Gelsenkirchen. Im Schulzentrum des LWL in Gelsenkirchen-Hassel trafen sich Paare aus der ganzen Republik, um miteinander zu tanzen. Ein seltenes Angebot.

Eigentlich ist es ein ganz normaler Tanzkursus: Für die Teilnehmenden ist es zuweilen durchaus kompliziert, sich die Bewegungsabläufe zu merken. Es geht viel daneben. Es wird viel gelacht. Das Besondere jedoch ist, hier tanzen in einer großen Gruppe Fußgänger und Rollstuhlfahrer miteinander. Gerade läuft in der Turnhalle der LWL-Schule in Hassel ein Workshop für fortgeschrittene Tanzpaare. Gleich steht zudem ein Schnupperkurs an für Neulinge.

„Dreh, Greif, Schub-Greif-Schub“, gibt Udo Dumbeck ein Kommando. Da muss man sich erst hineindenken. So geht es auch Elke Siewert und Sohn Vincent. Die beiden schauen vom Rand aus zu und wollen gleich die ersten Tanzfiguren erlernen. Der 16-Jährige tanze gern, erzählt die Mutter. „Einmal im Monat geht er zu einer Kinderdisco in Bochum.“ Ein weiter Weg für die Gelsenkirchener Familie. Und doch Normalität. Viele Angebote dieser Art gebe es nämlich nicht. Umso schöner, dass es nun den Workshop-Tag in Hassel gibt. „Sonst könnten wir das nicht machen.“ So aber bewundern sie das Können der Fortgeschrittenen und bereiten sich innerlich darauf vor, gleich den Discofox zu erlernen. Beide sind frohen Mutes: „Alles ist schwer, bevor es leicht wird.“

Tanzen für mehr Selbstbewusstsein

Einige konzentrierte Minuten später geht der Kursus der erfahreneren Paare seinem Ende zu. Jetzt wird die erlernte Bewegungsfolge erstmals zur Musik getanzt. Und das macht schon richtig Eindruck. Einige Paare können mit ihrem Ausdruck besonders berühren. So wie Britta Paulusch und ihr Mann. Die beiden tanzen schon seit nahezu zehn Jahren in diesem inklusiven Format. „Mein Mann ist Rollstuhlfahrer und wir haben schon immer gesagt, dass wir gern tanzen würden.“ Seither kommen sie in der Regel alle zwei Wochen zum Tanz. „Die Abläufe muss man wirklich lernen. Das ist komplett neu.“ Für alle.

Egal ob Fußgänger oder Rollstuhlfahrer. Ob das Paar das Erlernte auch schon außerhalb des Kurses angewendet hat, auf einer „normalen“ Tanzfläche? „Ja. Aber dafür braucht es schon ein bisschen Platz.“ Denn, das erzählen gleich mehrere Teilnehmende, eine ungeplante Berührung mit dem Rolli tue schon ordentlich weh. Mehr, als der Tritt auf die Füße.

Es braucht beim Tanzen etwas mehr Platz: Denn, das erzählen gleich mehrere Teilnehmende, eine ungeplante Berührung mit dem Rolli tue schon ordentlich weh. Mehr, als der Tritt auf die Füße.
Es braucht beim Tanzen etwas mehr Platz: Denn, das erzählen gleich mehrere Teilnehmende, eine ungeplante Berührung mit dem Rolli tue schon ordentlich weh. Mehr, als der Tritt auf die Füße. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Tanzen, das mache schon etwas mit den Menschen, verrät Kerstin Holländer. Unter mangelndem Selbstbewusstsein habe sie noch nie gelitten, erzählt sie lachend. „Wenn man schüchtern ist, kann das aber sehr helfen, sich zu entwickeln, auch als Rollstuhlfahrer souverän auf eine Tanzfläche zu rollen.“ Eines liegt ihr besonders am Herzen: „Wir brauchen viel mehr solcher Begegnungen. In Sachen Inklusion sind wir wirklich ein Entwicklungsland.“

Üben für den Hochzeitstanz

Ein weiteres Paar, das mit seinem Tanz berühren kann, sind Marc Werner und seine Freundin. Der junge Mann tanzt in einem E-Rollstuhl, den er mit seinem Kinn steuert. Ob das nicht unheimlich schwierig ist? „Ich glaube, ich finde das sogar einfacher. Wenn ich die anderen Rollstuhlfahrer sehe, beobachte ich, wie sie die Hände unterschiedlich an den Rädern bewegen müssen. Das muss ich nicht.“ Die Bewunderung seines Könnens berührt ihn seinerseits. „Ich bin erst seit einem halben Jahr dabei“, sagt er, dem Tanzlehrer Udo Dumbeck großes Talent bescheinigt. Das übrigens überrascht Marc Werner ebenso.

Dass er tanzen lernen und gehen kann, war ihm lange nicht bewusst. „Meine Partnerin hat früher viel getanzt. Und dann habe ich ihr das zum Valentinstag geschenkt“, sagt er und gesteht, typisch Mann sei er eigentlich ein Tanzmuffel gewesen. „Jetzt gefällt es mir gut und macht richtig Spaß.“ Ob er das Erlernte bald irgendwo anwenden will? „Auf jeden Fall. Spätestens bei unserem Hochzeitstanz“, verrät der junge Mann.

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Udo Dumbeck macht sich derweil bereit, die Neulinge zu unterrichten. Kurz zuvor erzählt er noch, wie groß die Nachfrage ist für solch inklusive Tanzkurse bei ganz geringem Angebot. „Die Paare kommen heute aus Aachen, aus Gütersloh, sogar aus Würzburg“, sagt der Tanzlehrer und Tanzsporttrainer, der sich seit vielen Jahren für den inklusiven Tanzsport einsetzt. Und schon geht es los: Die erste Lektion lautet „Rückwärts, bremsen, stehen. Vorwärts, bremsen, stehen.“ Wer das nicht gleich erkennt, dem sei gesagt, es handelt sich um die Grundbewegung für den Discofox. „Das ist genau die gleiche Bewegung, wie sie die Fußgänger machen.“ Dieses Miteinander, das wolle man erreichen. Bei Elke Siewert und Vincent klappt das schon richtig gut. Zwei, dreimal noch wird das „trocken“ geübt, dann gibt es dazu Musik. Aus der kleinen Anlage erklingt „Flowers“ von Miley Cyrus – und schon tanzen Mutter und Sohn einen flotten Discofox miteinander.

In Gelsenkirchen findet alle 14 Tage ein inklusiver Tanzkursus statt. Kontakt und Info: androwski@TanzenInklusiv.de.