Gelsenkirchen-Neustadt. Trotz beliebter Angebote: Essener Kirchenbehörde gibt Gelsenkirchener Modell-Standort auf. Die Begründung überrascht sogar Propst Pottbäcker.
„Wir fahren ein Stück mit dir“ wirbt die katholische Kirche im Bistum Essen für ihr jugendpastorales Zentrum GleisX. Beheimatet in der Liebfrauenkirche an der Stolzestraße nahe dem Hauptbahnhof, soll dort Kirche für junge Menschen zwischen 16 und 35 Jahren durch neue Formate und Angebote „anders“ erlebbar gemacht werden. Nun ist die 2013 begonnene Reise zu Ende: Das Generalvikariat hat bei einem Info-Abend überraschend die geplante Schließung von GleisX bekanntgegeben. Die Begründung verwunderte allerdings selbst Propst Markus Pottbäcker, dessen St.-Augustinus-Pfarrei Eigentümerin der Immobilie ist.
Im Mai 2025 soll Schluss sein mit den speziell auf junge Erwachsene ausgerichteten Gottesdiensten, Konzerten, Ausflügen, Gesprächsangeboten und Proben des Chores „Lautsprecher“ - zumindest in der Gelsenkirchener Liebfrauenkirche. Das Bistum will derartige Formate für diese spezielle Zielgruppe nicht ersatzlos streichen, sondern in ein neues Konzept einbetten, das dezentral an verschiedenen Orten im Bistum realisiert werden soll. Der Name GleisX soll dabei nicht übernommen werden.
Essener Bistum begründet Aus von GleisX mit dem Sanierungsbedarf der Liebfrauenkirche
Als Begründung für das Projekt-Aus gibt die entsprechende Abteilungsleitung im Generalvikariat den Sanierungsbedarf in der Liebfrauenkirche an, die das Bistum von der Pfarrei St. Augustinus angemietet hat. Der bauliche Zustand habe „alle inhaltlichen Überlegungen zu GleisX überrollt“, so eine Pressemitteilung.
„Eine Sanierung würde mindestens einen Millionenbetrag kosten. Ein größerer Wasserschaden im Keller und Schäden am Dachstuhl zeigen, dass dieses Gebäude ein umfassender Sanierungsfall ist. Deshalb wird sich das Bistum mit GleisX aus der Liebfrauen-Kirche zurückziehen.“
Bistum Essen will einen Teil der Gelsenkirchener Angebote in ein neues Konzept überführen
Wie es weiter heißt, wolle man „künftig noch stärker dort mit jungen Menschen in Kontakt treten, wo diese bereits sind“ und sich dafür „passende Partnerorganisationen suchen“. Im Blick hat das Generalvikariat christliche Einrichtungen auf Stadt- und Kreisebene, kommunale Einrichtungen, Sport- und andere Vereine. Bis Juni 2025 soll dafür ein neues Konzept samt Veranstaltungs-Programm erarbeitet werden. Darin sollen auch „möglichst viele der beliebten Angebote“ des „einzigartigen Standorts“ überführt werden.
Die fünf Mitarbeitenden, die bei GleisX im Umfang von insgesamt zwei Voll- und zwei Teilzeit-Stellen beschäftigt sind, sollen ein Angebot erhalten, an anderen Stellen des Bistums im jugendpastoralen Bereich zu arbeiten.
Gelsenkirchener Propst kann Angaben des Bistums zu Sanierungskosten nicht nachvollziehen
Während das Generalvikariat mit Verweis auf „elf gute Jahre“ das Aus von GleisX als „traurig“ bedauert, reagieren andere Beteiligte betroffen, fassungslos und entsetzt - sowohl was die Schließung, als auch was die offizielle Begründung angeht: Propst Pottbäcker etwa zeigt sich überrascht, dass die Liebfrauenkirche seiner Pfarrei ein millionenschwerer Sanierungsfall sein soll.
„Diese Taxierung kann ich nicht nachvollziehen. Mir liegen dazu keine validen Daten in schriftlicher Form vor“, kritisiert er, offiziell erst am Morgen des Info-Abends am 19. November von der Entscheidung erfahren zu haben. Dass die Pfarrei als Vermieterin des Standorts zu keinem Zeitpunkt in die Überlegungen eingebunden worden sei, ärgert ihn besonders.
