Gelsenkirchen.
„Da bin ich wieder!“, ruft Reinhard Mey seinem Publikum zu. Er wolle genau da weitermachen, wo er vor sechs Jahren bei seinem letzten Besuch in Gelsenkirchen aufgehört habe: „Dann kann ich mir einbilden, ich spiele jetzt einen etwas ausufernden Zugabenblock, und die Aufregung ist wie weggeblasen.“
Dabei besteht zur Nervosität kein Grund, denn bei seinen zwei ausverkauften Konzerten in der Emscher-Lippe-Halle schlagen dem 68-jährigen Liedermacher die Sympathien merklich entgegen. „Gib mir Musik!“, fordert er in seinem ersten Lied und bekennt: „Musik ist für mich ein Überlebensmittel.“ Verständlich, hat Mey doch mit seinem jüngsten Album „Mairegen“ auch einen privaten Schicksalsschlag verarbeitet. Sein Sohn Max liegt im Koma, das eindringliche Lied „Drachenblut“ lässt es im Saal ganz still werden: „Begierig zu sehn, in welches Meer der Strom mündet, hast du dein Licht an beiden Seiten angezündet.“
Immer reifer, immer besser
Nicht nur hier, auch in zahlreichen anderen Liedern wirkt der Chansonnier nachdenklicher, auch trauriger als sonst, versteht es aber immer, mit versöhnlichen Tönen und herrlich witzigen Texten die Stimmung wieder ins Positive zurückzuführen.
„Ich habe 45 Jahre für den heutigen Abend geübt“, sagt Mey schmunzelnd. Leicht macht er es sich nicht: Aus seiner großen „Hit“-Phase in den 1970ern singt er lediglich „Herbstgewitter über Dächern“ und, als letzte Zugabe, „Gute Nacht Freunde“. Ansonsten bringt er viel Liedgut der letzten zehn, 15 Jahre, besingt in der über zehnminütigen „Eisenbahnballade“ rund 100 Jahre deutscher Geschichte, erhebt deutlich die Stimme gegen politische Willkür („Sei wachsam!“), fügt bewährten Liedern neue, aktualisierte Strophen hinzu, in denen er Seitenhiebe auf gefälschte Doktorarbeiten und Eurorettungsschirm verteilt, und fordert die Gründung einer Musikpolizei („jetzt spielen sie Volksmusik, und jeder einzelne Ton davon verstößt gegen die Genfer Konvention“).
Reinhard Mey scheint tatsächlich immer noch reifer, immer noch besser zu werden.