Gelsenkirchen. Im Gelsenkirchener „Schloß Stolzenfelz“ hat sich ein Senioren-Chor gegründet. Einige Teilnehmende sind dement - und singen beherzt miteinander.

„Ich singe und tanze für mein Leben gern. Was meinst denn du, wie ich 84 Jahre alt geworden bin?!?“, fragt Ingrid und strahlt über das ganze Gesicht. Das, was ihr und den anderen Damen jetzt bevorsteht, ist für sie alle ein Höhepunkt im Alltag: die monatliche Probe des Chores vom „Schloß Stolzenfelz“, dem Café an der Ahstraße in der Altstadt, das sich zu einem soziokulturellem Raum entwickelt hat - nicht nur, aber auch für viele ältere Menschen.

An die Klänge aus der eigenen Jugend erinnern sich alle gut

Die Idee, einen eigenen Chor zu gründen, hätten die weiblichen Gäste selbst gehabt, erzählt Norbert Labatzki, der Initiator der Einrichtung und somit quasi der Schlossherr. Beim Erzählen schmunzelt er ab und an ob der Truppe, die bereits erwartungsvoll an einer langen Tafel sitzt. Denn es gehe immer hoch her. „Weil viele von den Sängerinnen ein bisschen tüddelig sind“, sagt er. Bedeutet: Einige Teilnehmende sind demenziell erkrankt. Die eine mehr, die andere weniger – aber keine derart, dass das gemeinsame Singen nicht klappen würde.

Wilfried Görke begleitet den Chor von „Schloß Stolzenfelz“ am Klavier.
Wilfried Görke begleitet den Chor von „Schloß Stolzenfelz“ am Klavier. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Auch wenn Labatzki als Berufsmusiker prädestiniert dafür wäre, hat die Chorleitung dennoch Doris Trimborn übernommen. Ein Projekt, das sie mit viel Herzblut leitet und lebt und das für sie ebenfalls musikalisch nicht ohne Reiz ist. „Die Damen haben einen so großen musikalischen Schatz in sich! Sie kennen noch die ganzen alten Volkslieder, die alten Schlager, die Chansons.“ Vielfach seien sie sogar textsicher. An die Klänge aus der eigenen Jugendzeit erinnern sie sich gleichermaßen gerne wie gut. „Musik spricht ja die Emotionen an. Und so erlebe ich hier viele ganz berührende Momente.“

Der „Hahn im Korb“ darf den Ton angeben

Es ist schon kurz nach zwölf Uhr am Mittag und die Frauen drängen ungeduldig darauf, dass die Probe nun endlich beginnt. Den Kaffee haben sie schon lange vor sich stehen, die neuesten Erlebnisse sind auch bereits ausgetauscht, jetzt lockt die Musik. Und Wilfried Görke lässt sich nicht lange bitten.

Es wird gesungen und geschunkelt beim Chor-Treffen im „Schloß Stolzenfelz“.
Es wird gesungen und geschunkelt beim Chor-Treffen im „Schloß Stolzenfelz“. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Schon greift der einstmals passionierte Pianist in die Tasten des Klaviers, als hätte er nie etwas anderes getan. Dabei habe er schon überredet werden müssen nach langer kreativer Pause, gesteht er am Rande. Auch, dass er sich ganz wohl fühlt in der Rolle als „Hahn im Korb“, der dann auch noch den Ton angeben darf. Die Lieder spielt er alle aus dem Gedächtnis – und das ganz virtuos. Dass er manchmal das eben gesungene Lied noch einmal spielt, sehen ihm die Damen nach und singen einfach noch einmal mit. Weil es gerade in die Zeit passt, hat sich der Chor für heute auf alte Karnevalslieder geeinigt.

Beim ersten Auftritt sangen die Gäste laut mit

Schon geht es los: „Schnaps, das war sein letztes Wort“, „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ und „Wer soll das bezahlen?“. Wilfried ist so beschwingt, er kreiert gleich mal spontan ein Potpourri der alten Hits. Und Ingrid hält es schon lange nicht mehr auf ihrem Stuhl. Sie singt, sie tanzt, sie zwinkert und winkt den Besuchern zu. Die Gemeinschaft genieße sie sehr, erzählte sie im Vorfeld. Auch wenn hier nicht ganz das gesungen wird, was sie am meisten liebt: „Elvis-Lieder.“ Insgesamt aber gelte das Motto: „Hauptsache Singen!“ Stolz erzählt sie auch von einem ersten Auftritt. Da seien alle Gäste begeistert gewesen. „Und die haben sogar mitgesungen.“

Im Metropolengarten in Rotthausen sei das gewesen, ergänzt Labatzki. Ein schöner Moment im vergangenen Herbst, an den auch er sich gern erinnert. Denn der Chor solle nicht nur für die Gäste ein tolles Projekt sein und somit nach innen wirken, er solle das Café auch nach außen repräsentieren, zeigen, wofür es alles Raum bietet und welche Bindungen hier im Laufe der Zeit entstanden sind. „Man spürt in so vielen Momenten, wie einsam die Menschen sind und dass sie hier eine Art Ersatz-Familie gefunden haben.“ Die singt schon weiter: „Wir sind alle kleine Sünderlein“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute.“

Der Chor probt immer am zweiten Samstag im Monat ab 12 Uhr im Café an der Ahstraße 10 in der Altstadt. Neue Sängerinnen und auch Sänger sind immer willkommen.