Gelsenkirchen. Von Hartz-IV zum Top-Seller: Das Gelsenkirchener Unternehmen Navahoo ist bekannt für seine Jacken. Jetzt ist es auch offizieller Schalke-Partner.
Seit vielen Jahren schon vergibt der „International Business Club“ (IBC) auf seiner alljährlichen Gala auf Schloss Berge den Integra-Award. Für ihre Integrität und besondere Integrationsleistung geehrt wurden Ärztinnen und Politiker, Wissenschaftler und Fußballer – nur eigenartigerweise bislang nie Unternehmer mit türkischen Wurzeln. Und das, obwohl der IBC selbst eigentlich ein türkeistämmiger Unternehmerverein ist. Offenbar wollte man auf eine besondere Aufstiegsgeschichte warten. So eine wie die der Gelsenkirchener Firma Navahoo, die seit 2016 vor allem für ihre Jacken bekannt ist
Navahoo ist seit Anfang August offizieller Schalke-Partner
Tickets fürs damalige Parkstadion konnte sich Selim Sayan, der Gründer und Chef des Mode-Unternehmens, lange nicht leisten. „Früher hatte ich nur die Zaun-Karte“, gibt er auf einem Talk zur Gala zu. Die „Schulden für die nicht bezahlten Tickets“ habe man aber mittlerweile begleichen können: Seit Anfang August ist die Navahoo GmbH auf der Bande in der Veltins-Arena sichtbar und offizieller Partner des FC Schalke 04.
Zeitlich nicht weit auseinander lag die Bekanntmachung der neuen Partnerschaft mit der Erweiterung des Firmengeländes am Schalker Verein. Erst in diesem Jahr vergrößerte Sayan seinen Firmensitz um einen weiteren, 7200 Quadratmeter großen Neubau. Dem ausgerufenen Ziel seiner Firma, „dass in jedem deutschen Haushalt eine meiner Jacken getragen wird“, kommt der gebürtige Gelsenkirchener anscheinend näher: „Jeder kennt Zalando“, sagte er. „Wir sind einer der stärksten Händler, die Zalando hat.“
Navahoo-Gründer hat sich wochenlang nur von Tütensuppen ernährt
Sein Erfolgsrezept: Die Jacken sollen für Wohlhabende nicht billig wirken, aber auch Bürgergeld-Empfänger sollen sie sich leisten können. Schließlich wisse man ja selbst, wie es sei, von Hilfsleistung leben zu müssen: Nachdem sein erstes Textil-Geschäft insolvent ging, musste Sayan mit seiner Frau und seinen beiden Kindern sieben Jahre lang mit 600 Euro im Monat auskommen.
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„Wir haben gekämpft, es war eine schwierige Zeit, die dank meiner Frau…“: Als er das sagt, muss er stoppen, tief schlucken. Die Erinnerungen an früher gehen ihm nahe. Dass unternehmerischer Erfolg von Niederlagen, von Blut, Schweiß und Tränen lebt, das ist bei Selim Sayan alles andere als eine Plattitüde. Mit 50 Euro in der Tasche reiste er damals nach China, mit einer durchdachten Geschäftsidee in der Tasche, ernährte sich „wochenlang nur von Tütensuppen“ und knüpfte die Netzwerke, die seine Firma jetzt groß machen. Im Ausland wird die vegane Outdoor-Kleidung heute hergestellt, von Gelsenkirchen aus vertrieben. Der Umsatz: Grob „das 42-Fache“, von dem, was Sayan spendet. Wofür, das will er nicht sagen, getreu dem islamischen Grundsatz, Wohltat diskret zu behandeln.
Bottroper Geschäftsmann, gebürtiger Gelsenkirchener: Ergin Baytemür investiert in die Menschen
Selim Sayan ist nicht der einzige Unternehmer mit türkischen Wurzeln, der an diesem Abend den Integra-Preis bekommt. Mit ihm auf der Bühne sitzt Ergin Baytemür, gebürtiger Gelsenkirchener und schon seit dem zarten Alter von 22 Jahren Chef der Baytemür GmbH in Bottrop. Autoteile sind das Kerngeschäft des Familienbetriebs, später schuf man auch eine Tank- und Rastanlage oder machte aus einer Mercedes-Niederlassung eine „Auto-Mall“. Mittlerweile beschäftigt Baytemür an die 100 Mitarbeiter, sozial engagiert er sich in Waisenhäusern, in einem Internat im zentralafrikanischen Tschad oder in lokalen Moscheevereinen.
Eine seiner Kernbotschaften an diesem Abend: „Die beste Investition, die man machen kann, ist in den Menschen.“ Jeder, egal ob links oder rechts ausgerichtet, würde am Ende gleich ticken: „Wenn man ihm etwas Gutes tut, antworten er mit etwas Gutem.“ Verbunden ist mit diesem Glauben auch eine Hoffnung: „Deutschland nimmt jedes Jahr so viele Flüchtlinge und Migranten auf. Ich wünsche mir, dass all diese Leute in 30 Jahren sagen: Wir bringen das Boot, in dem wir gemeinsam sitzen, mit dem Paddel nach vorne. Sodass gesagt wird: Toll, dass wir euch alle aufgenommen haben.“
„Starte wie ein Türke, lande wie ein Deutscher“
Viel geht es an diesem Abend auch um die geteilte Identität als Deutsch-Türken, die Vorteile, als Unternehmer zwei Sprachen und zwei Kulturen gut zu kennen. „Ich habe nie verstanden, dass man diese Herkunft als Nachteil ausgelegt hat“, sagt Moderator und IBC-Präsident Ali-Riza Akyol, der sich auch im Stadtrat für die WIN-Fraktion engagiert. „Dabei ist diese Herkunft ein Juwel, eine Stärke von uns.“ Das Herzliche, Spontane, Familiäre, das Migranten oft zugeordnet werde, könne man verknüpfen - mit dem Planerischen, Strukturierten, Weitsichtigen, das man gemeinhin als klischeehaft Deutsch betrachtet.
Diese Eigenschäften hätten Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg groß gemacht. „Aber wenn wir uns die aktuellen Probleme des Landes ansehen, dann hat das auch viel mit der Kultur in Deutschland zu tun“, sagt Bülent Arslan – Geschäftsführer der Düsseldorfer Beratungsfirma IMAP, ehemaliges Mitglied im CDU-Landesvorstand und dritter Integra-Preisträger in diesem Jahr. In einer Welt, die immer schneller und digitaler wird, tue sich der planerische Deutsche mit seinem strukturellen Vorgehen schwer, meint er. Migranten, die besser improvisieren könnten, naturgemäß vielleicht anpassungsfähiger seien, könnten da „eine unglaubliche Stärke für die deutsche Wirtschaft sein.“ Erfolgreich sei der, der verschiedene Kulturen bestmöglich für die Firma nutze.
Einen „schöner Spruch“, der da vielleicht in mehr deutschen CEO-Büros hängen könnte, kennt Arslan hierzu auch: „Starte wie ein Türke“, so der Unternehmer, „und lande wie ein Deutscher“.
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