Gelsenkirchen. Der „Arminbunker“ in der Gelsenkirchener Innenstadt hat eine krasse Verwandlung erlebt. So sieht der einstige „Schandfleck“ heute aus.

Es ist eine besondere Geschichte hinter dicken Mauern – wer in der Gelsenkirchener Innenstadt unterwegs ist, ab von der Bahnhofstraße entlang der kleineren Arminstraße, steuert unweigerlich darauf zu. Etwas im Hintergrund steht er da, gleich hinter dem Extrablatt – aber eigentlich nicht mehr zu erkennen. Denn aus dem ehemaligen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg ist vor mehr als 20 Jahren ein Wohn- und Geschäftshaus geworden. Wie es dazu kam, erzählt der Mann, der dem „Arminbunker“ neues Leben eingehaucht hat: Wilhelm Pasch.

Gelsenkirchener Innenstadt: Dieser alte Bunker hat eine krasse Verwandlung erlebt

Wir treffen den mittlerweile 81-Jährigen in seinem Zuhause in Bulmke-Hüllen, er hat sich vorbereitet, die alten Ordner mit Fotos und Zeitungsartikeln herausgesucht, mitsamt der Baupläne. „Das war vermutlich der erste Hochbunker, der in Deutschland umgebaut wurde“, erinnert sich Pasch. Mit der Zeit des Umbaus ist er zum Fachmann geworden – „ich hätte hinterher nur noch Bunker umbauen können“, sagt er. Auch, weil ihn viele Anfragen aus Gelsenkirchens Nachbarstädten erreicht hätten, die ebenfalls ihre Bunker umbauen wollten.

Kaum zu erahnen, dass dieses Wohn- und Geschäftshaus an der Arminstraße einmal ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg war. Mittlerweile sind dort 20 Wohnungen.
Kaum zu erahnen, dass dieses Wohn- und Geschäftshaus an der Arminstraße einmal ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg war. Mittlerweile sind dort 20 Wohnungen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Der 20 Meter hohe Koloss, der zum Kubus werden sollte: Satte 1,17 Meter dick sind die Stahlbeton-Wände des Bunkers, der mutmaßlich ein Jahr vor Kriegsende fertiggestellt wurde (Bauzeit 1941 bis 1944). Hinter den massiven Mauern spielten sich viele Geschichten ab. Aus der Stadt-Chronik geht hervor: „Das Evangelische Krankenhaus an der Hans-Schemm-Straße, das im Kriege bei den Luftangriffen am 6. November 1944 und 19. März 1945 aufs schwerste beschädigt und in einzelnen Teilen vollkommen zerstört worden war, nahm im Juni seine Arbeit an den Kranken wieder auf, und zwar in dem ehemaligen Luftschutzhochbunker an der Arminstraße, der in ein Notkrankenhaus umgewandelt wurde.“

Das sei „in der ganzen britischen Besatzungszone Deutschlands ein einmaliger Vorgang“ gewesen. Aus der Chronik ist zu entnehmen, dass alle Abteilungen des Krankenhauses in den Bunker übergesiedelt waren. Aus den früheren Luftschutzkabinen seien Krankenräume geworden, insgesamt hatten dort 130 bis 140 Krankenbetten dort Platz. Und weiter heißt es: „Da sich der ganze Betrieb bei ausschließlich künstlicher Beleuchtung und Belüftung abwickeln musste, wurden an Ärzte, Schwestern und die sonstigen Hilfskräfte außergewöhnliche Anforderungen gestellt.“

Das Foto stammt aus dem Jahr 1962: Schon war der Hochbunker an der Arminstraße schon seit langer Zeit nicht mehr.
Das Foto stammt aus dem Jahr 1962: Schon war der Hochbunker an der Arminstraße schon seit langer Zeit nicht mehr. © Institut für Stadtgeschichte

Am 11. Februar 1950 heißt es in der Stadtchronik: „Das Bunker-Krankenhaus (...) wurde von den letzten Kranken geräumt. Der Bunker wurde jetzt als Lagerraum benutzt. In fast fünf Jahren (seit dem 1. Juni 1946) waren im Bunker 29.562 Patienten behandelt worden. Die Zahl der Geburten belief sich auf 1463, die Zahl der Gesamtpflegetage auf 173.570.“

Im Lauf der Jahrzehnte hat der alte Bunker einiges gesehen, bis es zum großen Umbau in ein Wohn- und Geschäftshaus kommen sollte. Vermutlich werden sich einige Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener noch erinnern: Anfang des Jahres 1974 eröffnete das Ehepaar Lutz und Anne Motzko dort die „Jazz & Art Galerie“. Hier wurde zeitgenössische Kunst gezeigt, und auch kleinere Musikveranstaltungen sollten dort durchgeführt werden.

