Gelsenkirchen-Bismarck. Der Freeway Rider’s MC wird 50. Schnuller und Schnaps, Wehmut und Arschleder: Einblicke in die Gelsenkirchener Geburtstagsfeier des Rocker-Clubs.
Wenn Rocker Party machen, dann ist das durchaus ein surreales Erlebnis. Die WAZ hat die 50-Jahre-Feier des Freeway Rider’s MC since 1974 besucht. Ein Fest voller Kontraste, mit harten Wahrheiten und weichen Szenen - mitten in Gelsenkirchen.
Episode eins - Lauch und Stier
Die Sonne hat neben Jörg keine Chance. Der Mann ist gefühlt ebenso groß wie breit, ein langjähriger Dreikämpfer, neben dem selbst wesentlich jüngere Kraftsportler zierlich wirken. Der Vize-Präsident des frisch gegründeten Chapters des Freeway Rider’s MC in Waltrop ist an diesem Tag so etwas wie Babysitter und Bodyguard zugleich. Freundlich, hilfsbereit. Ein lebendiger Schatten, der dafür sorgt, dass der schmale Kerl von der Presse neben ihm nirgendwo auf dem vollen Festgelände am Bahnwerk Bismarck aneckt.
Männer in Leder gibt es am Samstag zuhauf zu sehen, muskelbepackt, manche selbst am Kopf so wild tätowiert, dass bei einem flüchtigen Blick schwer zu sagen ist, wo vorn und wo hinten ist. Clubsprecher Mario beziffert die Durchlaufzahl der Gäste anlässlich der großen Jubiläumsparty auf bis zu 1200. Klar, auch Familie und Freunde, Bekannte und Verwandte sind darunter, das Gros bilden aber Rocker.
Neben Mitgliedern der Freeway Rider’s sind Abordnungen von 27 verschiedenen Motorradclubs unter den Gratulanten, allein die Hells Angels sind mit Männern aus einem halben Dutzend Chartern vertreten. Ägypten, Schweden oder sogar Indonesien ist auf manchen Patches, den Kutten-Aufnähern zur Länderzugehörigkeit, zu lesen.
Die Polizei ist mit einem Groß-Aufgebot an vier Kontrollpunkten präsent, die mit Maschinenpistolen bewaffneten Beamten („Eigenschutz“) filzen an den Zufahrtswegen Autos und Insassen, schwere Bikes und massige Wohnmobile – insgesamt gut 600 Menschen erhalten diese Sonderbehandlung. Am Ende notiert die Polizei „unter 50 Ordnungswidrigkeiten“. Sie stellt einen Baseballschläger, Schlagringe und Messer sowie in einem Fall mehr als die mittlerweile erlaubten 25 Gramm Marihuana sicher, dazu etwas mehr als 10.000 Euro in bar. Herkunft? „Wird noch geklärt.“
Die Kontrollen dauern und verzögern den Fahrzeugstrom, der den eigens angemieteten Zoom-Parkplatz P3 ansteuert. Jörg hat gut zu tun, neben der Pressebetreuung nimmt der Mann mit der Muskelmasse eines Stiers auch besondere Gäste im Empfang. Und so kommt es, dass dem Reporter im Vergleichsformat einer Lauchstange vier kraftstrotzende und wohl auch ranghohe Mitglieder der Höllenengel am Eingangstor freundlich die Pranke geben, während über ihnen eine Polizeidrohne die skurrile Szenerie im Fokus hat. Jörg kennt alle namentlich. „Ich bin schon lange dabei, durch den Sport habe ich ein großes Netzwerk“, sagt er und lächelt.
Episode zwei - Schnuller und Schnaps
Auf jedem Schützenfest dürften mehr Abfälle (und Fäuste) durch die Luft fliegen als bei Rockerpartys. Helfer, die meisten von ihnen Prospects (Anwärter), bringen im clubeigenen Riesenfestzelt wie von Geisterhand ständig neue Gläser, neue Getränke, oder sie räumen die leeren Teller ab. Ein Zelt in leuchtend roter Farbe dient als Schnapsbude. „Etliche Hektoliter Bier, Softdrinks und Whiskey“ sind nach Angaben von Clubsprecher Mario die Kehlen hinabgeflossen. Besondere Vorkommnisse: keine. Die Rocker halten eisern Disziplin, es ist schließlich eine Feier und keine Fehde. Ohnehin sind nur befreundete Clubs da. Wen der Alkohol übermannt, der schläft notfalls dank vieler tragender Hände „auf dem Zeltplatz nebenan seinen Rausch aus“.
