Gelsenkirchen-Bulmke-Hüllen. Vom Weltkriegsbau zum Mehrfamilienhaus: Wie der Bauherr in Gelsenkirchen auf Nachhaltigkeit und Komfort setzt. Einige NS-Spuren will er erhalten.
Schöner wohnen in einem Hoch-Bunker? Mit großen Fenstern, Balkonen und Sauna auf der Dach-Terrasse? Wer den düster wirkenden Beton-Koloss an der Vandalenstraße in Gelsenkirchen-Bulmke kennt, braucht dafür viel Fantasie. Lucas Braecklein hat sie: Seit November 2022 lässt der „Transformations-Architekt“ und Geschäftsführer der Iproton GmbH das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg zu einem Mehrfamilienhaus umbauen. Doch so modern dieses auch gestaltet sein wird: Einige Spuren aus der Nazi-Zeit sollen erhalten bleiben.
45 Meter lang, jeweils 16 Meter hoch und tief: Alleine schon mit seinen gewaltigen Ausmaßen prägt der fensterlose Bunker das Quartier in Bulmke-Hüllen. 1941 errichtet, bot er vielen Menschen im Zweiten Weltkrieg Schutz vor Bombenangriffen. Nach 1945 jedoch mahnte er nur noch an eine dunkle NS-Vergangenheit. Einen „Schatz, der gehoben werden will“ (O-Ton Braecklein), sahen die wenigsten in ihm.
Bauherr hat zehn Jahre nach einem Bunker wie dem in Gelsenkirchen gesucht
Der in Herne-Wanne-Eickel lebende Architekt hingegen hat nach eigenen Angaben zehn Jahre nach solch einem Luftschutz-Gebäude im Ruhrgebiet gesucht, um dort seine Vorstellungen von einer „Transformation“ zu verwirklichen: eben einen besonderen Altbau zu neuem Leben zu erwecken. Freilich mit viel Geld, Aufwand und Mühe.
Zwei Jahre ist es mittlerweile her, da wurden die ersten Quader aus den zwei Meter dicken Betonwänden herausgeschnitten. Dass es knifflig werden würde, dem Koloss 375 Quader für 69 Fensteröffnungen abzuringen, war Braecklein klar. Dass das Unterfangen so aufwendig würde, jedoch nicht.
Löcher in die Betonwände des Gelsenkirchener Bunkers zu schneiden, war eine echte Herausforderung
„Diese Bauphase hat am Ende ein Jahr mehr Zeit gekostet als veranschlagt“, berichtet er bei einer Führung vor Ort und weist auf die massiven Wände. Löcher neben den Fensteröffnungen zeugen noch von dem speziellen Verfahren: Sie wurden zunächst in den Beton gebohrt, um einen Ansatzpunkt für die Diamant-Seilsägen zu schaffen, mit deren Hilfe fast wandhohe Blöcke herausgeschnitten wurden. Diese wurden wiederum in kleinere, rund 12,5 Tonnen schwere Quader unterteilt, um sie per Hydraulik-Verfahren herauszudrücken und von einem Kran auf dem Boden platzieren zu lassen.
„Am schwierigsten war es jeweils, den ersten Block in einer Längsreihe herauszulösen, weil er sich trotz konischen Zuschnitts verkanten konnte. Das dauerte auch schon mal bis zu vier Stunden. Zum Glück haben wir Anfang November die letzten Quader herausgeschnitten, sodass wir jetzt an den Innen-Ausbau gehen können“, so der 46-Jährige, der dem Weltkriegs-Bau 29 Wohneinheiten mit 45, 56, 64 und 105 Quadratmetern Fläche abtrotzt. Dazu gehört ein viergeschossiger Anbau mit vier Wohnungen von jeweils 105 Quadratmetern, der an der Ecke zur Dorotheenstraße entstanden ist.
