Gelsenkirchen-Feldmark. Nach einem Großbrand in Gelsenkirchen leben drei Familien in heruntergekommenen Notunterkünften. Woran die Wohnungssuche scheitert.

Alles atmet hier Verfall: in die Jahre gekommene braune Klinkerbauten mit alten Holzfenstern, haufenweise (Sperr-)Müll auf Gehwegen, Hinterhöfen und Grüngürteln - wer sich in die Zollvereinstraße an der Stadtgrenze von Gelsenkirchen-Feldmark und Essen-Katernberg verirrt, der befindet sich mitten in einem berüchtigten Viertel.

Hier im äußersten Stadtsüden unterhält die Stadt mehrere Notunterkünfte vor, unweit davon an der Katernberger Straße befinden sich neue, moderne Flüchtlingsheime. In zwei der alten Klinkerbauten sind indes drei von vier Familien untergebracht, die nach dem verheerenden Großbrand in Rotthausen ihr Heim verloren haben. Drei Familien, weil nach Auskunft der Polizei, die vierte Familie „für die Behörde nicht erreichbar ist“, wie ein Polizeisprecher auf Nachfrage dieser Redaktion mitteilte. Die Brandursache ist immer noch unklar. Nach WAZ-Informationen ist die verschwundene Familie untergetaucht.

Gelsenkirchener Familie bekommt angeblich nur Absagen: „Nehmen keine Romaleute“ schreibt ein Vermieter

Familie Dimitrovi, hier der Onkel von Boris Balganarnov und zwei Kinder, wohnt in einer der alten städtischen Notunterkünfte an der Zollvereinstraße in Gelsenkirchen.
Familie Dimitrovi, hier der Onkel von Boris Balganarnov und zwei Kinder, wohnt in einer der alten städtischen Notunterkünfte an der Zollvereinstraße in Gelsenkirchen. © Nikos Kimerlis

Boris Balganarnov ist einer von ihnen, der 21-jährige Bulgare lebt nach eigenen Angaben „mit seinen Eltern, seinem Sohn, zwei Schwestern und einem Bruder sowie der Oma“ in einem der Häuser - verteilt auf zwei kleine Wohnungen. Onkel und Tante nebst Kindern sind im Nachbarhaus untergebracht. Boris sagt: „Wir sind sehr dankbar für die Hilfe der Stadt, und natürlich von Maurice.“ Letzterer ist ein engagierter Nachbar, der in der Brandnacht aktiv bei der Rettung der Bewohner mitgeholfen und postwendend eine Spendenaktion ins Leben gerufen hat. Dazu später mehr.

Boris sagt aber auch: „Im Knast ist es besser“. Er müsse es wissen, schließlich sei er „schon mal im Gefängnis“ gewesen. Was der „Kfz-Mechatroniker“, der angeblich für ein „Herner Arzneimittellieferdienst“ Autos und Transporter repariert mit besser meint, ist die Qualität der Unterkunft.

Ausgestattet mit dem Notwendigsten. In einem Schlafzimmer der Gelsenkirchener Notunterkunft stehen Etagenbetten aus Metall.
Ausgestattet mit dem Notwendigsten. In einem Schlafzimmer der Gelsenkirchener Notunterkunft stehen Etagenbetten aus Metall. © Nikos Kimerlis

Offensichtlich, die Häuser sind marode. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Klinkerbauten in der Siedlung bereits freigezogen waren und ihr Abriss kurz bevorstand - Flüchtlingskrise und die Armutsmigration haben den Bedarf dann wieder nach oben schnellen lassen. Also wurde die Bauten wieder reaktiviert. Und: Auch das Brandhaus an der Achternbergstraße in Rotthausen hatte den Status einer „Schrottimmobilie“ - mit denen lässt sich gemeinhin gutes Geld verdienen.

Das Mobiliar ist bunt zusammengewürfelt, es hat weitgehend ausgedient, ist aber noch brauchbar. An den einfach verglasten Holzfenstern läuft das Wasser herunter, durch die Scheibe hindurch nach draußen zu schauen, ist nicht möglich. Metall-Betten, die sich zu Etagen-Schlafstatt umbauen lassen, stehen im Schlafzimmer und in der Küche, in der ein Tisch, ein paar Stühle, zwei Unterschränke, Kühlschrank und Herd das Allernötigste bieten. Waschbecken, WC und Mini-Badewanne bilden die beige-gefliesten Bäder. Es ist sehr warm in beiden Wohnungen, die wir zu sehen bekommen, auch, weil gerade Essen auf dem Herd und im Backofen vor sich hin brutzelt, aber auch, weil anscheinend die Heizlüfter unter Vollast arbeiten.

