Gelsenkirchen. Oper „La Bohème“ zählt zu den meistgespielten in aller Welt. In Gelsenkirchen war sie seit 2007 nicht zu sehen. Nun gibt‘s eine Neu-Inszenierung.
Als Giuliano Betta zum Gespräch erscheint, ist nicht nur seine Frisur noch leicht zerzaust, sondern sein blaues Hemd auch sichtbar an einigen Stellen durchgeschwitzt. Gleich auf den ersten Blick lässt sich erkennen: Die soeben beendete Bühnenorchesterprobe zu „La Bohème“ war für ihn ein wahrer Kraftakt. „Es ist aber vor allem mentale Energie, die ich da verbrauche“, berichtet der Kapellmeister des Musiktheaters im Revier (MiR) im Gespräch mit der versammelten Presse. Proben von Puccini-Opern empfinde er immer als ebenso anregend wie anstrengend: „Bei der Musik geht immer mein ganzer Körper mit“, sagt er und strahlt.
„La Bohème“ war seit 2007 nicht mehr in Gelsenkirchen zu sehen
„La Bohème“ also. Lang, lang ist es her, dass dieses Schlüsselwerk des Komponisten Giacomo Puccini zuletzt im MiR auf dem Spielplan gestanden hat. 2007 war das, um genau zu sein. Und inszeniert wurde es von einem gewissen Michael Schulz, der damals noch als designierter Intendant galt, diesen Posten kurz darauf dann tatsächlich antrat und ihn bis heute innehat. An seiner Seite als Regie-Assistentin fungierte damals Sandra Wissmann. Und die gebürtige Wattenscheiderin ist es nun auch, die bei der am Samstag, 1. Februar, im MiR Premiere feiernden Produktion für die Regie verantwortlich zeichnet.

„Ich bin nicht die große Puccini-Kennerin“, gibt Wissmann gleich zu Beginn des Gesprächs zu. Sie wisse zwar um seine Werke, kenne diese aber nicht alle im Detail. Mit „La Bohème“ habe sie sich nun aber sehr ausgiebig befasst. Und schon beim Lesen des Stoffes sei ihr sehr schnell der Gedanke gekommen, in ihrer Inszenierung einen Zeitenwechsel vorzunehmen. Denn eigentlich spielt diese Oper, die in puncto Publikumsinteresse nach wie vor zu den Top-Drei zählt, im Paris des Jahres 1830. Wissmann wollte das Geschehen aber lieber in den frühen 1920er-Jahren ansiedeln. Denn dort passe die Geschichte von vier jungen, befreundeten Künstlern, die ihren Bohemien-Alltag in jedem einzelnen Moment trotz wenig Geld, aber mit ganz viel Lebenslust genießen wollen, besonders gut hin.
Die Drehscheibe in der Bühnenmitte hat auch eine symbolische Bedeutung
Dieses ausschweifende Lebensgefühl, aber auch die Freundschaft unter den Männern sowie die Liebesbeziehungen zweier Pärchen prägen diese Geschichte. Und diese zwischenmenschlichen Beziehungen seien es auch, so Wissmann, die sie ganz bewusst in den Mittelpunkt rücken wollte. Dafür nutzt sie auch eine große Drehscheibe in der Mitte der Bühne. Diese stehe nicht nur sinnbildlich für das Taumelnde, das Haltlose dieser Gesellschaft, die nach dem überstandenen Grauen des Ersten Weltkriegs am liebsten nur noch sorglos feiern will. Sie zeigt auch auf, dass sich dieses Künstler-Quartett fast nur um sich selbst und seine eigene Welt dreht. Gemäß dem Motto: Tagsüber daheim in der ungeheizten Künstlerwohnung den mit Wasser verdünnten Wein saufen, nur um dann abends auswärts auf die Brause zu hauen und den teuren Champagner zu schlürfen.

Bei den von Beata Kornatowska entworfenen Kostümen sei es ihr wichtig gewesen, dass diese den Geist der 1920er Jahre atmen würden, insgesamt aber etwas schlichter und mit etwas weniger Pomp und Stoff daherkommen, betont Wissmann. Trotz dieser „Reduktion auf das Wesentliche“ dürfe sich das Publikum auch auf optische Highlights in einem zeitgenössischen Look freuen.
Die tragische Liebesgeschichte von Rodolfo und Mimi rührt zu Tränen
Den ihr oft nachgesagten Kitsch-Faktor dieser Oper mag die Regisseurin hingegen nicht erkennen. „Nur weil man weint, heißt es nicht, dass es gleich Kitsch ist.“ Gerade die tragische Liebesgeschichte zwischen Mimi (Heejin Kim) und Rodolfo (diesen Part teilen sich bei den acht bislang geplanten Aufführungen Khanyiso Gwenxane und Adam Temple-Smith) würde gewiss viele Besucherinnen und Besucher zu Tränen rühren. „Ich weine übrigens auch immer sehr schnell“, gibt Wissmann mit einem Lächeln zu.

Ganz bewusst habe sie es zuletzt vermieden, sich zwecks Vorbereitung oder auf der Suche nach Inspirationen andere Inszenierungen von „La Bohème“ im Vorfeld anzuschauen, sagt Wissmann. „Ich wollte mich da nicht selbst blockieren. Am Ende muss es ja meins werden.“ Für sie habe es sich schon nach den ersten Proben wie „ein perfektes Stück“ angefühlt. Und genau deshalb wolle sie hier auch keine ausgefallene, veränderte Erzählästhetik für eine Geschichte finden, die gar keine Verbesserung mehr brauche.
Die Musik ist hart, direkt, wuchtig und schnörkellos
Guilano Betta, der bei dieser Inszenierung die musikalische Leitung innehat, hat diese Oper nach eigenem Bekunden bereits mehrmals einstudiert: Und seine Sicht auf Puccinis Partitur habe sich in all den Jahren nicht verändert. „Die Gefühle in mir sind heute immer noch die gleichen geblieben.“ Nur die technische Routine, die nun eine andere sei, würde ihm die Sache etwas leichter machen. Doch die Musik sei unverändert: nämlich hart, direkt und schnörkellos. Eben nicht romantisch, betont Betta. Und sie treibt ihm in all ihrer Schönheit und Wucht bis heute gekonnt den Schweiß auf die Stirn...
Zahlen, Namen, Daten und Fakten
Die Premiere von „La Bohème“ steigt am Samstag, 1. Februar, im Großen Haus des MiR - und damit auf den Tag genau 129 Jahre nach der Uraufführung in Turin. Es folgen weitere Termine am 9., 13. und 21. Februar, am 8. März sowie 12., 20. und 27. April. Karten gibt es ab sofort an der Theaterkasse am Kennedyplatz oder unter: 0209 40 97 200.
Neben der Neuen Philharmonie Westfalen gehört auch der Kinderchor sowie der Opern- und Extrachor des MiR zu den Beteiligten. Für das Bühnenbild zeichnet Britta Tönne verantwortlich, für die Dramaturgie Anna Chernomordik.