Gelsenkirchener Propst lobt gute Arbeit von GleisX-Team: Konzept ging auf
„Zwar gab es im April tatsächlich Schäden am Dach und im Keller, weshalb wir auch das Generalvikariat informiert haben. Aber die Summe, die dann für eine Reparatur im Raum stand, lag deutlich unter dem nun genannten Millionenbetrag. Wenn die Sanierung tatsächlich so aufwendig sein sollte, wäre das sicher eine schwierige Ausgangslage. Aber dafür zuständig wäre St. Augustinus und nicht das Bistum, das die Räume mietfrei nutzt und nur einen geringen Teil der Betriebskosten übernimmt“, so Pottbäcker.
Die gute und wertvolle Arbeit des GleisX-Teams sei der Propstei diese Investition jedoch wert gewesen, lobt Pottbäcker das Engagement der Mitarbeitenden vor Ort. Das Konzept, junge Erwachsene durch unkonventionelle Formate mit Gott und dem Glauben in Kontakt zu bringen, sei auf jeden Fall aufgegangen.
Katholische Jugend in Gelsenkirchen: Wurden vor vollendete Tatsachen gestellt
Ähnlich äußert sich auch Christoph Werecki, der als Priester und Jugend-Seelsorger seit mehr als sechs Jahren bei GleisX beschäftigt ist. Man habe die Besucherzahlen aus der Vor-Corona-Zeit wieder erreicht oder sogar überschritten: Je nach Veranstaltungsformat kämen zwischen 20 und 250 junge Erwachsene, auch aus Nachbarstädten wie Bochum, Duisburg oder Essen. „GleisX hat sich bewährt, es liegt nicht danieder.“
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Mit „großer Enttäuschung und wachsendem Unverständnis“ reagiert unterdessen der Bund Deutscher Katholiken (BDKJ) in Gelsenkirchen auf die Entscheidung, die ihm vor einer Woche mit Verweis auf die Personalsituation mitgeteilt worden sei. Auch er kritisiert scharf, dass die katholische Jugend und die Stadtkirche vor Ort vor vollendete Tatsachen gestellt worden seien. Das Generalvikariat sei auch nicht gesprächsbereit gewesen, als der BDKJ Vorschläge gemacht habe, wie GleisX an anderen Standorten der Emscherstadt fortgeführt werden könne, etwa in Ladenlokalen oder anderen Kirchen.
„Kollateralschaden“: Spanische und italienische Gemeinde verlieren ihre Heimat
„Besonders unverständlich ist die Begründung, dass die ohnehin knappen personellen Ressourcen künftig auf das gesamte Bistum ausgeweitet werden sollen und Gelsenkirchen deshalb aufgegeben wird. Finanzielle Überlegungen scheinen wichtiger zu sein als ein äußerst relevantes Angebot für eine Zielgruppe aufrechtzuerhalten, die die Zukunft der Kirche ist und bleiben soll“, erklären die BDKJ-Stadtvorsitzenden Maximilian Peis, Lukas Geier und Jeremy Brauer. Damit werde der gesamte kirchliche Auftrag, besonders in Brennpunkt-Lagen, in Frage gestellt. Letztlich werde dies den Trend zu Kirchenaustritten nur weiter verschärfen.
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Bis zum geplanten letzten Gottesdienst in GleisX am 4. Mai 2025 sollen alle vorgesehenen Angebote fortgeführt werden. Wie es danach weitergeht - diese Frage dürfte auch andere Akteure umtreiben, die am GleisX-Standort eine Heimat gefunden haben: Die spanische und die italienische Gemeinde feiern dort regelmäßig muttersprachliche Gottesdienste, und auch der BDKJ betreibt dort ein Büro. „Sie werden dort auf Dauer nicht mehr bleiben können, wenn die Pfarrei St. Augustinus die Kirche nicht mehr halten kann“, bedauert Pottbäcker diesen „Kollateralschaden“. Wie ab Mai die nicht mehr für Gottesdienste benötigte Liebfrauenkirche genutzt werden könnte, müsse der Kirchenvorstand erörtern.