Gelsenkirchen. Sie ist nach einem Bauwerk benannt und liegt an der Grenze zu Herne: Das ist laut Bogestra die „einsamste Haltestelle“ in ganz Gelsenkirchen.

An der Fleuthebrücke im Resser Wäldchen liegt laut Bogestra die „einsamste Haltestelle in ganz Gelsenkirchen“.
An der Fleuthebrücke im Resser Wäldchen liegt laut Bogestra die „einsamste Haltestelle in ganz Gelsenkirchen“. © Thomas Richter

Dieser Text wurde erstmals im Januar 2024 veröffentlicht.

Wenn die Busse der Linie 342 in Erle von der Münsterstraße kommend nach links in die Willy-Brandt-Allee abbiegen, dann ist es nicht mehr allzu weit bis nach Herne. Doch kurz vor dem Überfahren der Stadtgrenze wartet noch ein finaler Stopp auf Gelsenkirchener Stadtgebiet. Fleuthebrücke heißt diese Haltestelle, die etwas abseits und verlassen am Straßenrand liegt und eine Art Stiefmütterchen-Dasein fristet. Fahrgäste steigen hier nur höchst selten aus. Kein Wunder, dass die Bogestra ihr den inoffiziellen Titel „Gelsenkirchens einsamste Haltestelle“ verpasst hat.

Die Bogestra-Buslinie 342 verkehrt nur einmal stündlich

Diese „Auszeichnung“ hat die WAZ so neugierig gemacht, dass wir uns einmal selbst vor Ort umgeschaut haben. Die Reise beginnt von unserer Redaktion in der Altstadt vom Heinrich-König-Platz mit einer Fahrt in der Straßenbahn-Linie 301 in Richtung Horst. Am Haltepunkt Erle Forsthaus angekommen, erfolgt der Umstieg. Es dauert keine fünf Minuten, schon trifft der Bus der Linie 342 pünktlich ein. Losgefahren war der an der Westfälischen Hochschule in Buer. Seine Endstation heißt: Wanne-Eickel Hauptbahnhof. Und nur einmal pro Stunde ist er auf dieser Strecke in Richtung östliche Nachbarstadt unterwegs.

Umstieg an der Haltestelle Forsthaus in einen Bus der Bogestra-Linie 342 mit Fahrtziel Wanne-Eickel Hauptbahnhof.
Umstieg an der Haltestelle Forsthaus in einen Bus der Bogestra-Linie 342 mit Fahrtziel Wanne-Eickel Hauptbahnhof. © WAZ | Thomas Richter

Acht Personen sitzen an diesem verregneten Vormittag im Bus. Und nach dem Einstieg in Erle Forsthaus kommt schon als nächster Haltepunkt: Fleuthebrücke. Ich drücke rechtzeitig auf den Halteknopf. „Wagen hält“ leuchtet es auf der digitalen Anzeige auf. Der Busfahrer fährt trotzdem vorbei, bemerkt seinen Fauxpas aber zum Glück nach wenigen Metern. Und öffnet dem einzigen Fahrgast, der hier rauswill, dann doch noch mit ungewollter Verzögerung die Fahrzeugtür. Diese kleine Episode dient als aussagekräftiges Indiz, dass hier wohl wirklich nur höchst selten jemand aussteigt.

Vor Ort angekommen, fällt der Blick rechter Hand sofort auf den Rhein-Herne-Kanal. Und schweift weiter auf den Hafen Grimberg, der sich dort wie eine Wasser-Stichstraße tief in die Landschaft hinein bohrt. Andere Fahrgäste stehen bei Dauerregen weder hüben noch drüben. Doch so richtig einsam wird dem Berichterstatter hier auch nicht ums Herz. Dafür brausen dann doch zu viele Autos und Lkw auf der mit Pfützen übersäten Ein- und Ausfallstraße entlang. Die Haltestelle hat in beiden Fahrtrichtungen weder ein Wartehäuschen noch eine andere Art von Unterstand zu bieten. Es ist einfach eine kleine, asphaltierte Einbuchtung am Fahrbahnrand, an der ein Schild mit grünem „H“ auf gelbem Grund anzeigt, dass der ÖPNV hier Halt macht.

