Gelsenkirchen. „Der schöne Mika“ aus Gelsenkirchen trägt Porno-Brille und Cowboy-Stiefel. Wie ist er an den Mercedes von Kiez-Legende „Inkasso Henry“ gekommen?
Er nennt sich „Der schöne Mika“ und ist sich für kein Klischee zu schade – so scheint es. Denn wenn man Can Mikael trifft, also im wahren Leben und eben nicht in den sozialen Medien, ihm zuhört, dann ist der Gelsenkirchener vor allem eins: ein ganz bodenständiger junger Mann mit einer großen Liebe zu seiner Familie. Gut, das Auto an seiner Seite ist ein echter „Luden-Benz“, einst gefahren von Kiez-Größe „Inkasso Henry“. Und dann ist da noch Mikas Aussehen: Cowboy-Stiefel, Schmacht-Locken, Porno-Brille. So sieht doch kein 20-Jähriger im Jahr 2024 aus! Und fährt dazu noch so eine Karre. Doch tut er, und das aus vollen Stücken – „man kann das gar nicht glauben, oder?“, fragt Mika und lacht.
Porno-Brille, Schmacht-Locken, Cowboy-Stiefel: Dieser Gelsenkirchener hat das Zeug zur Kunstfigur
Zugegeben: „Ich laufe nicht immer so rum“, sagt er demnach auch, öffnet den Kofferraum seines Benz und hält wie zum Beweis ein paar Nikes in die Höhe. Für den Pressetermin im Schatten des Herkules im Nordsternpark hat er sich aber „extra in Schale geworfen“, würde man in den 80ern wohl sagen. Und seinen Mercedes Benz 380 SEL hat Mika auch gleich mitgebracht, blank geputzt, die Gummis noch mit Reifenglanz poliert. 300.000 Kilometer runter, 3,8 Liter Hubraum, 218 PS, den Playboy mit dem Erscheinungsdatum der ersten Zulassung vom Oktober 1981 auf der Hutablage – dieses Auto ist sein ganzer Stolz. Und der der Familie. Denn darum geht es ja auch.
„Dass dieser Wagen mal nach Gelsenkirchen kommen würde, hätte ich selber nicht gedacht“, sagt Mika. Diese olivgrüne, über 40 Jahre alte S-Klasse mit dem Stern auf der Haube kannte wohl ziemlich jeder auf der Reeperbahn. Von Hamburg nach Gelsenkirchen, von der Reeperbahn-Legende zum Gelsenkirchener Jung.
Mika erinnert sich, erzählt von seinem „Oppa“ Klaus, genannt „Kuki“, der ja stadtbekannt gewesen sein muss, den jeder grüßte, weil er mit seinem riesigen Lkw die Kokskohle zu den Menschen brachte, und der genau dasselbe Modell gefahren habe wie einst Inkasso Henry. Die Automarke aus Stuttgart gehörte, seit Mika denken kann, zu seiner Familie. „Als Kind war das eine Faszination für mich, ich habe mich immer gefreut, wenn Oppa mich damit von der Schule abgeholt hat“, erzählt der junge Horster. Der 500 SE als Familienmitglied, bis er 2019 eben diese Familie verlassen musste und nach München verkauft wurde. „Ich habe dann zwei Jahre den Käufer genervt“, berichtet Can Mikael – mit dem großen Ziel: Oppas Wagen wieder nach Hause zu holen. Er macht sich auf die Suche nach einem ähnlichen Modell, schlägt dem Käufer einen Eins-zu-eins-Tausch vor und der Plan geht auf.
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Nach zwei Jahren Stillstand und mit frischer Batterie sprang das Auto damals in München direkt wieder an – „der wusste einfach: Es geht nach Hause.“ Da sei er erstmal glücklich gewesen, berichtet Mika, der im wahren Leben nichts mit dem Kiez und der Szene zu tun hat, der Alltagshelfer in einer Gelsenkirchener Grundschule ist und zeitweise nach dem Tod seines Großvaters bei der „Omma“ wohnt.
Die Faszination für genau dieses Modell lässt den jungen Mann nicht mehr los. Oppas Karre soll nicht alleine bleiben. Mika googelt immer mal wieder nach der W126-Baureihe, wie sie unter Fachleuten heißt. Und so kommt der Horster Jung zur Reeperbahn-Karre, stößt im Netz auf die Verkaufsanzeige. „Den Wagen kennt im Norden jeder“, habe sein Vater da zu ihm gesagt. 2021 war das, mittlerweile habe er natürlich auch Geld reingesteckt, über den Verkaufspreis möchte Can Mikael aber dann lieber nicht sprechen. Er verrät nur so viel: „Gut gepflegte Modelle fangen bei 10.000 Euro an.“
Vor vier Jahren stirbt Mikas Mutter an einem Gehirntumor, da ist er 16. Als er zehn Jahre alt ist, bricht die Diagnose über die Familie herein. Schwierige Zeiten seien das gewesen, da habe er mit „materiellen Sachen versucht, sich zu erfreuen.“ Heute sagt Mika, der längst in den sozialen Medien mit seinen Videos über Inkasso Henry und sein Auto Bekanntheit erlangt hat, er sei „sehr bodenständig, sehr erwachsen“, habe schon früh lernen müssen, selbstständig zu sein. „Ich habe der Familie viel zu verdanken, wir haben auch in schwierigen Zeiten immer zusammengehalten.“ Der schöne Mika ist kein Prolet.
Aber wie passt das mit Reeperbahn, Rotlicht und Luden-Aussehen zusammen? „Ich möchte das Thema auf gar keinen Fall verherrlichen“, betont Mika. Das sei natürlich ein Tabu-Thema gewesen, sei es ja auch heute noch, aber es habe zu den 80ern einfach auch dazugehört. Und zu den 80ern hat der 2003 geborene Gelsenkirchener eben einen besonderen Hang, ist durch seine Eltern daran gekommen. Er hört gerne die Musik von AC/DC, ZZ Top, Simple Minds, Modern Talking oder C.C. Catch.
Seine Hoffnung bei all seiner 80er-Nostalgie: Noch mehr Jugendliche in seinem Alter anzusprechen, dass sie auch Gefallen finden, an der klassischen Technik und den alten Autos. Mit seinen Videos, seiner Erscheinung, seinem Wagen will Mika aber auch: auffallen. Tut er, am Rande des Nordsternplatzes schauen sie alle, viele lächeln. Und dann wirft er kurz die Haare zurück, steigt in die Luden-Karre, fährt mit sattem Motorengeräusch vom Platz. Vielleicht nach Hause zur „Omma“, vielleicht aber auch in die Lieblings-Eisdiele nach Horst.