Gelsenkirchen. Else Mihrmeister feiert heute Geburtstag. Die Mutter eines Sohnes, zweifache Oma und Urgroßoma, ist gelernte Buchhalterin und hat bis ins hohe Alter im Familienbetrieb mit gearbeitet.
Sie ist eine waschechte Gelsenkirchenerin. Geboren als Else Stein, aufgewachsen in der Neustadt zu Kaisers Zeiten, als der Erste Weltkrieg gerade fünf Monate tobte. Es kam die Zeit von Küchenmeister Schmalhans mit „Sauerpeps und Steckrüben“. Beides mochte die kleine Else nicht mehr essen. „Peps“ sagte sie zu Kraut. „Ich hatte anfangs Schwierigkeiten zu sprechen“, erinnert sie und lächelt fast spitzbübisch.
Besser in Futter war die kleine Else dann auf dem Gruppenbild der Volksschule an der Schalker Straße. Sie platziert ihren Finger auf dem alten Schwarzweißfoto: „Hier, ich bin die Dicke mit der Schürze.“ Wieder lacht die alte Dame, die seit der Hochzeit mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann Walter anno 1942 Mihrmeister heißt. Und die mit einem äußerst wachen Geist und erstaunlichem Gedächtnis gesegnet ist. Stolze 101 Lebenslenze vollendet Else Mihrmeister aus Bulmke-Hüllen heute. Respekt. Man merkt ihr das nicht an.
Junge Buchhalterin konnte nicht nähen
Nach dem Volksschulabschluss besuchte sie die Handelsschule an der Augustastraße, ging dann bei Appelrath & Cüpper an der Bahnhofstraße in die Lehre. Mode verkaufen? Fehlanzeige. Die junge Frau wurde Buchhalterin.
1938 ging die damals 24-Jährige zur Firma Pfaff nach Kaiserslautern. „Ich war für den Außendienst vorgesehen“, erzählt sie. Drei Monate bleib sie dort. „Ich musste für ein, zwei Tage auch in die Näherei.“ Böse Falle, denn „Ich konnte doch gar nicht nähen.“ Aber Else Mihrmeister konnte die Zahlen. Als sie bei Kriegsbeginn von Pfaff in Hamburg nach Gelsenkirchen zurückkehrte, fing sie im Bekleidungsgeschäft Kogge an.
1942, „es lag Schnee und war entsetzlich kalt“, heiratete sie ihren Walter, einen Schalker. Sie schmunzelt. „Ich habe ihn in der Neustadt im Kindergottesdienst kennen gelernt.“ 1943 kam Sohn Klaus zur Welt. Und während Walter Mihrmeister Kriegsdienst bei der Marine leisten musste, zog sie im August 1943 mit ihrem Baby in ein Pfarrhaus in der Lutherstadt Wittenberg. Im April ‘45 allerdings wollte sie so schnell wie möglich dort weg – „zu den Amerikanern.“
1955 übernahm sie die Buchführung im Betrieb ihres Mannes
Die erste Flucht mit dem Pferdewagen scheiterte an einer zerstörten Brücke. Am 1. Mai begegneten ihr dann doch noch die Russen. Mehr erzählt sie nicht. Walter holte seine kleine Familie schließlich selbst aus Wittenberg ab und brachte sie auf dem beschwerlichen Weg in den Nachkriegswirren sicher zurück nach Gelsenkirchen. Else Mihrmeister nahm ihre Arbeit bei Kogge wieder auf – bis sich ihr Walter 1955 mit einem Elektro-Installationsbetrieb selbstständig machte. Natürlich übernahm sie die Buchführung. Wie sehr ihr diese Arbeit lag, unterstreicht Anne Mihrmeister: „Meine Schwiegermutter konnte 1972 im Betrieb schneller im Kopf rechnen als ich mit meiner Rechenmaschine.“
So ganz nebenbei hatte Unternehmergattin Else Mihrmeister aber auch Zeit, sich zu engagieren. Beispielhaft sei da etwa ihr Einsatz als „Grüne Dame“ in den Evangelischen Kliniken genannt. Auch in ihrer Kirchengemeinde war sie aktiv. Außerdem liegt ihr Israel am Herzen. Sie holt eine Urkunde hervor, die sie 1995 als Dankeschön für eine Spende erhalten hat, mit der im gelobten Land zehn Bäume gepflanzt wurden.
Nicht alle Sitten und Gebräuche abschaffen
Mit wachen Augen beobachtet die alte Dame, wie sich die Welt verändert. Was nicht unbedingt ihre Zustimmung findet. Etwa, „dass es keine richtigen Sonntage mehr gibt“. Man könne doch nicht alle Sitten und Gebräuche abschaffen. Sorgenvoll beobachtet sie, die immer gern gearbeitet hat, die Auswirkungen des Arbeitsmarktes auf die Menschen. „Die einen werden von ihrer Arbeit völlig überstrapaziert, andere dagegen sind gezwungen, Däumchen zu drehen.“
Was sich eine Frau wünscht, die 101 Jahre alt wird und zu Gelsenkirchens ältesten Bürgern gehört? „Ich brauche nichts mehr“, lacht die zweifache Groß- und doppelte Urgroßmutter. Na ja, eine neue Brille hat sie sich aber doch gegönnt. Braucht sie auch – zum Patiencen legen oder Skrabblen.