Essen/Gelsenkirchen.
Im Prozess um den sexuellen Missbrauch schwer erziehbarer Jugendlicher in Spanien geht es am Ende des zweiten Prozesstages vor dem Landgericht Essen zwar ein wenig drunter und drüber. Klar ist aber: Die Anklagen gegen den 54-jährigen aus Gelsenkirchen werden kaum für eine Verurteilung reichen.
Der Angeklagte hat mitbekommen, dass er auf einen Freispruch hoffen kann. Er, dem Jugendhilfeeinrichtungen schwierige Jugendliche für einen Auslandsaufenthalt anvertraut hatten, präsentiert am Dienstag seine Unterarmtätowierung und beschwert sich laut lachend bei Richterin Luise Nünning über die Glaubwürdigkeitsgutachterin Cornelia Orth: „Sie erdreistet sich, ein Gutachten zu erstellen.“
Aussage wich ab
In ihrem vorläufigen Gutachten hatte die Psychologin dem heute 18-Jährigen, der das Verfahren gegen den Erzieher ins Rollen gebracht hatte, grundsätzliche Glaubwürdigkeit attestiert. Vor Gericht wich er in seiner Aussage am Montag und Dienstag aber in einigen Punkten von seinen früheren Schilderungen ab. Klar wurde auch, dass er früher Stimmen hörte, die es nicht gab. Das Gericht will ihn jetzt erst einmal von einem Psychiater auf seine Aussagetüchtigkeit untersuchen lassen. Außerdem will die Kammer die Ärzte vernehmen, die ihn behandelt haben.
Die Anklage, die auf seinen Vorwürfen basiert, stammt vom vergangenen Jahr. Erst vor etwas mehr als einer Woche hatte Staatsanwältin Katharina Küpper eine zweite Anklage vorgelegt, die auf der Aussage eines anderen Jugendlichen beruhte. Er gab an, von dem Angeklagten in Spanien zwischen 2004 und 2007 sexuell missbraucht worden zu sein.
Die Verteidiger Clemens Louis und Nikolai Odebralski hatten erlaubt, dass die zweite Anklage mitverhandelt wird, obwohl die vorgeschriebene Frist nicht eingehalten wurde. Sie beantragten aber am Montag, dass das Verfahren in diesen Punkten eingestellt wird, weil die Vorwürfe bereits verjährt sind.
Kammer ließ Eindeutigkeit vermissen
Die Antwort der Kammer einen Tag später ließ Eindeutigkeit vermissen. Richterin Nünning teilte am Dienstag mit, dass sich das Gericht mit dem Antrag beschäftigt, darüber aber noch nicht entschieden habe. Sagen wolle sie nur: „Wir nähern uns der Verjährung.“ Die Unsicherheit hängt wohl mit einer Gesetzesänderung zum Verjährungsbeginn aus 2012 zusammen.