Essen. Carsten Hinzer musste 2024 für sein junges Unternehmen Spacies Insolvenz anmelden. Gelernt hat der Gründer daraus viel – und teilt es nun.
Carsten Hinzer sitzt in einem Café in Rüttenscheid und nippt ruhig an einem Glas Cola. „Wie mein Jahr war? Aufwühlend, würde ich sagen.“ Es ist Dezember. Über acht Monate liegt es zurück, dass der Essener Insolvenz für sein Unternehmen Spacies anmelden musste. Das Start-up, das den Markt der Frühstückscerealien revolutionieren wollte, erlangte nicht zuletzt durch einen Auftritt 2023 in der TV-Show „Höhle der Löwen“ öffentliche Bekanntheit.
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Den Gang zum Amtsgericht am 26. März 2024 wird Carsten Hinzer nicht vergessen. Die Erinnerung an die aufreibenden Tage und Wochen, die vielen schlaflosen Nächte davor wohl genauso wenig. Doch mittlerweile schaut der 28-Jährige auf die Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres gefasst zurück: „Mit Spacies bin ich gescheitert, persönlich bin ich es nicht.“ Mit dem Abstand kann er offen über Fehler und Dinge, die er heute anders machen würde, sprechen. Und er will die Erkenntnisse auch mit anderen Gründern teilen.
Spacies war anfangs ein reines Online-Produkt
Schon als er sein Wirtschaftsstudium 2021 in Essen beendet hatte, war Carsten Hinzer klar: Er wird sich selbstständig machen. Auch die Idee gab es. In den Cerealien in den Supermärkten waren aus seiner Sicht vor allem zwei Dinge zu viel: Zucker und Fett. Das wollte er ändern und schien damit den Zeitgeist zu treffen. Besonders junge Leute achteten darauf, sich bewusster zu ernähren.
Kurz nach der Gründung von Spacies stieß Hinzers langjähriger Schulfreund Rouven Kosel dazu. Das erste Müsli brachten sie 2022 auf den Markt. Spacies gab es die ersten beiden Jahre ausschließlich online zu kaufen. Mit dem Essener Fit-X-Gründer Jacob Fatih war anfangs nicht nur ein erfahrener Unternehmer an ihrer Seite, sondern auch ein Geldgeber. Der Rapper Cro gehörte ebenfalls zu den Gesellschaftern und Investoren. Er war auch das erste Markengesicht von Spacies und sang Loblieder auf das neue Frühstücksprodukt.
Kein Deal für Spacies bei „Höhle der Löwen“, aber gute Werbung
Das Jahr 2023 lief für die Spacies-Gründer zunächst gut an. Die erste Finanzierungsrunde im Sommer war erfolgreich. „Das war ein großer Meilenstein für uns“, sagt Carsten Hinzer. Zwar kehrten die beiden Essener nach der Sendung der „Höhle der Löwen“ ohne „Deal“ zurück, weil keiner der Investoren bereit war, zu den geforderten Konditionen Anteile zu erwerben. Aber die Werbung, die die Sendung für Spacies brachte, war ohnehin unbezahlbar.
Als die „Höhle der Löwen“ im Oktober 2023 ausgestrahlt wurde, steckten Hinzer und Kosel bereits in einer neuen Finanzierungsrunde. Sie wollten einen höheren sechsstelligen Betrag bei Investoren einsammeln. Mit dem Geld sollte der Weg in die Regale des Einzelhandels vorangetrieben, sollten Waren vorfinanziert und neue Mitarbeiter eingestellt werden. Ziel war es, Ende 2024 profitabel zu sein.
Doch die Zeiten, an „Risikokapital“ zu kommen, waren rauer geworden. Die Wirtschaftskrise hatte sich verschärft. Die Geldgeber schauten genauer hin, in welche Unternehmungen sie ihr Kapital steckten. Vor allem der Konsumgüterbereich tat sich schwer. „Die Menschen begannen zu sparen, und das ging natürlich am einfachsten an der Supermarktkasse“, sagt Hinzer.
Rouven und er hätten im Herbst und Winter 2023 etwa 100 Investorengespräche geführt. „Von Essen bis New York.“ Es sei nicht so gewesen, dass sie niemanden überzeugt hätten, aber es kam nicht genügend Geld zusammen. Auch die bisherigen Geldgeber wollten offenbar nicht noch mehr ins Risiko gehen.
