Gelsenkirchen. Die Seelenlage der Kleingärtner in Rotthausen ist aufgewühlter denn je. Bei einer Begehung durch den Stadtverband wurden 92 von 129 Gärten bemängelt. Wer den Schwarzen Peter in Händen hält, ist unklar.

Im goldenen Licht der Oktobersonne erscheint die Kleingartenanlage Wiehagen wie ein malerischer Ort der Ruhe und des Friedens. Hier regiert der Schollenkönig, freut sich seines Lebens und bietet Nachbarn wie Spaziergängern ein grünes Refugium. Doch der Schein trügt. Die Seelenlage der Kleingärtner in Rotthausen ist aufgewühlter denn je. Das hat diesen Grund: eine Begehung durch den Stadtverband, die viele Fragen aufwirft – und Antworten gibt es derzeit nicht.

Sage und schreibe 92 von insgesamt 129 Gärten wurden bemängelt. Da sollen beispielsweise Außenschränke abgebaut werden; aufgestellte PVC-Kisten sollen verschwinden, in denen die Kleingärtner Kinderspielzeug, Sitzauflagen oder Geräte wetterfest verstauen; Trampoline sollen abgebaut werden, auf denen die Kinder zur Freude aller toben. Im Kern ist es aber diese Forderung, die für Fassungslosigkeit bei Wolfgang Ostermann (56) sorgt. „Zahlreiche Lauben sind mit dem Vermerk Ortstermin versehen worden. Das bedeutet, dass bei einem Pächterwechsel ein Rückbau stattfinden muss, der in Einzelfällen viel Geld kosten kann“, sagt der Vorsitzende des KGV Wiehagen.

Begeher sind vom Stadtverband gekommen

Wer den Schwarzen Peter in Händen hält, ist unklar. Im Betriebsausschuss Gelsendienste, so stark besucht wie nie zuvor, stellte deren Geschäftsführer Uwe Unterseher in der letzten Woche fest: „Unsere Leute sind ausdrücklich angewiesen, die Füße still zu halten, die Satzung auf dem Rücken und nicht vor der Brust zu tragen.“ Die Begeher, fügte er an, seien auch nicht von Gelsendienste, sondern vom Stadtverband gekommen.

Dort sind Ferien. Der Vorsitzende weilt in Urlaub. Erklärendes von Franz Theilenberg gibt es daher nicht. Trotzdem sind Reaktionen im Umlauf. Der „Kleingartenfunk“, er funktioniert tadellos. Da heißt es: Ja, die Begeher seien vom Verband gekommen, aber Gelsendienste hätte vorgegeben, worauf geachtet werden sollte.

Rückbaukosten betragen schnell 3000 Euro

Wolfgang Ostermann und seinem Kollegen Herbert Hau (65) treibt das die Röte ins Gesicht. Sie führen an diesem Tag durch die Vereinsanlage an der Wembkenstraße. An Garten 126 wartet Loni Janowitz im Sonnenschein. 77 Jahre ist sie alt. Ihr Händedruck ist fest. Ein Zeugnis jahrelanger Arbeit. Seit 50 Jahren pflegt sie ihre Scholle. Knapp über 40 Quadratmeter misst die Laube auf den 400 Quadratmetern Grund und müsste nach Möglichkeit auf 24 Quadratmeter reduziert werden – so will es das Bundeskleingartengesetz aus dem Jahr 1984.

Janowitz droht der erwähnte Ortstermin bei Pächterwechsel. „Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagt sie. Die Wände zeigen nette Malereien. Sie selbst müsste die Rückbaukosten tragen, die schnell zwei-, dreitausend Euro betragen können. „Das kann ich nicht bezahlen“, sagt sie eindeutig.

"Bestandsschutz" wäre der Ausweg aus dem Dilemma

Oder das Ehepaar Irma (78) und Otto (80) Lemke in Garten 83. Sie übernahmen vor 30 Jahren ihre sorgsam gepflegte Scholle. Ihre Laube war ein sogenanntes Wohnbehelfsheim. Darin wurden Menschen nach dem Krieg untergebracht, die keine andere Bleibe fanden. „72 Quadratmeter war das Haus groß“, erinnert sich Otto Lemke. Sie haben es bei Übernahme auf 36 Quadratmeter zurück gebaut. „In Eigenleistung“, sagt Ehefrau Irma stolz. Nun sollen das Vordach und eine Hütte weg. Okay! „Aber wie soll man bei der Laube 24 Quadratmeter hinkriegen?“, fragt Wolfgang Ostermann. Die Kosten, sagt Irma Lemke, könnten sie nicht tragen.

So geht es auch anderen im KGV Wiehagen. Der Vorstand hat zum Berliner Rechtsanwalt Alexander Meier-Greve Kontakt aufgenommen. Der kennt sich im Thema „Bestandsschutz“ blendend aus und glaubt, dass alle vor 1982 erstellten Lauben darunter fallen würden. Das, sagt der Vorstand, wäre der Ausweg aus dem Dilemma.