Gelsenkirchen. Der Gelsenkirchener Schauspieler Markus Kiefer rezitierte Texte von Erich Kästner. Gelungene Würdigung für einen wahrlich großen Autoren.
2024 steht ganz im Zeichen von zwei Erich-Kästner-Jubiläen: Vor 125 Jahren wurde er in Dresden geboren und vor 50 Jahren ist er in München gestorben. Gründe genug für die Buchhandlung Kottmann in der Altstadt, den beliebten Schriftsteller, Dichter und Drehbuchautoren noch einmal zu würdigen. Das schafften der Gelsenkirchener Schauspieler Markus Kiefer und Jimmy Hartwig als sein musikalischer Begleiter am Donnerstagabend mit einer Kästner-Lesung der höchst unterhaltsamen Sorte.
Erstes Kultur-Event nach dem Umzug in neue Umgebung
Kultur-Events dieser Art gehörten früher zum Standardprogramm der Altstadt-Buchhandlung Junius an der Sparkassenstraße. Seit deren Schließung im Juni 2024 ist die frühere Inhaberin Sabine Piechaczek mit Teilen ihrer alten Truppe ins Verkaufs-Team von Kottmann gewechselt. Und diese Kästner-Lesung war nun der erste Versuch, das alte Angebot auch in neuer Umgebung zu etablieren und somit fortzusetzen.
Ein Vorhaben, das funktionierte: Über 60 Interessierte sorgten dafür, dass auch die allerletzte Sitzgelegenheit in den Geschäftsräumen am Heinrich-König-Platz belegt war. Begrüßt wurden sie zunächst von Christina Njehu, der Filialleiterin und designierten neuen Eigentümerin dieser Buchhandlung. Sie freute sich nicht nur über das große Interesse, sondern vor allem, dass sich „zu den vielen bekannten auch so viele neue Gesichter“ gesellt hätten.
Die Buchhandlungs-Hunde streunten durch die Zuschauerreihen
Auch Dirk Niewöhner, der Noch-Inhaber dieses Buchladens, und Piechaczek richteten einige Worte an die Besucher. So erfuhren diese, dass die beiden Hunde, die durch den Laden streunten und offensiv Streicheleinheiten einforderten, offizielle Teammitglieder seien und auf die Namen „Sir Franklin“ und „Naldo“ hören. Und Piechaczek präsentierte einen schwarzen Zylinder als jenen Hut, in den das Publikum seinen Obolus als Dank für die beiden Künstler entrichten konnte.
Diese begannen gleich mit einem sehr eindringlichen Text von Kästner, der darin seine Gedanken und Gefühle schilderte, als er in Berlin der öffentlichen Verbrennung seiner eigenen Bücher durch die Nazis - angeführt von Chef-Propagandist und Hetzer Joseph Goebbels - beigewohnt hatte. „Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein“, trägt Kiefer vor. Man fühle sich dann, wie es Kästner einst so treffend beschrieb, „wie ein lebender Leichnam“.
Jimmy Hartwig sorgte für die passende musikalische Begleitung
Markus Kiefer, der zur Jeans und dem beigefarbenen Strickpullover eine dunkelblaue Schirmmütze trägt, schafft es allein durch seine Stimme, die Zuhörerschaft in seinen Bann zu ziehen. Sie ist sein Werkzeug. Er weiß, die Pausen in einzelnen Passagen gekonnt zu setzen. Er spielt gezielt mit seiner Tonlage. Und immer wieder rückt er seine Lesebrille auf der Nase gerade, wenn er in seinem giftgrünen Plastik-Schnellhefter zum nächsten Kästner-Text weiterblättert. Und das alles begleitet an der Gitarre von Jimmy Hartwig. Mal dezent-verspielt, mal dominant und aufrüttelnd.
Doch Kiefer rezitiert nicht nur. Er singt auch. Das verleiht den mal bitterbösen, mal schelmischen, aber auch auch oft desillusionierten Versen Kästners eine ganz neue Würze. Und immer wieder ertappen sich die Zuhörenden selbst dabei, wie ihnen einer von Kästners Reimen ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Ein Großmeister des geschriebenen Wortes
Nach der Pause wechselt Hartwig das Instrument und begleitet Kiefer fortan auf einer Ukulele. Und gesungen wird nun noch viel mehr. Etwa das „Weihnachtslied - chemisch gereinigt“ mit so herrlichen Textzeilen wie „Morgen, Kinder, wird‘s nichts geben...“ oder „Morgen kommt der Weihnachtsmann, allerdings nur nebenan!“ Auch die „Trottoir-Cafés bei Nacht“ und der „Monolog in der Badewanne“ erreichen das Zwerchfell und die Herzen der Besucher.
Mucksmäuschenstill wird es ganz am Ende, als Kiefer „Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?“ zitiert. Diese Textzeilen sind bis heute ein funktionierendes Mahnmal, wohin Duckmäusertum und blinde Gefolgschaft führen können - geradewegs ins Verderben. Langer Applaus für Kiefer und Hartwig nach intensiven 70 Minuten. Ihnen war eine wahrlich würdige Verneigung vor einem Großmeister des geschriebenen Wortes gelungen.