Im Gelsenkirchener Bunker durften keine Männer zwischen 16 und 70 Jahren Schutz suchen
Drinnen im Gebäude ist‘s auffallend hell, so viel Licht fällt durch die neu entstandenen Öffnungen herein. Sie gewähren den Blick auf nackte Betonwände, die noch Spuren der Vergangenheit tragen. „Schleuse“ steht da etwa in großer schwarzer Frakturschrift, und Braecklein erklärt, was damit gemeint ist: „Dieser Vorraum sollte den Druck einer Bombe brechen, die womöglich vor der Tür niedergeht.“
Ein paar Meter weiter finden sich weitere verwitternde Schriftzüge: „Personen mit übertragbaren Krankheiten sowie Inhaber von Wohnungen mit Ungeziefer ist das Betreten verboten“, heißt es an einer Ecke, Grammatikfehler inklusive. An einer anderen prangt die Anweisung: „Männlichen Personen im Alter von 16 bis 70 Jahren ist der Zutritt zum Schutzraum nicht gestattet.“ Bracklein: „Hintergrund war ja, dass Männer an der Front kämpfen sollten.“
Anweisungen in alter Frakturschrift aus der NS-Zeit sollen in Gelsenkirchener Bau erhalten bleiben
So sehr diese Schriftzüge an eine dunkle Zeit erinnern: Der Architekt will sie nicht unter Putz oder Farbe verstecken, sondern öffentlich sichtbar erhalten. „Mir liegt viel daran, dass die Leute auch nach dem Umbau noch erkennen, wofür das Gebäude genutzt wurde. Der Bereich mit den Schriftzügen im Erdgeschoss wird später als Kellerersatz genutzt, da passt das.“ Als stumme Zeitzeugen sollen nicht zuletzt einige der 375 Quader selbst dienen, die - farbig gestaltet - an der Außenwand gestapelt werden.
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Ganz oben plant der Iproton-Inhaber eine Dach-Terrasse mit Sauna, zugänglich für alle Mieter. Eine gemeinschaftliche Nutzung soll es nach vorheriger Anmeldung im Wechsel auch für eine Gäste-Wohnung im Erdgeschoss geben, ebenso wie für die zwei E-Lastenräder und zwei E-Fahrzeuge. „Wer hier wohnt, braucht nicht zwingend ein Auto, sondern kann sich per Car-Sharing eins ausleihen.“
Wieso das Bunker-Projekt in Gelsenkirchen besonders nachhaltig ist
Auch sonst setzt Braecklein auf Nachhaltigkeit: Eine Photovoltaik-Anlage auf dem riesigen Flachdach soll genügend Energie für die komplette Heizung liefern, lediglich für die Haushalte müsse Strom zugekauft werden. Die Fassadenbegrünung mit wildem Wein soll das Mikroklima vor Ort verbessern. „Ganz besonders wirkt sich allerdings die Grundlage dieses Projekts aus: Dadurch, dass wir einen Altbau nutzen, sparen wir extrem viel Kohlendioxid ein. Die Schnittkanten der Öffnungen in den Wänden nehmen sogar noch zusätzlich CO₂ auf, weil der innenliegende Beton auch nach mehr als 80 Jahren noch nicht ganz getrocknet ist.“
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Wenn alles glattgeht, können im Spätsommer 2025 die ersten Mieterinnen und Mieter der (frei finanzierten) Wohnungen einziehen. Zu welchem Mietpreis, sei noch nicht ganz klar, sagt Braecklein. „Die einjährige Verzögerung hat das Projekt ja um rund 200.000 Euro auf rund 5,2 Millionen Euro verteuert.“ Fest steht allerdings, dass der Herner selbst dort einziehen wird samt Frau und drei Kindern im Alter von elf, 14 und 15 Jahren. Der mitunter schlechte Ruf von Bulmke-Hüllen schreckt ihn nicht. „Ich wohne in Wanne-Eickel, da ist es ähnlich. Aber ich bin nun mal überzeugter Ruhrgebietler.“
Freilich einer mit lokalhistorischem Interesse: Zeitzeugen, die 1941 bis 1945 im Bunker Schutz gesucht haben, werden gebeten, sich mit der Iproton GmbH in Verbindung zu setzen, um von ihren Erlebnissen zu erzählen: Telefon 02363 466 08 09