Gelsenkirchen. Verena Urbanski aus Gelsenkirchen hat einen ungewöhnlichen Job. Damit Angehörige Abschied nehmen können, rekonstruiert sie die Körper der Toten.

Thanatos – der Gott des Todes in der griechischen Mythologie. Wenn man selbst an das Ende denkt, scheint alles düster, mitunter auch bedrohlich, vor allem aber immer: traurig. In Gelsenkirchen, genauer in Schalke an der Breslauer Straße, gibt es einen Ort, an dem Tod so ganz anders daherkommt. Mit viel Wärme, mit viel Zugewandtsein. Vor allem aber mit Würde. Verkörpert durch eine junge Frau: Verena Urbanski, 44 Jahre alt, Bestattungsfachkraft und Thanatopraktikerin, eine von wenigen in Deutschland.

Gelsenkirchen: So macht Thanatopraktikerin Verena Urbanski Tote schön

Thanatopraxie, das ist das Feld im Bestattunggewerbe, in dem sich Verena Urbanski schon vor einigen Jahren fort- und weitergebildet hat. Die Thanatopraxie „widmet sich in der Praxis der hygienischen und darüber hinaus der ästhetischen Totenversorgung“, heißt es auf der Homepage des Vereins „Bundesverbands Deutscher Bestatter“. Anders formuliert: Mithilfe von besonderer Technik und natürlich auch Chemikalien wird der Leichnam konserviert, haltbar gemacht, der Verwesungsprozess verzögert, immer abgestimmt auf die jeweiligen Umstände.

Auch das gehört zu Verena Urbanskis Arbeits-Utensilien: Scheren und Pinzetten, die eher an eine Arztpraxis erinnern.
Auch das gehört zu Verena Urbanskis Arbeits-Utensilien: Scheren und Pinzetten, die eher an eine Arztpraxis erinnern. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Wenn etwa eine Tote oder ein Toter ins Ausland überführt werden muss, ist eine vorhergehende thanatopraktische Behandlung in manchen Ländern Vorschrift – auch, um möglichen Krankheiten oder Seuchen vorzubeugen. Das wahrscheinlich krasseste Beispiel einer Konservierung: der Leichnam des Kommunisten-Führers Lenin, der seit 1924 bis heute öffentlich in einem Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau liegt – und alle zwei Jahre aufs Neue aufbereitet werden muss.

Trauer in Gelsenkirchen: Abschied erster Punkt auf der Liste der Trauerarbeit

Das Ziel einer solchen Behandlung ist also klar, ab von Lenin: das Erscheinungsbild einer, eines Verstorbenen zu erhalten oder es wiederherzustellen, beispielsweise nach einem Unfall, um eine spätere Aufbahrung am offenen Sarg zu ermöglichen. Das große Thema Abschied sei schließlich „der erste Punkt auf der Liste der Trauerarbeit“, weiß auch Simon Urbanski, Geschäftsführer der Menge Gruppe, zu der auch das Bestattungshaus Bergermann gehört, und gleichsam auch Verena Urbanskis Mann.

Verena Urbanski ist Bestattungsfachkraft und ausgebildete Thanatopraktikerin in Gelsenkirchen: „Ich möchte, dass die Angehörigen so gut und seelenschonend es geht durch die Trauer kommen.“
Verena Urbanski ist Bestattungsfachkraft und ausgebildete Thanatopraktikerin in Gelsenkirchen: „Ich möchte, dass die Angehörigen so gut und seelenschonend es geht durch die Trauer kommen.“ © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Mittlerweile würden immer mehr Menschen eben dieses Angebot wahrnehmen, sich von einem geliebten Menschen ganz persönlich, ganz unmittelbar, vielleicht sogar mit einer Berührung, einem Kuss zu verabschieden. Das zeigt auch einen gewissen Wandel in der Trauerkultur, die Simon Urbanski in der Retrospektive als „sehr sehr konservativ“ und wenig offen beschreibt.

