Gelsenkirchen. „Erhebliche Entwicklungsauffälligkeiten“ bei über der Hälfte der Kinder: Konzept in Gelsenkirchens Kitas offenbart enorme Herausforderungen.

Entwicklungsdefizite, „zum Teil sogar Behinderungen“ von Kindern aus prekären Lebenslagen werden in Gelsenkirchen häufig erst während der verpflichtenden Schuleingangsuntersuchung wenige Monate vor dem Grundschul-Start entdeckt. Das geht aus einer Vorlage der Verwaltung hervor, die jetzt im Betriebsausschuss Gelsenkirchener Kindertagesbetreuung behandelt wurde. Das Konzept „F.i.T. – Früherkennung in Tageseinrichtungen“ soll eigentlich seit 2012 Abhilfe schaffen. Das Problem aber ist größer als gedacht, wie aus der Vorlage ebenfalls hervorgeht: Binnen der letzten fünf Jahre haben die Herausforderungen deutlich zugenommen. Ein weiterer, besonders besorgniserregender Punkt: Im vergangenen Jahr hatten die Entwicklungsdiagnostik-Tests bei 56 Prozent der Kinder zum Teil „erhebliche Entwicklungsauffälligkeiten in mindestens einem Entwicklungsbereich“ ergeben.

Eltern von Gelsenkirchener Kita-Kindern: Fehlende Deutschkenntnisse, fehlende Zuverlässigkeit

Es ist eine ganze Liste an Gründen, die angeführt werden: Da wären zum einen die „immer häufiger fehlenden Deutschkenntnisse der Eltern.“ Dadurch entwickele sich eine längere Gesprächsführung „als die geplanten 45 Minuten mit Google-Übersetzer oder mit Dolmetscher, und zeitaufwändiger Terminierung, wenn ein Dolmetscher hinzukommt.“

Ein weiteres Problem: Grundsätzliche Punkte müssten immer mehr Eltern erklärt werden, beispielsweise was eine Therapieform bedeute, was mit einer Verordnung zu tun sei, oder was der Unterschied zwischen Versicherungskarte und Ausweisdokument sei. Des Weiteren würden zugewanderte Eltern ebenfalls häufig glauben, dass die „auffälligen Leistungen ihres Kindes bei der Entwicklungsdiagnostik an fehlenden Deutschkenntnissen liegen.“ Im Elterngespräch würde das Kind einzelne Testteile dann wiederholen – was wiederum erneut sehr zeitaufwendig sei. „Oft ist erst dann ein Erkenntnisgewinn bei den Eltern möglich, wenn das Kind trotz muttersprachlicher Anleitung Teile des Tests nicht schafft“, heißt es in der Vorlage. Erst diese Erkenntnis sei die Basis für die weitere Kooperation der Eltern.

„Früherkennung in Tageseinrichtungen“: Konzept ist „aktueller denn je“

Fehlende Zuverlässigkeit von Eltern bei Absprachen – das betrifft zum Beispiel die Rückgabe des Eltern-Fragebogens – oder fehlende Einsicht in die Wichtigkeit der Empfehlungen in immer mehr Fällen erforderten eine hohe Verbindlichkeit bei Absprachen, etwa schriftliche Laufzettel für nötige Arztbesuche, die die Eltern mit Praxisstempel wieder in der Kita abgegeben müssen.

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Das F.i.T.-Konzept stellte Christina Wehrenbeck jetzt auch im Betriebsausschuss von Gekita persönlich vor: Vor zwölf Jahren ins Leben gerufen, sei das Konzept „aktueller denn je“, betonte sie. Das Ziel: gesundheitlichen Fehlentwicklungen der Kinder gezielt und im persönlichen Kontakt vorzubeugen. Dafür sorgen sechs Gekita-Mitarbeiterinnen, darunter fünf Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und eine Heilpädagogin. Jede teilnehmende F.i.T.-Kita wird einmal im Quartal für mehrere Tage von einer der F.i.T.-Mitarbeiterinnen besucht.

Insgesamt 18 Einrichtungen nehmen derzeit teil, aus den Stadtteilen Hassel, Schalke, Schalke-Nord, Ückendorf, Bulmke-Hüllen, Neustadt, Rotthausen. Die Gründe für eben jene Auswahl: ein hoher Anteil von Familien mit Sozialleistungsbezug, eine andere Familiensprache als Deutsch oder beispielsweise, dass auch kein Kinderarzt in unmittelbarer Nähe verfügbar sei, wie Gekita-Chefin Holle Weiß berichtet. Im Jahr 2023 seien insgesamt 279 Kinder in den 18 F.i.T.-Einrichtungen getestet worden, berichtet Gekita – die Zustimmungsquote der Eltern habe 95 Prozent betragen.

Im Fokus sind sämtliche Kinder dieser Einrichtungen rund um ihren vierten Geburtstag. Ein wohl gewählter Zeitpunkt, denn gerade in diesem Alter ist schließlich noch ausreichend Zeit für weitergehende Hilfe, die dann bis zur Einschulung erfolgen kann – selbst wenn die Wartezeiten in den Frühförderstellen mitunter Monate betragen.

„Für Eltern ist das ein total schmerzhafter und langwieriger Prozess, manche Eltern können das auch schlicht nicht glauben“, berichtet Christina Wehrenbeck von den Erfahrungen des F.i.T-Teams während ihrer Arbeit. Und auch davon: Dass es 2012, als das Projekt an den Start ging, noch nicht so viele Familien gegeben habe, die „schlicht nicht wussten, was eine Logopädie ist“.