Dieses Foto ist im Jahr 1979 entstanden: Damals war das „Komic“ (eine Abkürzung für Kommunikations- und Informationszentrum) im Arminbunker heimisch.
Dieses Foto ist im Jahr 1979 entstanden: Damals war das „Komic“ (eine Abkürzung für Kommunikations- und Informationszentrum) im Arminbunker heimisch. © Institut für Stadtgeschichte

Und dann kam noch etwas dazu: Das „Komic“ (eine Abkürzung für Kommunikations- und Informationszentrum), das für ein paar Jahre im Arminbunker heimisch war. Die WAZ schrieb: „Das Jugendzentrum in Selbstverwaltung war der Stadt zwar wegen seiner angeblichen Linkslastigkeit ein Dorn im Auge; gleichwohl mauserte sich der chaotisch-sympathische Treff rasch zur festen Adresse einer Jugendkultur, die ansonsten kaum wußte, wohin. Abgesehen von den kirchlichen Treffpunkten und dem DGB-Heim gab es in der Altstadt nichts. Bis Komic kam.“ Am 1. Mai 1979 gab es dort sogar eine große Polizei-Razzia. Drei Jahre später schloss das Komic für immer seine Türen.

Ehemaliger Arminbunker in der Gelsenkirchener City: „Das war ein Schandfleck“

Es sollte allerdings noch einige Zeit vergehen, bis der Bunker, der zwischendurch auch mal als Bandproberaum genutzt wurde, sein Gesicht verändern durfte. Die WAZ schrieb am 10. Februar 2000: „Schon im vergangenen Mai hatte der Rat den Weg für den Verkauf des Bunkers für 110.000 Mark an Pasch frei gemacht. Mit der Neugestaltung sollte eine städtebauliche Altlast beseitigt werden.“ Eine Altlast, das war es wohl: „Das war ein Schandfleck“, erinnert sich Wilhelm Pasch und auch an das: Ratten, Dreck, Müll, andere Hinterlassenschaften.

Das hat Pasch auch in zahlreichen Fotos festgehalten: Auf einem türmen sich gleich mehrere Matratzen und Polster übereinander, überall liegt Bauschutt, daneben Plastikeimer, Holz und leere Bierdosen. „Wir haben drei Monate gebraucht, um den ganzen Mist da rauszuholen“, berichtet Wilhelm Pasch, als wir ihn treffen.

Zwei Jahre Umbau sollten vor ihm und allen Beteiligten, darunter auch der bekannte Architekt (und nebenbei auch Stadtplaner und Kommunalpolitiker) Ernst Otto Glasmeier. Er war es auch, der Pasch den ersten Floh in Sachen Bunker-Umbau ins Ohr gesetzt hatte. Pasch gefiel die Idee, auch wenn er zwischendurch haderte: „Das wird zu teuer“, habe er irgendwann einmal gedacht. Und doch nicht aufgehört.

Der ehemalige „Arminbunker“ in der Seitenansicht: Insgesamt 68 Löcher wurden in 1,17 Meter dicke Betonwände geschnitten, um Platz für die Fenster zu schaffen.
Der ehemalige „Arminbunker“ in der Seitenansicht: Insgesamt 68 Löcher wurden in 1,17 Meter dicke Betonwände geschnitten, um Platz für die Fenster zu schaffen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Warum er sich für ein solches Groß-Projekt entschieden hatte? Immerhin war er mit dieser Entscheidung Bauherr einer damals 4,2 Millionen D-Mark teuren Sanierung. „Mein Mann kann nicht stillsitzen“, antwortet Gisela Pasch, die ihn in all den Jahren und bei allem Wirken stets begleitete. Die beiden Kinder seien da schon groß gewesen, „ich wollte noch etwas Vernünftiges machen“, erklärt sich Wilhelm Pasch.

Der Umbau war auch so etwas wie ein Abenteuer und vor allem: spektakulär. Um Licht in den Bau zu bringen, mussten beispielsweise erstmal 68 Löcher in die über einen Meter dicken Beton-Wände gesägt werden, spezielles Werkzeug und auch eine spezielle Technik waren dafür nötig. Einzeln wurden die ausgesägten Blöcke heruntergehoben. Jeder einzelne wog: 15 Tonnen.

Gisela und Wilhelm Pasch in ihrem Garten: „Noch heute ist die Freude groß, wenn die älteren Mieter uns auf der Straße sehen.“
Gisela und Wilhelm Pasch in ihrem Garten: „Noch heute ist die Freude groß, wenn die älteren Mieter uns auf der Straße sehen.“ © Annika Matheis

Und beinahe wäre auch noch ein tragisches Unglück geschehen. Als ein Seil riss, stürzte einer der Blöcke in die Tiefe und begrub einen Lkw mit einer fahrbaren Arbeitsbühne unter sich. Die beiden Männer, die sich zu diesem Zeitpunkt im Korb der Bühne befanden, wurden glücklicherweise nur leicht verletzt. Das Ehepaar Pasch sagt über diesen Tag: „Diese Geschichte werden wir niemals vergessen.“

So entstanden Anfang des neuen Jahrtausends 20 Wohnungen für „Alt und Jung“ – vier Wohnungen auf jeder Etage. Die einstigen Treppenhäuser wurden zubetoniert und zu Bädern umfunktioniert. Das Erdgeschoss war Geschäften vorbehalten, mit einer Gesamtfläche von 300 Quadratmetern. Das Treppenhaus wurde außen angebracht.

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Die Paschs haben den Bunker, der zu einem Zuhause wurde, mittlerweile längst verkauft. Sie erinnern sich gerne an das Verhältnis, das sie zu ihren damaligen Mieterinnen und Mietern hatten. Gemeinsam habe man viel Zeit miteinander verbracht, berichten sie. Und auch das: „Noch heute ist die Freude groß, wenn die älteren Mieter uns auf der Straße treffen.“