„Die Haut eines Toten atmet ja nicht mehr, da zieht dann nichts mehr ein“

Der Ort, an dem Verena Urbanski den Großteil ihrer Arbeitszeit verbringt, ist glänzend weiß gefliest. An den Wänden hängen auf der einen Seite eine ganze Reihe von Arbeits- und Schutzkleidung, auf der anderen drei großflächige Poster, die einen Menschen mit all seinen Muskeln, seinen Venen und seinen Arterien zeigen. In den Schränken finden sich Shampoo, Duschgel, Rasierschaum, aber auch Verbandsmaterial, Nadel und Faden, ein Haartrockner – und Theaterschminke und spezielle Air-Brush-Farben: „Die Haut eines Toten atmet ja nicht mehr, da zieht dann nichts mehr ein.“

In der Mitte des Raumes steht eine Liege aus Edelstahl. Hier also liegen sie, die Toten, um schön gemacht zu werden. Fühlt sich weniger befremdlich an als gedacht. Frisch ist es, und sonst? Steril, sehr sauber – und doch wird in genau diesem Raum ein großes Gefühl von Wärme erzeugt. Wenn Verena Urbanski ihre Arbeit macht. Die Mutter von drei Kindern sieht es als letzte liebevolle Geste, die man einem Menschen auf seinem letzten Weg mitgeben kann.

Weil Kosmetik für Lebende nicht halten würden, schminkt Verena Urbanski die Verstorbenen mit Theaterschminke.
Weil Kosmetik für Lebende nicht halten würden, schminkt Verena Urbanski die Verstorbenen mit Theaterschminke. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Ein wenig unscheinbar auf einem Rollwagen an der gekachelten Wand steht eines von Verena Urbanskis wohl wichtigsten Arbeitsgeräten: der „Frigid Fluid“, eine High-Tech Einbalsamierungs-Maschine, bestellt in den USA, mit zwölf Litern Fassungsvermögen. Im Tank des Frigid Fluid werden individuell berechnete Mischungen aus Wasser und Chemikalien, vorrangig Formalin, zubereitet. Mithilfe einer Kanüle gelangt eben diese Flüssigkeit über die Arterien an die gewünschten Stellen des Körpers. Für die Thanatopraxie brauche es demnach auch „umfangreiches anatomisches Wissen“, weiß Verena Urbanski.

DeathCare Embalmingteam Germany

Die 44-jährige Verena Urbanski ist Mitglied in dem Verein „DeathCare Embalmingteam Germany“, einer deutschen Hilfsorganisation mit Sitz in Wörth am Rhein. Die Organisation bietet in Katastrophenfällen, wie etwa bei Erdbeben oder Überflutungen und anderen Naturkatastrophen, weltweit ehrenamtliche Hilfe und Unterstützung an. So waren Helferinnen und Helfer beispielsweise auch bei dem schweren Erdbeben in der Türkei vor Ort, um die Verstorbenen fachmännisch zu bergen und zu bestatten.

Einen Einsatz für DeathCare hatte Verena Urbanski allerdings noch nicht. In ihrem Keller steht aber alles bereit, falls ein Anruf kommen sollte und ihr Engagement irgendwo auf der Welt gebraucht wird.

Weitere Informationen zu dem Verein gibt es im Netz unter deathcare.de

„Die Familie muss die Möglichkeit haben, direkt an den Verstorbenen heranzutreten“, das sei ihr wichtig. Und sie spricht etwas an, dass sie vielleicht als Nächstenliebe bezeichnen würde: „Ich möchte, dass die Angehörigen so gut es geht durch die Trauer kommen“, so „seelenschonend wie möglich.“ Und genau dabei könne die Thanatopraxie helfen.

„Ich mag es gerne ganz ruhig“, antwortet Verena Urbanski auf die Frage nach der Umgebung, in der sie gerne arbeitet. Dazu gehören fest Abläufe, zuerst wechselt sie ihre Kleidung, tauscht die normalen Klamotten gegen grünen Schutzkittel, legt Maske und Gesichtsschild an. Zu jeder Versorgung eines Verstorbenen gehört das Waschen, das Desinfizieren, das Ankleiden – und auf speziellen Wunsch dann eben auch die thanatopraktische Behandlung.

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Dass die Rheinhauserin, die eigentlich ausgebildete Lokführerin ist und erst im zweiten Berufsanlauf zur Thanatopraktikerin wurde, den Weg zu dieser besonderen Arbeit fand, hat indes noch einen weiteren, einen familiären Ursprung: Ihr Schwiegervater Bernd Menge, Begründer des gleichnamigen Bestattungshauses in Duisburg, war Anfang der 90er Jahre einer der ersten Thanatopraktiker in Deutschland.