schacht 2 die ominöse Zeitkapsel in einem freigelegten Betonfundament. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Vor Ort ist auch Thorsten Scholz. Er ist Vorarbeiter bei der Firma BWR mit Sitz in Schermbeck, die von der EG den Auftrag für den Abbruch von Schacht 2 erhalten hatte. Gemeinsam mit Baggerfahrer Nico Pauls war es Scholz, der sich neben der herkömmlichen Arbeit auch noch auf die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen machte. Seit Ende Oktober malochen die Kräfte nun schon auf dem Riesen-Areal. „Und dass hier irgendwo eine solche Zeitkapsel zu finden sein müsste, wussten wir von Beginn an“, erzählte Scholz.

Alte Zechen-Fotos des Geschichtskreises lieferten wertvolle Hinweise

Dieses Wissen hatten sie vor allem Egon Kopatz zu verdanken. Der Vorsitzende und Mitbegründer des Geschichtskreises Hassel/Bergmannsglück verfügt über ein Riesen-Archiv zur Zeche Westerholt. Kein Wunder, schließlich hat er dort auch selbst viele Jahre als technischer Angestellter gearbeitet. Und besagte Sammlung umfasst auch einen Bildervorrat mit hunderten Fotos aus längst vergangenen Zechen-Jahrzehnten. „Einige der Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die uns Herr Kopatz überreicht hat, zeigen den Akt der Einmauerung der Zeitkapsel“, erzählte Neukirchen den zahlreichen anwesenden Pressevertretern. „Und diese Fotos haben uns beim Suchen enorm geholfen“, ergänzte Scholz.

Per Akku-Säge wurde auch das dritte Rohr geöffnet. Darin waren die Dokumente enthalten.
Per Akku-Säge wurde auch das dritte Rohr geöffnet. Darin waren die Dokumente enthalten. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Laut einem alten Zeitungsartikel, den Kopatz ebenfalls mitgebracht hatte, wurde die Zeitkapsel am 24. Juni 1953 in das Sockel-Fundament eingemauert. Dieses war zuvor für den Bau des neuen Schachtgerüstes aus Beton gegossen worden. Bei der feierlichen Zeremonie anwesend seien laut besagtem Artikel der Betriebsführer Rödiger, der leitende Polier Borowski sowie der Bergassessor Hoschützky gewesen. Letzterem war es vorbehalten, mit einer Mauerkelle voller Mörtel das Stahlrohr zu bedecken. Erst als danach dann alle Sockel fertiggestellt waren, konnte eine Spezialfirma aus Oberhausen mit den Eisenmontagearbeiten beginnen und das neue Schachtgerüst errichten.

Den gesuchten Betonsockel fanden die Arbeiter in 1,30 Meter Tiefe

„Das alles ist aber über 70 Jahre her. Wir haben die entsprechenden Sockel daher auch nicht mehr an der Erdoberfläche angetroffen, sondern im Boden - ungefähr in einer Tiefe von 1,30 Meter“, erzählte Scholz. Mit einem Felsmeißel, einem hydraulischen Anbaugerät für den Bagger, hätten sie den Sockel dann quasi aufgebohrt. Und als dann tatsächlich ein erstes Stück von besagtem Metallrohr zum Vorschein gekommen sei, habe es laut Scholz „im Bauch schon ganz schön gekribbelt“.

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An diesem Donnerstag, also rund drei Wochen nach dem Aufstöbern, sollte die Zeitkapsel nun also vor den Augen der Öffentlichkeit geöffnet werden. Und dieses Privileg überließ der nahezu komplett anwesende EG-Vorstand dann den zwei Zechen-Veteranen. Neben Kopatz war dies Wolfgang Steffen (74) aus Hassel, der einst Maschinenschlosser auf Westerholt war und sich heute als Schatzmeister des Geschichtskreises engagiert.

Im Rohr steckt ein Rohr - und darin steckt noch ein Rohr

Der Moment ist da. Das Stahlrohr ist aufgesägt. Und zum Vorschein kommt ein zweites, kleineres Kupferrohr. Gelächter und Aufstöhnen bei allen Umstehenden. Also muss noch einmal die Säge ran. Und was purzelt aus dem Kupferrohr heraus? Ein noch kleineres Plastikrohr. Darin sind aber erste Artefakte zu erkennen. Säge-Einsatz, der Dritte. Und endlich werden sie greifbar: die kostbaren Hinterlassenschaften der Zechen-Vorfahren.

Zu den Fundstücken in der Zeitkapsel zählte auch dieser Zehn-Reichsmark-Schein.
Zu den Fundstücken in der Zeitkapsel zählte auch dieser Zehn-Reichsmark-Schein. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Fundstück Numero eins ist ein eingerolltes Schwarz-Weiß-Foto, das die beiden alten Schachttürme zeigt. Fundstück Numero zwei sind Lebensmittelkarten für Brot, Butter und Fleisch. Es folgen: Zehn deutsche Reichsmark als Geldschein in einem leicht vergilbten Grünton und als kuriosester Fund ein Formular für einen Lohnsteuerermäßigungsantrag. Schallendes Gelächter im Kreis der neugierigen Zuschauer. Das weicht aber einem ehrfürchtigen Staunen, als ein weißes Pergament ausgerollt wird. Es ist eine Urkunde - und quasi das Kernstück dieser Zeitkapsel.

Die Fundsachen könnten Teil einer kleinen Ausstellung werden

Sofort fällt auf, dass dieses Schriftstück auf den April 1953 datiert ist - also zwei Monate bevor es tatsächlich eingemauert wurde. Darauf werden Auszüge der Historie von Schacht 2 und der Grund für die Errichtung des neuen Gerüstes erwähnt. Aus historischer Sicht ist mit Blick auf unser Land vor allem diese Passage interessant: „Deutschland wurde nach dem 2. Weltkrieg in 2 Teile geteilt (Bundesrepublik und die Ostzone. Seit der 1. Wahl im Jahre 1948 führt die Bundesrepublik Bundespräsident Dr. Theodor Heuß und Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer. Ministerpräsident Arnold führt derzeit die Geschäfte des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit Jahre sind Bestrebungen im Gange, Ost- und Westdeutschland wieder zu vereinigen, um ein freies und einheitliches Deutschland zu schaffen.“ Es sollte bis 1990 dauern, ehe dieser Wunsch tatsächlich in Erfüllung gehen sollte.

Die Zechen-Veteranen Egon Kopatz und Wolfgang Steffen  präsentieren mit der Urkunde das Kernstück der gefundenen Zeitkapsel.
Die Zechen-Veteranen Egon Kopatz und Wolfgang Steffen präsentieren mit der Urkunde das Kernstück der gefundenen Zeitkapsel. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Und was geschieht nun mit diesen tollen Fundsachen? „Vielleicht werden sie ein Teil unserer kleinen Ausstellung zur Zechen-Geschichte, die wir ja bereits jetzt anbieten“, sagte EG-Prokurist Neukirchen. Eine andere Idee hatte Daniel Schmidt, der Leiter des hiesigen Instituts für Stadtgeschichte, der ebenfalls zugegen war: „Ich würde die Sachen mit heutigen Erinnerungsstücken und Dokumenten ergänzen und zusammen wieder einmauern. Vielleicht haben die Menschen in 70 Jahren dann genauso viel Spaß beim Öffnen wie wir heute.“