Gelsenkirchen-Buer. Ein Eigentümer in Gelsenkirchen-Buer soll eine denkmalgeschützte Skulptur restaurieren. Die stammt von einem Lieblingskünstler Hitlers. Und nun?
„Ich werde doch keine Nazi-Statue restaurieren!“ Christian Schneider ist empört. Schneider ist Mitglied der Erbengemeinschaft, der das Haus an der Goldbergstraße in Gelsenkirchen-Buer gehört, das zurzeit wegen eines einsturzgefährdeten Giebels eingerüstet ist. Eigentlich sollten die Bauarbeiten schon weiter fortgeschritten sein – doch jetzt gibt es Streit um eine Skulptur mit brauner Vergangenheit.
Ende August musste das Haus auf der Ecke zur Urnenfeldstraße kurzfristig geräumt und gesperrt werden, die Begründung: akute Einsturzgefahr. Die Hauseigentümer hatten zuvor einen Statiker mit der Untersuchung des Gebäudes beauftragt, der hatte im Bereich der Giebelwand eine ungenügende Standsicherheit festgestellt. Zuvor seien Undichtigkeiten aufgetreten. Die Eigentümer informierten die Stadt, die reagierte prompt und erließ ein Betretungsverbot für das komplette Gebäude. Zu den Mietern gehören das Ingenieurbüro Dr. Pecher sowie das Restaurant Sabe Mente im Erdgeschoss, außerdem ist in dem Haus ein Büro der Stadt Gelsenkirchen untergebracht.
Gelsenkirchener Haus ziert Skulptur von Josef Thorak
Inzwischen kann das Haus wieder betreten werden, auch das Restaurant hat wieder geöffnet. Teile der Giebelwand wurden bereits abgetragen. Doch jetzt gibt es neuen Ärger – und der betrifft die große Skulptur, die sich mittig auf der Giebelwand befindet. Das Kunstwerk, das die germanische Fruchtbarkeitsgöttin „Herta“ (oder „Hertha“) darstellen soll, wurde 1928 von dem österreichischen Bildhauer Josef Thorak erstellt. Die Hausbesitzer würden die Figur gerne so schnell wie möglich abmontieren. Zum einen, weil sie ebenfalls einsturzgefährdet ist – zum anderen, weil der Bildhauer historisch höchst umstritten ist.
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Thorak, 1889 in Wien geboren, galt während der Herrschaft der Nationalsozialisten als einer der populärsten Bildhauer und prägte mit seinen monumentalen, heroischen Figuren die Ästhetik dieser Zeit. Statuen von Thorak standen etwa auf dem Olympiagelände in Berlin. 1943 nahm Adolf Hitler Thorak persönlich als Mitglied in die NSDAP auf, vom Kriegsdienst war er befreit, weil er auf der „Sonderliste“ der zwölf wichtigsten, „unersetzlichen“ bildenden Künstler stand.
Stadt Gelsenkirchen: Größere Planung ist nötig
Die Figur am Haus in Buer stammt zwar von 1928, nimmt aber die Formensprache der Nazizeit schon vorweg. Christian Schneider sei der Hintergrund der Skulptur gar nicht bewusst gewesen, sagt er. Damit auseinandergesetzt habe er sich erst, als er sich an die Stadt Gelsenkirchen mit der Bitte wandte, die Skulptur abmontieren zu dürfen. Denn: Sowohl das Gebäude als auch die Thorak-Statue stehen unter Denkmalschutz
Doch so einfach, wie Schneider gehofft hatte, ist die Sache offenbar nicht – das geht aus einem Mailverkehr mit der Unteren Denkmalbehörde hervor, der dieser Redaktion vorliegt. „Es handelt sich hier um eine komplexe Aufgabenstellung, die nicht ohne größere Planung erfolgen kann“, heißt es in einer Mail der Behörde. Aus restauratorischer Sicht scheine es „dringend erforderlich, die Figur notzusichern, behutsam zu demontieren und in eine Werkstatt zur weiteren Bearbeitung zu bringen“, schreibt die Behörde weiter. Dafür brauche es eine eigene Genehmigung: „Der nun erforderliche Umgang mit der ‚Herta‘ ist ein eigenes denkmalrechtliches Erlaubnisverfahren“, schreibt die Stadt. Dazu müsse die Figur von Experten begutachtet werden.
Dieses weitere Problem ist durch das Gerüst entstanden
Das kostet alles Zeit, und das heißt für die Hausbesitzer: Das Gerüst bleibt vorerst stehen, sehr zum Unmut von Christian Schneider. Der wehrt sich und will die Skulptur so schnell wie möglich entfernen: „Jeder sollte froh sein, dass dieser Ausfluss aus der schlimmsten Periode der deutschen Geschichte bald selbst Geschichte sein wird“, schrieb er der Stadt zurück. Ein Argument, das die Denkmalbehörde nicht gelten lassen will: „Denkmale sind Zeitzeugen, die auch einen Beitrag zur Vermittlung von Geschichte leisten, eine inhaltliche Bewertung ist nicht Aufgabe der Denkmalbehörden“, heißt es in der Antwort. Denkmale könnten auch gleichzeitig Mahnmale sein.
Das wiederum kann Schneider nicht nachvollziehen. „Ich bin völlig entsetzt darüber, dass eine Plastik eines nachgewiesen nationalsozialistisch durchdrungenen ‚Künstlers‘ auf unsere Kosten aufwendig restauriert werden soll“, so Schneider. Jetzt hat er der Stadt Gelsenkirchen eine Frist gesetzt: Bis zum 11. November solle ihm die Behörde die Genehmigung zum Abbau der Skulptur erteilen – ansonsten werde er die Kosten für die Baustellenvorhaltung der Stadt in Rechnung stellen.
Den wirtschaftliche Schaden für die Erbengemeinschaft beziffert Schneider schon jetzt auf etwa 150.000 Euro, inklusive der Mietausfälle in der Zeit, in der das Gebäude nicht betreten werden konnte. „Durch das Gerüst hat das Restaurant im Erdgeschoss deutlich weniger Gäste“, so Schneider. Ein zusätzliches Problem: Der Eingang zum Haus befindet sich unter einer Arkade, in Kombination mit dem Gerüst entsteht dort ein quasi sichtgeschützter Raum, in dem sich zwielichtige Personen aufhielten, wie Schneider berichtete. „Mitarbeiter des Ingenieurbüros berichteten, dass dort Drogen konsumiert würden“, so Schneider, „sie trauen sich inzwischen nur noch durch den Hintereingang ins Haus.“
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde der Vertreter der Erbengemeinschaft irrtümlich Christian Schreiner genannt. Richtig ist: Christian Schneider. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.