Da hält ein Bus im Nirgendwo

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    Die Bogestra steuert über 1300 Haltestellen mit Bussen und Bahnen an

    Hiesiger ÖPNV-Anbieter ist bekanntlich die Bogestra. Und deren neue Kampagne lautet: „Sie sind überall“. Gemeint sind damit die über 1300 Haltestellen, die von den Bussen und Bahnen im gesamten Zuständigkeitsbereich angefahren werden. „Und dabei werden selbst die einsamsten Orte der Stadt nicht vergessen – wie etwa die Fleuthebrücke“, betont Sandra Bruns, die Sprecherin der Bogestra. Kein Wunder, dass so über 27,6 Millionen Kilometer zusammenkommen, die alle eingesetzten Fahrzeuge addiert Jahr für Jahr zurücklegen.

    Die Aktion „Sie sind überall“ knüpft an das Projekt „Netz 2020“ an, das die Bogestra vor vier Jahren gestartet hatte und das laut Bruns „ein echter Kraftakt“ gewesen sei. So wurden damals die Taktungen von Bussen und Bahnen besser an die der Regional- und S-Bahnen angepasst und andere Anschlüsse optimiert. Außerdem seien im Betriebsgebiet über 50 neue Haltestellen hinzugekommen, 25 weitere verlegt worden – immer mit dem Ziel, die Anbindungen zu optimieren. „Zudem ist die jährliche Fahrstrecke um 1,9 Millionen Kilometer aufgestockt worden, was einem Plus von 7,5 Prozent entspricht“, erläutert Bruns. Und auch der Fuhrpark wurde um zehn Straßenbahnen und 25 Busse erweitert, im Fahrdienst zudem 120 neue Mitarbeitende eingestellt. Zahlen, die das Leistungs-Plus des ÖPNV-Anbieters dokumentieren sollen.

    Wer an der einsamsten Haltestelle Gelsenkirchens aussteigt, der kann einen kurzen Fußweg davon entfernt die historische Fleuthebrücke in Augenschein nehmen.
    Wer an der einsamsten Haltestelle Gelsenkirchens aussteigt, der kann einen kurzen Fußweg davon entfernt die historische Fleuthebrücke in Augenschein nehmen. © WAZ | Thomas Richter

    Zurück zum einsamsten Bus-Stopp der Stadt: Keine fünf Minuten Fußweg von dort entfernt liegt im Resser Wäldchen –leicht versteckt am Rande der Willy-Brandt-Allee gelegen – die Namensgeberin dieser Haltestelle: die Fleuthebrücke. Diese verfügt über eine überraschend lange Geschichte, wurde die rund sieben Meter lange Konstruktion doch bereits im Jahre 1853 aus Ruhrsandstein gefertigt. Kein Wunder, dass ein solch traditionsreiches Bauwerk zu den offiziellen Haltepunkten der renommierten „Route der Industriekultur“ gehört.

    Das Besondere: Die Brücke scheint auf den ersten Blick einfach sinnlos mitten in der Natur herumzustehen. Denn unter ihr verläuft: nichts! Doch eine direkt am Bauwerk aufgestellte Info-Tafel sorgt für Aufklärung. Darauf ist zu lesen, dass dies früher ein Streckenabschnitt des sogenannten „Gahlenschen Kohlenwegs“ war. Und damals floss hier noch der Fleuthe-Bach entlang, ein einstiger, heute aber ausgetrockneter Seitenarm der Emscher. Und um diesen überqueren zu können, wurde einst besagte Brücke errichtet.

    Auf einer Info-Tafel wartet viel Wissenswertes zur Fleuthebrücke.
    Auf einer Info-Tafel wartet viel Wissenswertes zur Fleuthebrücke. © WAZ | Thomas Richter

    Viele Gelsenkirchener kennen dieses Stück Stadtgeschichte gar nicht. Denn die Fleuthebrücke ist bis heute ein eher unbekanntes, ja fast vergessenes Ausflugsziel. Ein Schicksal, das sie mit ihrer Bushaltestelle teilt. Für geschichtsinteressierte Touristen und Einheimische lohnt es sich aber immens, beides zu entdecken und zu erkunden.