Gelsenkirchen.. Andreas Böhme betreibt an der Luitpoldstraße eine kleine Kneipe, wie es sie früher hier an jeder Ecke gab. Er hat sie zur Raucherkneipe erklärt. Zutritt erst ab 18, kein Personal, nichts zu Essen. Trotzdem darf auch hier nicht mehr gequalmt werden, wenn das Nichtraucherschutzgesetz im Mai in Kraft tritt. Dagegen klagt er nun.
Die Wände sind mit Fotos von Schalker Spielern und Fan-Devotionalien geschmückt. Zwei Dart-Automaten umrahmen den Schalke-Altar, auf dem Dart-Pokale stehen. Mehrere Vereine haben hier ihren Treffpunkt. Am Tag des Derbys wurde hier gedartet. Auf dem einzigen Tisch in der 32 Quadratmeter-Minikneipe steht ein großer Aschenbecher mit dem Schriftzug „Stammtisch“. Über dem Tresen hängt eine Glocke – für Lokalrunden.
Am Tresen ist jeder Barhocker besetzt. Acht Männer hocken hier im Insulaner an der Luitpoldstraße gemütlich vor ihrem Bier, reden, würfeln, lachen – und qualmen. Denn der Insulaner ist eine waschechte Raucherkneipe. Zutritt erst ab 18 Jahren, zu Essen gibt es nichts – abgesehen von hartgekochten Eiern. Wirt Andreas Böhme (50) und seine Frau führen die Traditionskneipe alleine. Täglich ab 16 Uhr ist hier geöffnet, Ende offen. Das klingt schlimmer, als es ist. Denn hier sitzen keine Desperados. Hier trifft sich die Nachbarschaft auf ein Pils oder eine Cola. Man schwätzt ein bisschen, kommt runter vom Alltagsstress.
Nicht alle Stammgäste rauchen
1,10 Euro kostet das kleine Pils, Wodka-Orangensaft ist für 1,50 Euro im Angebot. Ein pensionierter Lehrer, ein Deutsche-Bahn-Mitarbeiter, ein Manager in der Abfallwirtschaft und zwei junge Männer auf Montage hocken hier. Gerade ist Dagmar Yilmaz (52) dazugekommen. Sie raucht nicht mehr, kommt aber trotzdem noch gern. Der Gemütlichkeit wegen. Und der Rauch in der Kleidung? „Stört mich nicht. Das kann ich ja waschen. Wichtiger ist, dass man hier immer jemanden trifft zum Reden.“
Gastwirt Andreas Böhme und seine Frau sind 2009 regelrecht nach Gelsenkirchen geflohen. Sie hatten ein „gut gehendes Burgerrestaurant auf 8000 Quadratmetern in Hessen. Bis das Raucherschutzgesetz in Hessen verschärft wurde. Als dann selbst im Karneval nicht mehr geraucht werden durfte, musste ich aufgeben. Die Einbußen waren zu groß.“ Böhme vertraute auf die gewachsene Kneipentradition im Ruhrgebiet, wo die Eckkneipe zum guten Leben gehörte. Er verkleinerte sich radikal auf jene 32 qm, um eine reine Raucherkneipe führen zu können. „Hier muss keiner reinkommen, der das nicht möchte. Kinder dürfen nicht rein und Angestellte, die durch den Rauch unfreiwillig belästigt werden könnten, habe ich auch nicht. Wen will der Gesetzgeber hier denn schützen?“
Das soziale Umfeld stimmt
Klaus Wanschura (72) ist einer der Männer am Tresen. Er raucht seit 23 Jahren nicht mehr. „Ich komme trotzdem gern. Das soziale Umfeld stimmt, man kennt sich. Es ist gemütlich.“ Herbert Budesheim (66) ist in Hausschuhen da. Er wohnt im Haus, kommt direkt durch den Hausflur. Der frühere Reisebusfahrer fürchtet nun um sein zweites Wohnzimmer, in das er immer mal für ein Stündchen kommt. Zum Rauchen vor die Tür gehen? Das kann er sich nicht vorstellen.
Auch Wirt Andreas Böhme fürchtet, dass sein letztes Stündlein als Wirt geschlagen hat, wenn das neue Raucherschutzgesetz in NRW zum 1. Mai in Kraft tritt. Deshalb hat er mit seinem Rechtsanwalt Dr. Frank Roeser Verfassungsbeschwerde dagegen erhoben.
Verfassungsklage um der Freiheit willen
Rechtsanwalt Dr. Frank Roeser vertritt mehrere Gastwirte in dieser Sache. Er tue es um der Freiheit willen, aus Überzeugung, sagt der Gelegenheitsraucher. Das gut gemeinte Gesetz gehe zu weit, sagt er. Es arte in Zwangsbeglückung aus. Eine Kneipenkultur wie hier in NRW gebe es sonst nirgends in Europa und in USA erst recht nicht. Von daher hinke jeder Vergleich. Zumal es in NRW in öffentlichen Einrichtungen wie Gerichten weiterhin Raucherräume gebe.
Abgesehen davon gibt es ausgerechnet in Hessen, aus dem Gastwirt Böhme flüchtete, nun wieder ein weniger rigides Gesetz, das Ausnahmen zulässt. Und auch Sachsen-Anhalt denkt über eine Rolle rückwärts in Sachen totales Rauchverbot nach.
Roeser hat neben der Verfassungsbeschwerde auch den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Stoppen des Nichtraucher-Schutzgesetzes gestellt. Ob das Bundesverfassungsgericht das aber überhaupt verhandeln wird oder nur eine schriftliche Ablehnung schickt: Er weiß es nicht. Dass sich die Erfolgsaussichten in Grenzen halten, hat er seinen Klienten gesagt. Aber damals, als er die 16-jährige Lisa Loch gegen Stefan Raab vertrat, schien die Sache auch aussichtslos.