Gelsenkirchen.. Die Diskussion um die Bochumer Straße führt zur Reaktion im Wissenschaftspark. Dort glaubt man: Ein Stadtteil wird stigmatisiert und steht unter Generalverdacht
Die Polizei-Razzia an der Bochumer Straße in der vergangenen Woche lieferte den entscheidenden Anstoß für eine Reaktion in der Nachbarschaft. Im Wissenschaftspark bezieht man Position. Tenor: Der Stadtteil werde stigmatisiert, das – medial – gezeichnete und teils von der Politik kolportierte Bild sei verzerrt „Unsere Sorge ist, dass wir als Vertreter der Wirtschaft nachhaltig leiden unter dem Ruf, den dieser Stadtteil nicht verdient“, sagt Dr. Heinz-Peter Schmitz-Borchert. Der Geschäftsführer des Wissenschaftsparks sieht sich in diesem Fall als Sachwalter der Firmen und Verbände im Haus, aber auch für Ückendorf, diesen „Stadtteil im Aufbruch“.
Unterstützt wird er in dieser Sicht von Markus Hoffmeister, Geschäftsführer des international aufgestellten Verschlüsselungsspezialisten Cryptovision, und von Hikmet Baz von der Mr.Chicken Group. „Die Bewohner der Straße unter Generalverdacht zu stellen und daraus die Stigmatisierung eines ganzen Stadtteils zu machen, geht an der Sache vorbei“, glaubt die Juristin. Die verbreitete öffentliche Meinung hat sie „überrascht“. Die Bochumer Straße als „No-Go-Area“ zu bezeichnen, ist für sie völlig überzogen. Baz arbeitet quasi einen Steinwurf entfernt im Familienunternehmen für die Mr.Chicken Group und ist nach Beobachtungen, die sie dort macht, überzeugt: „Viele im Viertel fühlen sich von Teilhabe ausgeschlossen. Man muss auf diese Leute zugehen.“
Viel im Viertel unterwegs
Heinz-Peter Schmitz Borchert hat die Artikel der letzten Zeit ausgedruckt in seinem Büro vor sich liegen. Die Schlagzeilen thematisieren die Sicherheitslage in Ückendorf und handeln von vermeintlichen No-Go-Areas, von Übergriffen auf Polizeistreifen, von Großeinsätzen der Ordnunsgkräfte, von Fahndungsergebnissen. Seit 20 Jahren ist Schmitz-Borchert Geschäftsführer des Wissenschaftsparks, ist im Viertel viel unterwegs. Die Razzia der Vorwoche hält er für „völlig unangemessen. Aber es passt wohl zum Klischee dieser Städte, die sich massiv im Strukturwandel befinden.“ Aber nun gehe es darum, das „subjektive Sicherheitsgefühl der Leute nicht weiter zu beschädigen.“
Gerade das ist aus Sicht von Markus Hoffmeister geschehen: „Als Bürger und Unternehmer muss ich sagen: Das gezeichnete Bild stimmt nicht.“ Hoffmeister, Chef von 60 Mitarbeitern, ist Ückendorfer, ist im Süden der Stadt aufgewachsen. Und er ist überzeugt: „Wie das dargestellt wird, ist das totaler Quatsch. Ich gehe jeden Abend dort her und werde noch nicht mal doof angesprochen.“
Die Polizeiwache reaktivieren
Die Polizei hat zuletzt in Ückendorf Stärke demonstriert und auf Übergriffe in der Vergangenheit reagiert. Die damit verbundenen Diskussionen um die Sicherheitslage und das leichte Grundbeben, das sie in der Stadt auslösten, spürt Markus Hoffmeister wie ein Seismograph.
Bei Cryptovision ist er auf spezialisiertes Personal angewiesen. „Es ist ohnehin schon immer ein kleiner Kampf, qualifizierte Mitarbeiter nach Gelsenkirchen zu holen“, sagt der Geschäftsführer des Herstellers von Verschlüsselungstechnik. „Für Mitarbeiter ist so ein Thema deshalb definitiv schwierig. Und alles, was in diese Kerbe reinschlägt, macht es noch schlimmer.“
Dabei liefere Ückendorf durchaus Beispiele für positive Entwicklung. „Ich finde, was hier in weiten Teilen passiert, ist ambitioniert und zukunftweisend“, sagt Schmitz-Borchert und verweist auf die Kulturszene, auf die Wohn- und Begegnungsprojekte, die entstehen sollen, auf das neue Justizzentrum. Und selbst in punkto Gewalt, findet Hoffmeister, war früher eben nicht alles besser: „Was wir da an Gewaltbereitschaft auf der Straße hatten, war viel schlimmer.“
Der Wandel, wirbt Schmitz-Borchert, brauche Zeit. In Erle habe man das an der Cranger Straße ja auch hingekriegt“, meint Hoffmeister. „So würde ich mir das auch für die Bochumer Straße wünschen.“ Einen Vorschlag gibt es dennoch, um wohl eher die Gemüter und nicht die Situation zu befrieden: „Die Polizei sollte wieder in der Wache an der Bochumer Straße Präsenz zeigen.“
Die Situation sei weit weniger dramatisch, als sie beschrieben wurde, betont auch das Künstlernetzwerk IUC und glaubt, dass mit Begriffen wie „No-go-Area“ nicht nur „alle Einwohner des Stadtteils diffamiert werden, sondern auch das Engagement derer herabgewürdigt und behindert wird, die sich um eine positive Entwicklung mühen.“