Gelsenkirchen. Sie schützen Kunden in Gelsenkirchen: Lebensmittelkontrolleure. Über krasse Mängel, Einzelkämpferdasein und Bedrohungen im Alltag.

Wenn wir beim Bäcker Brötchen holen, im Supermarkt einkaufen oder in einem Imbiss Döner oder Currywurst essen, verlassen wir uns darauf: Was wir hier bekommen, macht uns nicht durch Keime, Pestizide oder andere Chemikalien krank. Schließlich wird der Weg vom Feld, vom Schlachthof oder aus der Fabrik auf den Teller durch strenge Kontrollen überwacht. „From farm to fork“ nennen das Julia Lodwig und Helene Schäfer das Kontrollsystem.

Lebensmittelüberwachung in Gelsenkirchen - 3000 Kontrollen im Jahr, rund 1200 sind „anlassbezogen“

Die beiden Frauen stehen als Leiterin und Stellvertreterin an der Spitze des Gelsenkirchener Referates für Veterinär- und Lebensmittelüberwachung. Sie sagen: „Eine Kontrolle, bei der wir nichts finden, ist selten.“

Rund 3000 Kontrollen stehen am Ende eines Jahres in der Statistik des Gelsenkirchener Amtes, etwa 40 Prozent, also 1200 Überprüfungen, fallen in die Rubrik „anlassbezogen“. Sprich, es sind entweder Beanstandungen nach einer Probe. Oder Beschwerden von Verbrauchern haben eine außerplanmäßige Stippvisite der Kontrolleure nach sich gezogen. Solche Klagen erreichen das Referat „fünfmal pro Woche“, berichtet Julia Lodwig, die Hälfte der Beschwerden sind demnach berechtigt, der Rest vom Lebensmittelrecht gedeckt.

„Die Hälfte der Verbraucherbeschwerden ist berechtigt.““

Julia Lodwig
Leiterin der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung in Gelsenkirchen

Die Handschuhe beim Bäcker sind so ein Beispiel. Ein Aufreger ist für viele Kunden, wenn Verkäuferinnen die Ware mit dem Plastikschutz an einer Hand aus der Theke anfassen, kurz darauf aber auch Geld. Oder erst gar keine Handschuhe mehr tragen, weil viele Unternehmen mittlerweile davon absehen. „Aus hygienischer Sicht ist es viel schlimmer, wenn Verkäuferinnen den ganzen Tag Handschuhe tragen, als keine zu tragen und sich zwischendurch immer wieder die Hände zu waschen“, erklärt Helen Schäfer. „Am sichersten sind Greifzangen.“

Bargeld als Überträger sehen die städtischen Kontrolleurinnen nicht so kritisch. Die Erklärung liefern sie gleich hinterher. Die poröse Oberfläche hilft tatsächlich dabei, die meisten Keime, die es trägt, festzuhalten, sodass nicht viele Mikroben an ihren Händen anhaften. Münzgeld hat zudem wegen des Kupfergehaltes eine antimikrobielle Wirkung. Des Weiteren herrschen bei Bargeld normalerweise nicht die richtigen Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen, um Mikroben wachsen und sich vermehren zu lassen – Geld ist also nicht sehr krankheitsübertragend.

Lebensmittelkontrolleure führen ihre Kontrollen regelmäßig und meist unangemeldet in Betrieben, welche Lebensmittel verarbeiten oder handeln, durch: Dies sind

  • Fleischereien, Bäckereien, Betriebe der Lebensmittelindustrie,
  • Hersteller von Kosmetik und Tabakwaren,
  • Lebensmittelhandel – Kiosk, Supermarkt, Bistro und Shop einer Tankstelle,
  • Wochenmarkt, Schausteller, Imbisse und Verkaufsstände sowie
  • Restaurants, Cafés oder Kantinen.

Neben einer sogenannten risikobasierten, regelmäßigen Prüfung erfolgt die Kontrolle meist aufgrund von Beschwerden von Verbrauchern. Die Kontrolleure prüfen die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit, Hygiene, Produktzusammensetzung und Haltbarkeit. Bei Bußgeldern über 200 Euro droht ein Eintrag ins Gewerbezentralregister, sodass potenzielle Kundschaft abgeschreckt wird, dort einzukaufen. Dazu muss man sich allerdings die Mühe machen, Näheres zum Betrieb zu recherchieren.

Viel schlimmer für die Prüfer ist es, wenn beispielsweise „eine Katze ungebetene Nager aus einer Bäckerei fernhalten soll“. Zu groß die Gefahr und damit das gesundheitliche Risiko für Menschen, wenn der Jäger das samtweiche Mehl zum bevorzugten Katzenklo macht.