Waschbecken, WC und Mini-Badewanne bilden die kleinen, beige-gefliesten Bäder.
Waschbecken, WC und Mini-Badewanne bilden die kleinen, beige-gefliesten Bäder. © Nikos Kimerlis

Was brauchen die Familien am dringendsten? Die Frage beantwortet Boris in dieser Reihenfolge: „Wohnungen, Möbel, beziehungsweise Geld für neues Mobiliar - das alte ist verbrannt.“ Kleidung habe man dank der Hilfe von der Stadt und den Spender reichlich. „Da liegen noch 20 Säcke voll.“ Viele Stücke passten aber einfach nicht.

Die Wohnungssuche ist für den Mechatroniker „frustrierend“. Er zückt sein modernes Iphone aus der Tasche und lässt uns einen Chatverlauf lesen. Augenscheinlich hat er einen Vermieter per Handy kontaktiert. Der schreibt: „Wir nehmen keine Romaleute.“ Boris nach, gibt es viele Absagen, von kleineren privaten Vermietern als auch von Wohnungsriesen wie „Vivawest“.

In den Hinterhöfen von Gelsenkirchens berüchtigter Siedlung findet sich haufenweise (Sperr-) Müll.
In den Hinterhöfen von Gelsenkirchens berüchtigter Siedlung findet sich haufenweise (Sperr-) Müll. © Nikos Kimerlis

Die finanziellen Möglichkeiten der drei Familien mit insgesamt fünf Kindern sind dem 21-Jährigen zufolge überschaubar. Neben ihm arbeite nur noch eine seiner Schwestern als Aushilfe in einer Pizzeria, sagt der junge Mann. Welche Unterstützung die drei Familien von Amtswegen bekommen, bleibt im Gespräch im Unklaren. Zumindest scheint das Jobcenter seiner Mutter und der Familie nach dem Brand am 2. Januar einen Vorschuss gegeben zu haben - zusammen 700 Euro.

Auf dem Bescheid des Jobcenters steht aber auch, dass die 200 Euro für den Onkel vom Auszahlungsbetrag für Februar abgezogen werden. Von den Geldern sind „vielleicht noch 300 Euro übrig“, sagt Boris. Bei 15 Personen würde das Geld schon vor Monatsende sicher knapp werden. „Lebensmittel sind teuer geworden.“

Tristesse pur: Hinter den vergitterten Fenstern der Wohnung im Block links befindet sich so etwas wie ein Lager, durch die Fenster sind Bettgestellen und verpackte Matratzen zu sehen.
Tristesse pur: Hinter den vergitterten Fenstern der Wohnung im Block links befindet sich so etwas wie ein Lager, durch die Fenster sind Bettgestellen und verpackte Matratzen zu sehen. © Nikos Kimerlis

Dazu kommen noch 130 Euro, die Maurice Klimowski, der Rotthauser Nachbar, in einer „Spendenaktion auf dem Rotthauser Markt mit den Falken“ eingesammelt und den Brandopfern übergeben hat. Außerdem versucht Klimowski über die Plattform „gofundme“ 5000 Euro für die Brandopfer zu sammeln, bislang sind 90 Euro zusammengekommen.

Anke Schürmann-Rupp, die Chefin des Gelsenkirchener Jobcenters, hat Verständnis für die Familien, mehr auszahlen lassen, als den Familien zusteht, kann auch sie nicht. „Sobald die Familien mit einer Wohnungsbescheinigung ihres neuen Vermieters bei uns vorstellig werden, übernimmt das Jobcenter die Kosten der Unterkunft in angemessener Höhe“. Wer glaubt, ihm stehe mehr zu, der könne Beschwerde einlegen. Sie habe den Fällen der Brandopfer Priorität eingeräumt, für Absagen etwaiger Vermieter könne das Jobcenter nichts.

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Schürmann-Rupp als auch Stadtsprecher Martin Schulmann betonen, dass Hilfe auch Eigeninitiative bedeute. „Das Sozialamt und auch die Wohnungshilfe beraten und unterstützen gern, und nach wie vor steht die Wohnungsnotfallstelle mit den Familien in Kontakt. Bei der Wohnungssuche ist aber vor allem eigenes Engagement gefragt. Ihre frühere Heimstatt haben die Familien auch durch eigenes Zutun gefunden.“