Gelsenkirchen. Ein neuer Imagefilm zeigt Arbeit und Menschen im Sozialwerk St. Georg. Dort hat man den Teilhabebegleiter erfunden – für mehr Selbstbestimmung der Klienten. Wirtschaftlich war das Werk 2011 erfolgreich. Das Angebot wuchs besonders im ambulanten Bereich.

1977, sagt Rudolf Hauska, „war ich ein Wrack. Und zehn Jahre später war ich eigentlich schon tot. Ich war nur zu matt, um umzufallen. Doch mittlerweile habe ich es geschafft.“ Suchtkrank ist der 68-Jährige. Zwei Jahrzehnte Wohnheim und zehn Jahre ambulant Betreutes Wohnen hat er hinter sich. „Ich hatte lange Angst, alleine zu leben“, sagt Hauska.

Doch er hat die entscheidende Kurve gekriegt: „Dank St. Georg und meiner Gruppe.“ Der Satz in der Gesprächsrunde im Café Kaue am Schacht Bismarck fällt im Brustton der Überzeugung. Werbewirksam. Und eigentlich perfekt für einen Imagefilm. Den gibt es nun tatsächlich vom Sozialwerk St. Georg. Titel: „Gut leben – mittendrin.“ (zu sehen unter: www.gemeinsam-anders-stark.de). Hauska ist einer der Darsteller und kommt im Streifen zu Wort, hält ein kurzes, knackiges Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben. Das wünscht er sich. Auch als Mensch mit Behinderung. Oder wie es politisch korrekt heißt: mit Assistenzbedarf.

Musik von Juli und Rosenstolz

Der Rosenstolz-Hit „Wir sind am Leben“ und der Juli-Song „Dieses Leben“ untermalen die Bilder des gut neunminütigen Films, mit dem das Sozialwerk St. Georg für sich und seine Arbeit wirbt. In Szene gesetzt wurden die Menschen im Sozialwerk, ihre Ansprüche und persönlichen Wünsche, Begabungen und Fähigkeiten. Tülin Z. oder Juliane O. hat die Kamera beim Einkauf oder der Arbeit begleitet, Daniela B., die Bauchtanz mag und Bollywood-Shows, wird beim Auftritt auf der Bühne gezeigt. Filmaufnahmen im März haben drei Sozialwerk-Gruppen hinter sich. „Das war total interessant wie das alles funktioniert und was das für ein Aufwand ist“, sagt Rudolf Hauska. „Für die paar Minuten haben die zwei ganze Tage gedreht.“

„Gut leben“ – dazu gehört für den 68-Jährigen auch die Freiheit, für sich selbst zu entscheiden. Das Thema des Films ist auch Thema im Sozialwerk, das zu Jahresbeginn „als erster Träger in Deutschland das in Holland erprobte Assistenzkonzept Qualität des Lebens eingeführt hat“, sagt Vorstandsmitglied Gitta Bernshausen.

Barrieren in den Köpfen

Die Forderungen der Vereinten Nationen nach Inklusion, Chancengleichheit und Teilhabe für Menschen mit Behinderung liefern den Maßstab. „Das heißt etwas für uns alle. Barrierefrei bedeutet nicht nur ohne Barrieren wohnen, sondern auch Barrieren abschaffen im sozialen Umfeld, in den Köpfen. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht, um neue Strukturen aufzubauen“, erklärt Bernshausen. „Und so haben wir den Teilhabebegleiter erfunden, der unsere Klienten weitestgehend unabhängig unterstützen soll.“

Organisationen und Einrichtungen , sagt Vorstandssprecher Dieter Czogalla (der übrigens vehement für das persönliche Budget der Behinderten wirbt) sollen stärker „den Wünschen des Klienten folgen. Es geht um eine Begleitung auf Augenhöhe. Natürlich muss das abgestimmt sein auf das, was machbar ist.“ 15 Teilhabebegleiter hat das Sozialwerk bereits installiert, 38 sollen es werden.

Sie ersetzen auch die ehemaligen sogenannten Bezugsbetreuer. Geändert, betont Czogalla, habe sich aber nicht allein die Begrifflichkeit. „Es hat sich insgesamt was verändert in Bezug auf die Dienstleistung. Wir sind der Auffassung, es war höchste Zeit anzufangen.“

Das Sozialwerk wächst weiter

Fast 2500 Mitarbeiter in 53 Einrichtungen, knapp 130 Mio Umsatz und 1,3 Mio Euro Jahresüberschuss, neun Tochtergesellschaften und 32 ambulanten Beratungsstellen sowie 1100 Fälle im Betreuten Wohnen im Revier und Südwestfalen: Die Zahlen, Daten und Fakten machen deutlich: Das Sozialwerk St. Georg gehört zu den großen Anbietern der Sozial-Branche. Rund 3700 Menschen mit geistiger Behinderung, psychischer Erkrankung oder sozialen Schwierigkeiten werden betreut. Konzernsitz ist Gelsenkirchen. Dort stellte der Vorstand Montag den Geschäftsbericht für 2011 vor.

„Das Sozialwerk ist letztes Jahr auch weiterhin gewachsen, die Klientenzahl hat zugenommen“, stellt Vorstand Wolfgang Meyer fest. Allerdings gibt es deutliche Verschiebungen: „Im ambulanten Bereich sind die Zahlen deutlicher gestiegen als stationär. Betreutes Wohnen ist der Bereich, der stark wächst. Unsere Mitarbeiter haben 2011 1077 Menschen begleitet gegenüber 937 im Jahr zuvor.“

Zweiter Punkt. Der Kostendruck wuchs, die Refinanzierung durch Pflegesätze sinkt bei gleichzeitig zunehmenden Fallzahlen. Zudem stiegen die Personalkosten durch Tariferhöhungen – bei St. Georg um etwa 3 Mio auf 91 Mio Euro, das sind 71 % des Gesamtkonzernertrags. Meyer: „Diese Mehrkosten sind nicht gedeckt.“