Gelsenkirchen. Vom Bürgerforum bis hoch ins künftige OB-Büro führte die Besichtigungs-Tour zehn Leser im Hans-Sachs-Haus. Zwei Experten standen Rede und Antwort im Baudenkmal, das ein komplett neues Innenleben erhält.
Thilo Steinmann blickt in die Zukunft. „Die Büros“, sagt er, „bekommen dunklen Linoleumboden, auf den Fluren werden dunkelblaue Basaltsteine verlegt, oberflächenbehandelt, mit besonderem Glanz. Die Sprossen-Fenster sind 1:1 nach den historischen Vorgaben hergestellt worden, beim Holzwerk der Handläufe und den Türen setzen wir Akzente mit amerikanischem Kirschfurnier, die Wände werden geputzt und weiß gestrichen. Also recht nüchtern, aber nicht unedel.“
Die Gruppe im künftigen Büroraum hört dem städtischen Projektleiter für das Neue Hans-Sachs-Haus aufmerksam zu – und muss ihre Fantasie strapazieren. Denn rundum sieht es noch so aus, wie es eben aussieht auf Baustellen im fortgeschrittenen Stadium: Staubig. Geschäftig. Kabel hängen aus Schächten. Hier stehen Gerüste, dort Absperrungen. Glasscheiben sind abgeklebt. Manche Wände tragen schon die endgültige Farbe, andere stehen noch als Trockenbauplatten im Ständerwerk. Es wird geschraubt, gebaut, montiert, gebohrt. Stück für Stück wächst das Riesenprojekt der Vollendung entgegen.
Wie weit Gelsenkirchens prestigeträchtigste Baustelle gediehen ist, sehen an diesem Nachmittag zehn WAZ-Leser . Die Stadt öffnet ihnen die Bautüren – und Steinmann und Jutta Hartmann-Pohl, verantwortliche Architektin des Büro gdp, liefern die Informationen.
Tanzgalas sind Geschichte
Jeder in der Gruppe kennt das Hans-Sachs-Haus von innen und außen. Von Behördengängen, aber auch von legendären Feiern. Abschlussbälle und Tanzgalas waren hier früher an der Tagesordnung. Die Zukunft wird weniger rauschend. „So wie sie das Haus kennen, wird es nicht mehr sein. Wenn wir an Veranstaltungen denken, dann eher an Tagungen oder Empfänge“, sagt Steinmann. Arbeitsplatz der Verwaltung, des Oberbürgermeisters, der Politik wird das Hans-Sachs-Haus sein. Hier wird der Stadtrat tagen. In runder Sitzanordnung in einem Saal, der gläsern begrenzt ist und Besuchern ausladende Logen bietet. Ein offenes, transparentes Haus entsteht, was die Innenarchitektur im Denkmal und die neue Außenfassade an der Westseite demonstrieren wollen. Inklusive Bürgerforum. Das mächtige Atrium bietet Platz für bis zu 1200 Menschen. Noch stehen Gerüste unterm Glasdach.
Über drei Treppenhäuser und Aufzüge wird das Haus erschlossen. „Besucher können sich immer orientieren“, glaubt Hartmann-Pohl. Über die ausgeklügelte Lüftungstechnik, die für gutes Klima sorgen soll, über die Heiz-Kombination aus Erd- und Fernwärme mit Heizschlangen in den Deckenkonstruktionen, über die Photovoltaikanlage auf dem Dach werden die Leser beim Aufstieg von den beiden Bauexperten aufgeklärt. Und darüber, dass das Gebäude, das so würfelig aussieht, von der Grundform kein Quadrat oder Rechteck ist. „Es verläuft leicht konisch“, sagt Steinmann.
„Das Glas der Dachkuppeln ist selbstreinigend“
Durch Oberlichter blickt die Runde in den graublauen Himmel. Wie es denn überhaupt mit der späteren Beleuchtung aussehen werde, fällt einer Frau bei diesen Perspektiven ein. „Wir haben eine Tageslichtsimulation für das Gebäude erstellen lassen und festgestellt, dass wir im größten Teil auf künstliche Beleuchtung verzichten können“, erklärt die Architektin. Ach ja, ergänzt Thilo Steinmann: „Das Glas der Dachkuppeln ist selbstreinigend. Auch wenn es gerade nicht so aussieht.“
Auf einem Umlauf am Atrium ist Fußarbeit gefragt. Ein Arbeiter zieht mit einem Satz Trittbretter den Estrich auf dem langen Flur glatt. Die Gruppe guckt eine Weile zu und stapft weiter aufwärts durch den weißgrauen Baustaub, der fein den Boden überzieht. Oben hat das Hans-Sachs-Haus Penthouse-Charakter: gläserne Fensterflächen zum Innenbereich, lichtdurchflutete Büros, einen Balkon. Zu hoch und zu klein für die Meisterfeier, entfährt es einem. „Hier stehen sie im künftigen Arbeitszimmer des Oberbürgermeisters“, sagt Steinmann. „Ohhhh“, tönt es in der Runde. Und dann: „So klein?“ Nun, Sekretariat, Besprechungszimmer und einen kleinen Ruheraum wird es für die Stadtspitze auch noch geben. „Das ist angemessen, aber nicht übertrieben“, findet der Projektleiter.
Weiter geht’s in den alten Turm „Da kommen noch die neuen alten Fenster rein als Hommage an die ursprüngliche Konstruktion. Dann war’s das hier“, sagt Steinmann. „Warum das scheußliche Ding“ nicht wie der Anbau aus den 50er Jahren mit abgerissen wurde, will ein Leser wissen. Steinmann: „Weil es zum Denkmal gehört.“ Wäre das auch geklärt.
Original und Nachbau
Für die Ergänzung der Steine an der Außenfassade des Hans-Sachs-Hauses werden farbgenau angepasst extra Klinkersteine in einem Spezialbetrieb gebrannt. Original nachgebaut werden auch die Fenster für das Baudenkmal. Für die innere Farbgebung des HSH gewann der Essener Architekt Alfred Fischer 1927 den damals vierzigjährigen Maler Max Burchartz, der für das vom Bauhaus geprägte Gebäude ein frühes, beispielhaftes Farbleitsystem entwickelte. In Anlehnung an das Vorbild werden die gdp-Architekten für die einzelnen Etagen ein zeitgemäßes Leitsystem mit kräftigen Farben umsetzen lassen.
„Sie dürfen mich alles fragen, nur nicht zur Fertigstellung und zu den Kosten“, witzelte Projektleiter Steinmann bei der Leser-Führung. Die Antwort liefert die WAZ nach: Der Umzug steht nun in den ersten Monaten 2013 an, die Kosten stiegen von 55 auf 60,6 Mio Euro.