Gelsenkirchen. Das jedoch können die Jecken aus dem Süden von Gelsenkirchen nur im Stillen feiern. Coronabedingt fällt hier wie überall die Session aus.
Elf Jecken kommen im Januar 1951 im „Kleinen Bundeshaus“ im Stadtgarten an der Zeppelinallee zusammen, einen Karnevalsverein zu gründen. Zehn Männer sind es und eine Frau.
Bei der Namenssuche helfen ihnen zwei Dinge: Sie sind ein kleines Trüppchen und frönen allesamt gern einem kleinen Gläschen Sekt. Die KG Piccolo ist geboren. Und ganz anders als einst ist sie rund zwanzig Jahre später die größte Gesellschaft der Stadt.
Die Idee zur jecken Vereinsgründung übrigens kommt den Karnevalisten auch bei einem Sektchen – am Silvesterabend. Der Vorsatz für das neue Jahr wird sogleich angegangen und nur wenig später steht der Verein. „Auch um wieder ein bisschen Normalität in den vorher nicht so schönen Alltag zu bringen“, weiß Alexandra Schweinsberg, die heutige Vorsitzende, wie gern die Menschen die harten Kriegsjahre damals hinter sich lassen und das Leben feiern möchten.
Die „Erfinder“ des Hoppediz-Erwachens
Schon früh zeichnet die Karnevalsgesellschaft aus, dass viele ihrer Mitglieder auf der Bühne stehen. Natürlich gibt es Tanzgruppen und Tanzpaare. Darüber hinaus aber auch viele andere talentierte Jecken: Fred Mauritz, bekannt geworden als „singender Seemann“, Heinz Schlössler und die „Ruhrparodisten“ stehen als „Piccolos“ erstmals auf der Bühne. Änne Biernath, Heinz Hochfeld alias „doofe Nuss“ und Gerhard Reineke als „Schnappi“ sind Urgewächse in der Bütt und bald über die Grenzen Gelsenkirchens hinaus bekannt.
Auch Gesangsinterpreten kommen aus den eigenen Reihen und treten auf den Sitzungen auf. Helga Gräser alias „Biene Bellmann“ und das Duo „wir sind bekloppt“, bestehend aus Gerhard Reineke und Josef Siepmann, bringen mit ihren Liedern die Säle zum Kochen.
Die „Piccolos“ hinterlassen auch im gesamtstädtischen Karneval Spuren. So sind sie es, die die Einführung des Hoppediz-Erwachens und des Rathaussturms vorschlagen, inspiriert natürlich vom närrischen Treiben in den Hochburgen am Rhein.
Bundesweit erregt die Gesellschaft Aufsehen mit der Durchführung der ersten Herrensitzung in der Stadt. Eine besonders schöne Idee jedoch kann sich nicht über die Zeit hinweg behaupten: der Theaterkarneval, eine Mischung aus Theaterausschnitten und Darbietungen mehrerer Vereine im Musiktheater.
Viele aktive Mitglieder
Auf die Hochzeit des Vereins jedoch folgt ein Mitgliederschwund in den 80er Jahren. Eine Herausforderung, der sich die Jecken aus dem Stadtsüden damals selbstbewusst stellen und wieder mehr auf den Nachwuchs setzen. Das ist bis heute das Erfolgskonzept.
Mittlerweile sind in der KG Piccolo wieder rund 130 Mitglieder vereint. „Und ein Großteil davon ist aktiv“, erzählt Alexandra Schweinsberg nicht ohne Stolz.
Denn „ihr“ Club wagt stetig Neues. So führt man vor rund dreizehn Jahren, ebenfalls nach rheinischem Vorbild, ein Traditionscorps ein. „Da wurde gesagt, wir machen mal etwas Anderes.“ Mit Erfolg. „Die Gruppe ist unser Aushängeschild und wird oft angefragt. Besonders an Weiberfastnacht sind wir viel unterwegs und beinahe so beschäftigt wie die Prinzengarde.“
Generationswechsel ist gelungen
Noch eins ist der KG Piccolo geglückt: Die Herausforderung des Generationswechsels ist gelungen. Mehr noch. Der Verein wird nicht nur von einem jungen Jecken geführt, er wird von einer jungen Karnevalistin geführt – als einziger in der Stadt.
Alexandra Schweinsberg ist 30 Jahre alt. Erfahren ist sie dennoch. „Ich habe den Karneval mit der Muttermilch aufgesogen, habe mit fünf Jahren angefangen im Verein zu tanzen und war auch schon Stadtprinzessin.“ Irgendwann sei sie von Birgit Lucht gefragt worden, ob sie sich den Führungsjob zutraue. Darüber habe sie nachgedacht, erste Aufgaben übernommen und schließlich zugesagt. „Sicher, es ist Arbeit. Aber es macht Spaß. Ich habe eine tolle Truppe, die hinter mir steht. Da kann gar nichts schief gehen.“
Jecke Karriere nicht ausgeschlossen
Das Ende der Fahnenstange ist damit in Sachen jecker Karriere aber auch noch nicht erreicht. Beim Rathaussturm im Festzelt 2020 vertritt die gelernte Industriekauffrau souverän Papa Hans-Georg, den Sitzungspräsidenten des Festkomitees, auf der Bühne. Ob das ein möglicher Traumjob ist für die Zukunft? „Mal schauen. Ich bin auf jeden Fall offen für alles.“
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