Gelsenkirchen.. Beliebt ist es noch immer nicht , das Turbo-Abitur am Gymnasium nach acht Jahren. Gelsenkirchener halten die Rolle rückwärts trotzdem für keine Lösung.

Heute ist der erste Unterrichtstag in Gelsenkirchen. Es ist das elfte neue Schuljahr, seit das Turboabitur in NRW eingeführt wurde. Die Diskussion darüber ist indes längst nicht abgeschlossen. Vier Jahre, nachdem die ersten Schüler ihr Abitur nach acht Jahren abgelegt haben, wird weiter darüber diskutiert, ob G8 gescheitert ist – und zwar bundesweit. In NRW hat die SPD-Basis die Diskussion soeben frisch befeuert.

Größte Probleme sind zu wenig Räume und Lehrer

Wahlfreiheit, Verlängerung der Sekundarstufe I bis zum Ende der Klasse zehn und eine Sekundarstufe II mit wahlweise zwei bis vier Jahren, samt Sonderregel für Schüler, die ein Jahr im Ausland verbracht haben, fordert die Kölner SPD-Basis. Dies soll beim Landesparteitag im September diskutiert werden. Die Ministerpräsidentin hält sich bedeckt, die grüne Bildungsministerin verweist auf den Runden Tisch mit Eltern- und Lehrervertretern.

Und in Gelsenkirchen? Üben sich die großen Fraktionen in Zurückhaltung – ebenso wie die Schulleiter und Elternvertreter, die die WAZ zuletzt vor den Ferien dazu befragte. Nicht, weil sie alles für gut befinden. Sondern weil sie andere Sorgen beim Thema Schule haben: zu wenige Räume zum Beispiel für Differenzierung im Rahmen der Inklusion und zu wenige Lehrer. Durch einen zusätzlichen Jahrgang würden diese Engpässe verstärkt. Das sehen vor Ort die meisten so. Unabhängig vom eigentlich bevorzugten System.

Sekundarstufe um ein Jahr verlängern, um Abgang ohne Abschluss zu verhindern

Schon vor der Einführung gab es zahlreiche Demonstrationen gegen das Turbo-Abitur.
Schon vor der Einführung gab es zahlreiche Demonstrationen gegen das Turbo-Abitur. © picture alliance / dpa | picture alliance / dpa

Die Vorsitzende des Bildungsausschusses, Martina Rudowitz (SPD), und ihre Fraktion fordern die Verlängerung der Sekundarstufe I bis zum Ende von Klasse zehn. „Das war ja schon vor der Einführung von G8 unser Modell. Nicht an der Sekundarstufe I zu kürzen, sondern in der Sek II. Jetzt haben die Schüler am Ende der Sekundarstufe I auf dem Gymnasium keinen Abschluss. Das ist unverantwortlich. Wenn die Oberstufe erst nach der Zehn beginnt, können Schüler, die mehr Zeit brauchen für das Abitur, mit diesem Abschluss bei Bedarf auf eine Gesamtschule wechseln“, erklärt Rudowitz. Für sie steht fest: Gelsenkirchen braucht mehr Gesamtschulen. Ob das Schalker Gymnasium nach der Verlängerung G9-Gymnasium als Regelschule werden soll, mag sie noch nicht abschließend bewerten. Die Anmeldezahlen seien ja eher stagnierend.

Markus Karl, bildungspolitischer Sprecher der CDU, sieht das G8-Problem pragmatisch: „G8 war in NRW ja eigentlich ein Werbeprogramm für Gesamtschulen. Wir denken, man sollte die Entscheidung den Gymnasien überlassen, ob sie in acht oder neun Jahren zum Abitur führen wollen oder auch beides anbieten. Ansonsten erwarte ich, dass die Lehrpläne für G8 jetzt endlich wirklich entrümpelt werden, wie der Runde Tisch und Eltern es fordern.“ Das Schalker Gymnasium zur Regel-G9-Schule zu machen hält er für sehr sinnvoll, eine komplette Rückkehr zu G9 derzeit nicht, auch weil Lehrer und Räume fehlten. Die Bundesregierung lasse Städte wie Gelsenkirchen viel zu sehr alleine mit den Problemen, die durch die hohe Zahl von EU-Zuwanderern entstünden. Es fehlen unter anderem Lehrer und Räume für die vielen internationalen Förderklassen.

G8 war zum Start nicht gut genug vorbereitet

David Fischer, bildungspolitischer Sprecher der Grünen in Gelsenkirchen, ist gegen Schnellschüsse. „G8 war nicht gut vorbereitet bei der Einführung. Aber es wird jetzt in Schulen von rechts auf links umgekrempelt. Man muss doch abwarten, wie das wirkt. Und man muss genau hinschauen, warum es Probleme gibt, differenzieren“, deutet er an, dass bisweilen auch übertriebener Ehrgeiz zu Überlastung von Schülern führen kann, die an einer anderen Schulform besser aufgehoben wären.

Nur in den neuen Bundesländern wird nicht über G8 diskutiert

Niedersachsen ist komplett zu G9 zurückgekehrt, erlaubt Leistungsstarken aber das Abitur nach acht Jahren. In Hessen gilt jetzt Wahlfreiheit für die Schulen, die rege genutzt wird. Sogar Siebtklässler dürfen noch von G8 auf G9 umschwenken.

Auch Bayern will ab 2018 Wahlfreiheit anbieten, Schleswig-Holstein plant es ebenfalls. In Hamburg ist diese Initiative gescheitert, es bleibt bei G8, ebenso in Bremen und im Saarland. Rheinland-Pfalz hat traditionell das Abitur nach 8,5 Jahren. In den neuen Bundesländern hat das G8-Abitur eine lange Tradition und eine Abschaffung steht nicht zur Diskussion