Essen. Ernst Broszik und Kuno Schädlich legen sich mit fast 80 Jahren für die SPD ins Zeug. Die Straße wollen sie nicht den anderen überlassen.

Mit der SPD geht es hinunter in den Keller. Dieses Bild würde sich aufdrängen angesichts der aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl. Und so zückt der Reporter bereits Stift und Papier. Doch der Raum in der Awo-Begegnungsstätte an der Weserstraße in Bergerhausen, wo die Genossen vom Ortsverein „Bezirk Süd II“ Wahlplakate, Flyer, Stehtische und rote Sonnenschirme für den Straßenwahlkampf lagern, befindet sich nicht im Keller, sondern Parterre.

Spott bleibt ihnen also erspart. Die Wirklichkeit ist auch so schon hart genug. Meinungsforscher sehen die Kanzlerpartei kurz vor der Wahl bei 15 Prozent.

Kuno Schädlich (79) erlebte schon Willy Brandt im Wahlkampf.
Kuno Schädlich (79) erlebte schon Willy Brandt im Wahlkampf. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Keine Frage, Kuno Schädlich und Ernst Broszik haben schon bessere Tage erlebt mit der guten alten Tante SPD. Beide sind 79 Jahre alt und erfahrene Wahlkämpfer. „Ich habe schon als 13-Jähriger Plakate geklebt“, erzählt Ernst Broszik. Die Parteimitgliedschaft sei ihm praktisch in die Wiege gelegt worden. Schon die Eltern waren in der SPD, er selbst erst bei den Falken, ab 1964 auch in der Partei. „Erni“, wie ihn in der SPD alle riefen, war dann lange Ratsherr und hauptamtlicher Geschäftsführer des Vereins für Kinder- und Jugendarbeit. Wenn man so will, eine lupenreine sozialdemokratische Biografie.

Als junger Mann saß Ernst Broszik einst neben Helmut Schmidt: „Ich war begeistert von dem Mann“

Helmut Schmidt, neben dem er als junger Mann bei einer Veranstaltung einmal sitzen durfte, hatte es ihm angetan, erzählt Broszik. „Ich war beeindruckt von dem Mann.“ Kuno Schädlich schwärmt von Willy Brandt. Als Student hatte er damals hautnah miterlebt, als es hieß: „Willy wählen“.

Im Bundestagswahlkampf gehen die beiden Ernst Broszik und Kuno Schädlich für Albert Ritter auf die Straße. Der Präsident des Deutschen Schaustellerverbandes tritt als Direktkandidat im Südwahlkreis an.
Im Bundestagswahlkampf gehen die beiden Ernst Broszik und Kuno Schädlich für Albert Ritter auf die Straße. Der Präsident des Deutschen Schaustellerverbandes tritt als Direktkandidat im Südwahlkreis an. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Heute könnte die SPD beide gut gebrauchen, sind sie sich einig. Einen mit Charisma wie Brandt, oder einen wie Schmidt, der als Kanzler staatsmännische Ruhe und Souveränität ausstrahlte. Aber der Kanzler heißt Olaf Scholz. Womit wir bei der Ampel sind. Die habe ihre Sache anfangs noch gut gemacht. Doch mit der Zeit hätten sich SPD, FDP und Grüne auseinandergelebt, die Zweckehe zu dritt funktionierte nicht mehr. Dem Kanzler attestiert Kuno Schädlich, er sei standhaft geblieben. Soll heißen: Verantwortlich für das Scheitern der Ampel seien die anderen.

Aus dem Umfragetief kommt die SPD seitdem nicht heraus. Aber bange machen gilt nicht. Die Straße wollen sie nicht den anderen überlassen, sagen sie. Deshalb steigen auch die fast 80-Jährigen auf die Leiter. Das fühlt sich sie an wie aus der Zeit gefallen, in Zeiten, von denen es heißt, Wahlkämpfe würden in sozialen Medien entschieden. „Darum sollen sich die Jüngeren kümmern“, sagt Ernst Broszik. Sie selbst kleben weiter Plakate.

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Diesmal mit dem Konterfei von Albert Ritter, dem Direktkandidaten für den Süd-Wahlkreis. Der Präsident der Europäischen Schausteller-Union und des Deutschen Schaustellerverbandes will aufspringen aufs Politkarussell. Zeit, dass sich was dreht und der Wahlkampf Fahrt aufnimmt.

Früher seien sie mit 30 Leuten losgezogen zum Plakatieren, erzählt Schädlich. „Die Kandidaten haben extra Kleinbusse organisiert.“ Heute sei die Zahl der Wahlhelfer vergleichsweise überschaubar. Hitzig ging es zuweilen auch damals zu, zum Beispiel im Bundestagswahl 1980, als CDU und CSU Franz-Josef Strauß ins Rennen schickte, den bayerischen Ministerpräsidenten, der zu polarisieren wusste wie kein zweiter. Auf dem Burgplatz hagelte es Eier, als der Kandidat der Union dort auftrat. „Stoppt Strauß“ lautet der Slogan, der zum Kampfruf wurde. Am Ende gewann die SPD, Helmut Schmidt blieb Kanzler.

Ernst Broszik (79) wurde die SPD-Mitgliedschaft schon in die Wiege gelegt. Seinen ersten Wahlkampf bestritt er als 13-Jähriger.
Ernst Broszik (79) wurde die SPD-Mitgliedschaft schon in die Wiege gelegt. Seinen ersten Wahlkampf bestritt er als 13-Jähriger. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Migration ist eines der beherrschenden Themen dieser Bundestagswahl

Heute ist Migration eines der beherrschenden Themen des Wahlkampfs. Auch er und seine Mitstreiter seien darauf angesprochen, als sie am Samstag vor der Bäckerei an der Ahrfeldstraße/Ecke Ruhrallee ihren Stand aufgebaut hatten, berichtet Kuno Schädlich. „Schneller abschieben. Das ist leicht gesagt, aber so einfach ist das nicht“, ist er überzeugt.. Als aggressiv habe er die Stimmung aber nicht empfunden. Nicht so wie in Altendorf, wo Genossen jüngst auf offener Straße von einem Unbekannten körperlich bedrängt wurden.

Es mag daran liegen, dass in Bergerhausen eine andere, eine bürgerliche Klientel zuhause sei. „Früher haben hier viele FDP gewählt, heute wählen sie die Grünen“, weiß Schädlich. Oder doch die SPD? Gerade Jüngere sprächen die steigenden finanziellen Belastungen an.“ Da ist es wieder, das Thema, für das die SPD nach eigenem Selbstverständnis noch immer steht, wie keine andere Partei: soziale Gerechtigkeit. Ob das reicht, um noch aus dem Umfrage-Keller herauszukommen? Die beiden altgedienten Wahlkämpfer geben den Glauben daran nicht auf.

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