Food Trucks haben sich am Zaun entlang aufgebaut. Es gibt Flammlachs, Pulled-Burger (Schwein, Rind, Hühnchen), Pommes mit Curry- oder Bratwurst, sogar ein Eiswagen sorgt für süßen Nachtisch. Beliebt vor allem bei den zahlreichen Kindern, die über den Rasen toben. Haka, Ralle, Sascha und Arno, die vier Präsidenten der Chapter Gelsenkirchen, Dinslaken, Gladbeck und Wanne-Eickel, haben über Wochen alles geplant.
Auch Kinderwagen stehen zwischen den Bierzeltgarnituren. Fläschchen, Pampers und Verdauungsschläfchen wechseln sich ab, während DJ Theo auf der imposanten Bühne die Boxen auf Temperatur bringt. Theo muss zwischendurch sein Set für eine dringende Durchsage unterbrechen: „Die kleine Mia hat ihren Schnuller verloren.“ Prompt durchkämmen dutzende tätowierte Finger im Umfeld das Grün nach dem geliebten Sauger. Männer, die aufs Gras starren.
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Episode drei - Arschleder und Highway to Hell
Eine Bergmannskapelle zieht in voller Montur aufs Gelände. Das Steigerlied muss sein, schließlich versteht sich der Freeway Rider’s MC als „Malocherclub“. Das Kontrastprogramm dazu bietet Sven, Präsident des Freeway-Chapters Rhein-Ruhr und Sänger der Band „Unbelehrbar“. Der 43-Jährige hat mit seiner Formation schon bei Großveranstaltungen gespielt. Für die Feier hat er sogar ein eigenes Lied komponiert. Und dazu noch „Momo“, der Sänger der Coverrock-Band „T-Bone“. Der 63-jährige, ehemalige Pflegedienstleiter steht mehr auf Mähne statt Maschine. Der Bandleader sitzt im Präsidium von Deutschlands ältestem Westernpferdeverband, der DQHA.
„Wenn Rocker mit dem Zeh im Stiefel wackeln, dann tanzen sie“, sagt Stammgast Momo vor den beiden Auftritten seiner Band. Demnach hat der T-Bone-Gig ekstatische Wirkung entfaltet, angesichts laut mitsingender und mit hüpfender Rocker und ausgelassen tanzender Frauen. Liegt eindeutig am Repertoire – von „AC/DC bis ZZ Top“ ist alles an Hits dabei, um selbst „Bewegungs-Legasthenikern“ Beine zu machen. Mit dabei sind Laura (17) und Justin (19) aus Rheinberg. Die jungen Background-Sänger haben auch Solo-Auftritte am Mikro. Lampenfieber vor dieser Kulisse? „Nö, keine Spur, die Jungs sind nett“, sagen sie.
Episode vier - Wehmut und Wandel
Apropos Fieber und Sprengstoff. Höhepunkt des Abends ist ein großes Feuerwerk. Das Startsignal dazu bildet eine brennende 50 über dem Clubhaus. Ganze Batterien von Raketen tauchen den Nachthimmel danach eine gute Viertelstunde lang in glitzernde Farben.
Bei Lüdi, einem der langjährigsten Mitglieder des Freeway Rider’s kommt beim Blick über das Gewusel auf dem Clubgelände ein bisschen Wehmut auf. 42 Jahre ist er dabei, er hat die Anfänge des MC mit ein paar Chaptern noch hautnah miterlebt. Ein „wilder Jugendlicher mit zu viel Testosteron im Blut war ich“, erinnert sich der frühere Türsteher und MMA-Kämpfer. Heute führt er ein Tattoostudio und ist Präsident des Lüdenscheiders Chapters. Zu viel Hormone und zu viel Rauflust haben ihn sogar hinter Gittern gebracht – vor allem, wenn damals eine fremde Kutte im eigenen Revier auftauchte.
„Nicht, dass ich die Schlägereien vermissen würde, man wird schließlich älter und klüger“, sagt der 64-Jährige, um augenzwinkernd anzufügen: „Die Partys auf Ibiza und in Thailand aber schon, vor allem die hübschen Mädels dabei“. Ihm, der seit 40 Jahren mit seiner Freundin zusammen ist und sie 2008 geheiratet hat, fehlen aber noch mehr die Kumpels von damals, kaum mehr als eine Handvoll Männer, aber dafür eine verschworene Gemeinschaft, mit denen er auf seiner Honda 750 K6 durch die Lande düste – heute ein teuer gehandeltes Kult-Bike.
Lüdi empfindet die heutige Größe des Clubs mit seinen 33 Chaptern eher als Belastung. „Man kennt die anderen Brüder viel zu wenig“, glaubt Lüdi. Der Job frisst viel Zeit, dazu die Vereinsarbeit. Da bleibe vieles, was echte Freundschaft ausmache, nur an der Oberfläche. Expansion und Größe sind aber notwendig, ohne sie droht der Verlust der Eigenständigkeit. „Ist wie in der Nahrungskette: Die Großen schlucken die Kleinen.“