Gelsenkirchen. Die politische Aufarbeitung des Heimkinder-Skandals beginnt. Der eigens gegründete Untersuchungsausschuss tagt im Ratssaal des Hans-Sachs-Hauses.

Die politische Aufarbeitung des Heimkinder-Skandals beginnt heute. Mit einem nur für diesen Zweck gegründeten Ausschuss wollen die Politiker allen offenen Fragen und möglichen Hinweisen nachgehen, die in Zusammenhang mit den Auslandsaufenthalten von Jugendlichen bei der Neustart im ungarischen Pecs auftauchen. Zum Komplex gehören auch die systematischen Überbelegungen des Kinderheims St. Josef, die Durchführung von Kinderfreizeiten auf dem Reiterhof Orfü bei Pecs sowie die Eigentumsverhältnisse in Zusammenhang mit diesem Ferienziel.

Gudrun Wischnewski  sprach mit der WAZ.
Gudrun Wischnewski sprach mit der WAZ. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Zur Aufgabe will sich der Ausschuss auch machen, mit Personen und Einrichtungsvertretern zu sprechen, die entweder im Zentrum des Skandals stehen oder durch ihre Aussage zur Klärung beitragen können. Dass es dafür jedoch keine gesetzliche Grundlage gibt, weiß der Ausschuss. Er darf einladen, aber er kann niemanden verpflichten, im Ratssaal aufzutreten.

Das würde auch Gudrun Wischnewski, die Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Gelsenkirchen, nicht tun. In einer Recherche der WAZ tauchte ihr Name jetzt im Zusammenhang mit dem ehemaligen Jugendamtsleiter und Awo-Vorsitzenden Hans-Jürgen Meißner auf. Der ist Mitbetreiber des Reiterhofs Orfü und soll dort dem Vernehmen nach Immobilienanteile besitzen.

Zwei Berührungspunkte für die Awo

Mit der WAZ-Redaktion sprach die Ehefrau von Oberbürgermeister Baranowski (SPD), um allen Gerüchten früh entgegenzutreten. „Ich habe nichts mit der Sache zu tun“, sagte sie. Sie sei von 1991 bis 2001 Mitarbeiterin des Jugendamtes gewesen, ehe sie zur Awo gewechselt sei. „Ich habe aber weder mit Meißner in einem Büro gesessen, er hatte als Leiter ein eigenes, noch war ich inhaltlich mit den Ferienfreizeiten beschäftigt. Mein Sachgebiet waren Jugendschutz und Jugendring.“

Der zweite Kontakt, so Wischnewski, sei 2010 entstanden. „Damals habe die Awo Gelsenkirchen einen Schüleraustausch mit Pecs organisiert. Das Ruhrgebiet war Kulturhauptstadt, Pecs ebenfalls. Wir haben nur diese Arbeit geleistet. Alles andere lief über das Büro der Kulturhauptstadt und Personen wie etwa den Künstler Rolf Gildenast.“

Günter Pruin als Ghostwriter der Verwaltung?

Eine E-Mail der Verwaltung sorgte am Donnerstag für Aufregung. Die Stadt hatte tags zuvor um 15.21 Uhr den Entwurf der Verfahrensrichtlinien für die erste Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Thema Jugendamt Gelsenkirchen versandt. Die Grünen machten als Autoren der Anlage Günter Pruin, den Fraktionsgeschäftsführer der SPD, aus und meinten: „Das ist eine politische Frechheit.“

Während in der Beschlussvorlage von der Erstellung einer Richtlinie durch die Verwaltung die Rede sei, genüge laut Grüne ein Klick auf die Datei-Information, um zu erkennen, wer der Autor sei. Dort werde Günter Pruin genannt, der von seinem Rechner bei Gelsensport für die Verwaltung Texte schreibe, die als offizielle Verwaltungsposition verkündet würden.

Grüne fordern Rückgabe des Ausschussplatzes

Ist empört: Peter Tertocha von den Grünen.
Ist empört: Peter Tertocha von den Grünen. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Peter Tertocha, Fraktionsvorsitzender der Grünen, sagte dazu: „Ob Günter Pruin sich bei seiner Tätigkeit als Geschäftsführer von Gelsensport nicht ausgelastet fühlt, wissen wir nicht. Aber dass die SPD-Fraktion jetzt die Sitzungsvorlagen für die Verwaltung schreibt, ist mehr als ein starkes Stück. Von Günter Pruin erwarten wir, dass er sofort auf seinen Sitz im Untersuchungsausschuss verzichtet.“ Von Rechtsdezernent Schmitt und OB Baranowski erwarte man eine Erklärung.

Für Pruin ist das ein Sturm im Wasserglas: „Die Datei wurde Mitte Mai an einem Samstag von einem Fraktionsmitarbeiter verfasst und an mich verschickt. Weil ich die auf dem Dienst-Laptop abgespeichert, bearbeitet und dann am Sonntag zurück geschickt habe, trägt sie meine Signatur. Das ist klar belegbar.“

Für die Stadt sagte Dezernent Christopher Schmitt: „Wir brauchen keinen Ghostwriter. Teile einer alten Datei, in der es um die Verfahrensrichtlinien zum Untersuchungsausschuss Hans-Sachs-Haus II ging, sind offenbar kopiert und dann genutzt worden, um die neue Verfahrensrichtlinie zu erstellen. Der Entwurf wurde von mir komplett überarbeitet und später freigegeben.“