Zu hohe Kosten – Spacies warf zu wenig Gewinn ab
Wirtschaftlich gesund war Spacies damals nicht aufgestellt, räumt Carsten Hinzer ein. Keine Seltenheit bei jungen Start-ups. „Wir hatten ein Problem mit der Marge.“ Hieß: Es blieb pro verkaufter Packung zu wenig hängen. Das hatten schon die „Löwen“ bei ihrer Analyse erkannt.
Die Packungspreise zu erhöhen, das war in dieser Situation nicht möglich. Die waren schon hoch – und konnten der Konkurrenz in den Supermarktregalen kaum standhalten. Und da nun auch die Händler in den Märkten – immerhin in 85 Läden gab es Spacies zu kaufen – noch mitverdienten, geriet der Gewinn noch stärker unter Druck.
„Unsere Herstellungskosten waren schlicht zu hoch. Da hätten wir härter verhandeln müssen“, meint Hinzer rückblickend, wohl wissend, dass sie mit ihrem kleinen Umsatz bei ihrem deutschen Hersteller keine große Einkaufsmacht hatten. Die Produktion ins billigere Ausland zu verlagern, das wollte Hinzer nicht. „Da bin ich Lokalpatriot“, sagt er, während er auf seinen linken Unterarm zeigt. Auf ihm hat er sich Hammer und Schlegel tätowieren lassen, das Symbol des Bergbaus, des Ruhrgebietes.
Hohe Kosten auf der einen Seite, auf der anderen Seite „kam zu wenig rein. Das setzte die Spirale in Gang“, stellt Hinzer im Nachgang nüchtern fest. Als zu Jahresbeginn 2024 immer klarer wurde, dass nicht genügend frisches Geld kommen würde, zogen sie die Reißleine. Ihre letzten liquiden Mittel gaben sie für eine juristische Beratung und Begleitung aus. Ende März füllten sie den mehrere Seiten dicken Insolvenzantrag aus, druckten ihn im DM-Markt auf der Rüttenscheider Straße aus und brachten den Brief gemeinsam zum Gericht in die Zweigertstraße. „In dem Moment war ich vor allem erleichtert“, sagt Hinzer. Was sich zuletzt immer mehr wie Ohnmacht anfühlte, es war vorbei.
Insolvenzverwalter fand keinen Investor für Spacies
Der vorläufige Insolvenzverwalter übernahm die Geschäfte, konnte aber auch keinen Käufer oder Investor finden. Damit platzte die letzte Hoffnung. Es war das Aus für Spacies. Zu Ende September bekamen Carsten Hinzer und Rouven Kosel wie die anderen fünf Mitarbeiter die Kündigung.
Das Insolvenzverfahren ist noch nicht abgeschlossen, aber die beiden Gründer haben längst einen neuen Job. Sie arbeiten beide für das Berliner Start-up Holy. Das Unternehmen gehört einem ihrer früheren Investoren. Auch dort geht es um ein Trendprodukt: Holy vertreibt gesündere Alternativen zu Softdrinks in Pulverform. Wie Spacies ging auch Holy im Jahr 2021 an den Start, beschäftigt schon rund 60 Mitarbeiter und wächst wohl rasant.
Bei Holy soll Carsten Hinzer die Markenbekanntheit vorantreiben. Mit der Aufgabe und der Arbeit ist er „super zufrieden. Ich habe eine gewisse Sicherheit und trotzdem viele Freiheiten und ein eigenes Team.“ Dennoch will Carsten Hinzer nicht sein restliches Berufsleben abhängig beschäftigt sein. „Ich werde auf jeden Fall wieder gründen“, sagt er trotz oder auch gerade wegen der Erfahrungen mit Spacies.
Gründer: „Lernkurve mit Spacies war enorm“
Was er gelernt hat und anderen mitgeben würde? „Ich glaube, wir haben mit Spacies eine coole Marke aufgebaut, die überproportional zum Umsatz bekannt war. An der Bekanntheit lag es nicht. Aber ich würde jedem raten: Achte auf das Einmaleins der Betriebswirtschaft, achte auf die Marge.“ Es sei wichtig, dass man von Beginn an ein gesundes Business aufbaue und im Blick habe, dass genug Geld hängen bleibt. Eine weitere Erfahrung: Offen im Dialog mit Partnern sein, sagt er. Um das verlorene Geld der Investoren tue es ihm leid, um seine Erfahrungen nicht. „Die Lernkurve mit Spacies war enorm.“
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