Gelsenkirchen-Buer. Die Rappelkiste in Gelsenkirchen-Buer gab es zwar nur fünf Jahre lang, aber sie hat ihre Spuren hinterlassen. Wir erinnern an eine Kultkneipe.
- Wir erinnern an die Kultkneipe Rappelkiste in Gelsenkirchen-Buer
- Die Kneipe existierte nur für eine kurze Zeit um 1990
- Beliebt war sie damals auch bei Schalke-Profis
Einmal das Kopfkino anwerfen, bitte: Man stelle sich vor, Schalke hat ein Heimspiel in der Arena, um 17.20 Uhr pfeift der Schiedsrichter ab – und schon um 18 Uhr sitzen Simon Terodde, Ralf Fährmann und Dominik Drexler an der Theke einer Kneipe in Gelsenkirchen-Buer und stoßen mit Pils auf das Spiel an. Unvorstellbar? Heute schon. Vor etwas mehr als 30 Jahren sah das ganz anders aus.
Buer, Ende der 1980er-Jahre: Auch damals spielte Schalke in der Zweiten Liga, aber ansonsten haben sich seitdem viele Dinge verändert. Dass Fußballprofis nach den Spielen direkt in die Kneipe fahren, zum Beispiel – heute würde so etwas sofort im Netz landen, ernste Konsequenzen für die Spieler haben. Damals aber war die Vorstellung eines kleinen Telefons, mit dem man kompromittierende Fotos machen und sie anschließend sofort veröffentlichen kann, im wahrsten Sinne des Wortes Science-Fiction. Damals war das gang und gäbe, und die Kneipe der Wahl war für viele Spieler die „Rappelkiste“. Einem Spieler verpasste man sogar den Spitznamen „Rappelkiste“: dazu später mehr.
Das Haus in Gelsenkirchen-Buer steht schon lange nicht mehr
Es gibt Kneipen in Buer, die vielleicht nicht für viele Jahre existierten, die aber dennoch auch Jahrzehnte später in Erinnerung bleiben. In dieser WAZ-Serie wollen wir in unregelmäßigen Abständen an „Kultkneipen“ erinnern, die es heute nicht mehr gibt, die aber ein Buer verkörpern, an das sich viele Menschen auch heute noch gern erinnern: Mit einer lebendigen, vielfältigen Gastroszene, in der jede oder jeder die Kneipe seiner Wahl finden konnte.
Die Rappelkiste gibt es heute nicht mehr: Das Haus an der Hagenstraße, in dem sich die Kneipe befand, ist einem Neubau gewichen, in dem eine Krankenkasse ihre Geschäftsstelle hat. Ohnehin hat sie nicht allzu lange Bestand gehabt: Von September 1988 bis zum 31. Dezember 1993 gab es die Rappelkiste. In Buer hat sie trotzdem Spuren hinterlassen.
WM-Finale 1990: 100 Leute auf 50 Quadratmetern
Der Mann, der die Kneipe damals eröffnete und fünf Jahre hinter der Theke stand, den gibt es noch. Peter Wendt ist heute Wirt im Fliegenpils, einen Flaschenwurf entfernt von dem Ort, wo die Rappelkiste stand. Ihn hatte man 1988 gefragt, ob er die Gastronomie dort übernehmen wollte. „In dem Gebäude hatte es auch zuvor schon Kneipen gegeben: Sie hießen Old Smuggler, Club 77 und zuletzt Tiffany“, erinnert sich Wendt. Als klar wurde, dass er der neue Wirt wird, habe er sich vor den Laden gesetzt und über den Namen nachgedacht. „Ich wollte etwas einfaches, etwas aus der Kindersprache“, sagte er. Dann kam ihm die Idee: „Rappelkiste soll sie heißen.“
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In der Tat war der Name nicht schlecht gewählt: Viel mehr als eine „Kiste“ war die Kneipe nicht. „Der Gastraum war nur etwa 50 Quadratmeter groß“, sagt Peter Wendt. Aber er hatte etwas, was Wendt schon immer gut fand: „Eine große Theke.“ Schon damals hatte er die Vorstellung, in seiner Kneipe Sport zu zeigen: „Ich habe zwei aus heutiger Sicht winzige Fernseher an die Wand gehängt“, erinnert er sich. Spätestens zwei Jahre nach Gründung sollte sich das auszahlen: „Das WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien 1990 haben wir mit 100 Leuten in dem engen Raum verfolgt – anschließend war draußen große Party“, so Peter Wendt. „Irgendwann sind mir die Gläser ausgegangen.“
Dieser Schalke-Star kam besonders gern auf ein Bier vorbei
Als Anfang der 1990er-Jahre mit Premiere der erste deutsche Pay-TV-Sender an den Start ging, war Wendt mit dabei. „Damals hat das heute unvorstellbar günstige 30 Mark im Monat gekostet: Premiere hatte auf den Werbeeffekt gehofft und wollte sich über Kneipen bekannt machen“, erzählt er.
Vielleicht war es der Ruf als Sportkneipe, der die Schalke-Spieler regelmäßig in die Rappelkiste lockte, denn Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre war die Kneipe der Ort, an dem man eine gute Chance hatte, auf Profis wie Günter Schlipper – und vor allem Michael Kroninger zu treffen. Kroninger, der lediglich von 1990 bis 1992 auf Schalke spielte, war trotzdem so etwas wie ein Publikumsliebling. Vielleicht lag es auch an seiner wilden, blonden Mähne: Die Nordkurve hatte Kroninger, der technisch durchaus versiert war, ins Herz geschlossen – dass es nur für zwei Jahre Schalke reichte, lag auch an einer schweren Verletzung, die er sich zugezogen hatte.
Kroninger jedenfalls war Stammgast in der Rappelkiste – „das war sogar sein Spitzname“, sagt Peter Wendt. Zahlreiche Fotos, die Wendt noch heute hat, zeigen den blonden Fußballer an der Theke. „Manchmal sind sie sogar zwischen den Trainingseinheiten gekommen“, erzählt Peter Wendt. „,Mach mir mal schnell ein Wasser – ach nee, doch lieber ein Radler’, hieß es dann“, sagt der Wirt und lacht. „Das würde es heute doch nicht mehr geben.“
Am 31. Dezember 1993 war Schluss: Das Haus, in dem die Rappelkiste ihren Sitz hatte, wurde abgerissen. Peter Wendt brauchte nicht lange, um etwas neues zu finden: Nur wenige Monate später eröffnete er den Fliegenpils. An die Rappelkiste denkt er immer noch mit etwas Wehmut zurück. „Die Zeit damals war von einer Leichtigkeit geprägt, die heute verschwunden ist“, findet er. „Legendär“: Dieses Wort treffe zu. „Aber zu einer Legende wird man ja in der Regel erst, wenn man tot ist.“
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im September 2023.