Die Lebensmittelproben werden in Laboren untersucht. Proben landen bei  Untersuchungsämtern in Münster, Detmold, Krefeld oder auch Arnsberg.
Die Lebensmittelproben werden in Laboren untersucht. Proben landen bei Untersuchungsämtern in Münster, Detmold, Krefeld oder auch Arnsberg. © picture alliance / dpa | Wolfgang Thieme

Apropos Nager und Ungeziefer: „Ratten, Mäuse, Kakerlaken, das kommt schon häufiger vor“, berichtet Referatsleiterin Julia Lodwig aus ihrem Alltag in Gelsenkirchen. Wie oft, werde statistisch nicht erfasst. Solche und andere schwerwiegenderen Mängel führen dann dazu, dass Betriebe mit Bußgeldern belegt werden und für mehrere Tage von amtlicher Seite geschlossen werden, etwa um eine aufwändige Grundreinigung durchführen, Schädlinge bekämpfen zu lassen oder die defekte Kühlung für verderbliche Waren (Fleisch, Fisch, Milch etc.) instandsetzen zu lassen. Dass ein Betrieb geschlossen und die weitere Ausübung des Gewerbes komplett untersagt wird, kommt den Expertinnen zufolge „nur sehr, sehr selten vor.“

Riesen-Aufgabe: Acht Lebensmittelprüfer überwachen in Gelsenkirchen rund 4500 Betriebe und Stände

Mit ein Grund dafür ist ein umfangreiches Paket, das aus Gesetzen und Verordnungen auf europäischer und nationaler Ebene vorschreibt, die weitreichende Kontrollen vorschreiben. „Die Intervalle beginnen bei wöchentlichen Prüfungen und enden in einem Turnus von drei Jahren“, erklärt Helen Schäfer. Grundlage für mehr oder weniger häufige Kontrollen bildet dabei eine Risikobewertung (nebst einem Algorithmus), die unter anderem auf neusten Erkenntnissen staatlicher Institutionen und unabhängigen Forschungslaboren beruht.

Es gilt dabei der Grundsatz: je höher das Gesundheitsrisiko in Lebensmitteln, desto höher die Kontrollfrequenz. Beispielsweise für Großküchen in Krankenhäusern oder Schulen. Für 2024 sind allein 2030 solcher Plankontrollen in Gelsenkirchen vorgesehen. Und mindestens 1500 Proben. Dazu kommen noch Nach-, Anlasskontrollen (nebst Proben).

Das an sich engmaschige, ausgeklügelte System hat allerdings auch Schwachstellen. Wie so oft steht und fällt alles mit dem verfügbaren Personal und letztlich mit dem Geld, das man auszugeben bereit ist, oder über das man als Stadt verfügt. Gelsenkirchen gehört bekanntlich zu den sehr klammen Kommunen. Und so wundert es nicht, dass die städtischen Kontrolleure eine Sisyphusaufgabe zu verrichten haben. Dazu ein paar Zahlen.

Auch im Fokus: Drogerien, Apotheken und Nagelstudios sowie Tattoostudios und Friseure

Auch Tattoostudios werden von den Gelsenkirchener Lebensmittelkontrolleuren unter die Lupe genommen - wegen der Farbe.
Auch Tattoostudios werden von den Gelsenkirchener Lebensmittelkontrolleuren unter die Lupe genommen - wegen der Farbe. © AFP | PETER PARKS

Das Prüfteam besteht aus acht Lebensmittelkontrolleuren, drei Kontrollassistenten, zwei Fachassistenten, drei Tierärzten und einem Lebensmittelchemiker. Demgegenüber stehen circa 4150 Betriebe (plus etwa 330 nicht feststehende Betriebsstätten, z.B. Marktstände). Zu den Prüfkandidaten zählen außerdem Drogerien, Apotheken und Nagelstudios sowie auch Tattoostudios und Friseure, weil beispielsweise (Natur-)Farbe im und am Menschen verwendet wird.

„Auf jeden Lebensmittelkontrolleur kommen in seinem Bezirk also gut 550 Betriebe, die er oder sie zu überwachen hat“, erklärt Julia Lodwig. Die anderen Kolleginnen und Kollegen arbeiten den Prüfern lediglich unterstützend zu und kommen nur bei Bedarf mit. Das macht die Aufgabe schwieriger und gefährlicher, denn nicht immer sind die Kontrolleure willkommen.

„Der Ton ist rauer geworden, der Respekt gegenüber Amtspersonen hat deutlich nachgelassen“, bestätigt die Referatsleiterin. Die Betriebe stünden unter wirtschaftlichem Druck, von daher tue eine Schließung bei etwaigen Verstößen selbst für wenige Tage „schon finanziell richtig weh.“ Beschimpft und bedrohlich umringt zu werden, sei äußerst unangenehm.

Von tätlichen Übergriffen berichten die Lebensmittelkontrolleure nicht, gleichwohl bereiten sie sich mit Schulungen darauf vor, um bei Gefahr deeskalierend reagieren zu können. Ansonsten gilt: Wird ihnen Zutritt und Kontrolle widerrechtlich verwehrt, so machen sie kehrt. „Aber wir kommen wieder, dann aber mit Verstärkung von Ordnungsamt und/oder Polizei.“