Essen-Rüttenscheid. Leere Kartuschen und Ballons im Park, wo Kinder vorbeikommen: Lachgas bleibt in Essen ein Aufreger-Thema. Doch das Ordnungsamt kann nichts tun.
Regelmäßig läuft der Vater aus Rüttenscheid mit seiner Tochter durch den Christinenpark. Sie besucht die erste Klasse der Käthe-Kollwitz-Schule. Dabei macht der Vater jedoch immer wieder unschöne Funde: in Form von achtlos weggeworfenen Lachgas-Kartuschen und Luftballons, die für den Konsum verwendet werden. „Ich bin schockiert“, sagt der Rüttenscheider, der sich mit der Thematik bei unserer Redaktion gemeldet hat, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte.
Lachgas ist in den vergangenen Jahren bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zunehmend als Partydroge beliebt geworden. Der Stoff wirkt entspannend, euphorisierend, löst Lachanfälle aus. Inhaliert man das Gas direkt aus der Flasche, kann das zu schweren Erfrierungen führen, weil die Kartusche weit herunterkühlt ist. Deshalb füllen viele Konsumentinnen und Konsumenten Lachgas in einen Luftballon, um es sich daraus einzuverleiben.
Kauf von Lachgas ist in Deutschland für jeden Menschen legal
In Deutschland wird Lachgas nicht als Droge nach dem Betäubungsmittelgesetz eingestuft. Jeder Mensch, egal wie alt, kann es legal kaufen. Angeboten wird es häufig in Kiosken oder im Internet. Für den Vater aus Rüttenscheid ist das unbegreiflich. In einem Schreiben hat er sich unter anderem an Oberbürgermeister Thomas Kufen, das Ordnungsamt und das Jugendamt gewandt.
„Wir Eltern müssen unseren Kindern auf dem Schulweg erklären, dass sie die Luftballons nicht aufheben und in den Mund nehmen. Ich sehe in dem Zustand eine Gefährdung des Kindeswohls und bitte um Ergreifung von geeigneten Maßnahmen“, erklärt er. Er schlägt zum Beispiel Plakate zur Aufklärung bezüglich der Gefahren von Lachgas im Park und an der Villa Rü, Streetworker zur Aufklärung der Konsumenten und Aufklärung der Lehrer über den Zustand vor.
Rüttenscheider Vater findet immer wieder Lachgas-Kartuschen im Christinenpark
„Die Schule und der Kindergarten der Villa Rü nutzen den Park“, fährt der Vater fort. „Außerdem ist dieser der Schulweg von geschätzt 50 Prozent der Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule.“ Eine Antwort der Stadt hat er noch nicht erhalten. Nach dem ersten Kontakt Mitte September schickte er noch mehrmals Fotos von Lachgas-Kartuschen und Luftballons an unsere Redaktion, die er immer wieder im Christinenpark findet.
Stadtsprecherin Jacqueline Riedel erklärt dazu auf Anfrage: „Der Christinenpark ist seit Jahren immer wieder mal Treff- und Anlaufpunkt für Jugendliche. Dabei kam und kommt es immer auch zu Vermüllung und vereinzelt zu kleineren Sachbeschädigungen. Über den Konsum von Lachgas im Christinenpark hat das Ordnungsamt keine Kenntnisse.“
Ordnungsamt Essen kann nicht gegen Konsum von Lachgas vorgehen
Gegen den Konsum von Lachgas, auch bei Minderjährigen, könne das Ordnungsamt allerdings auch nicht vorgehen, da es dazu keine gesetzliche Grundlage gebe. Denn der Verkauf, Besitz und Konsum von Lachgas sei eben erlaubt und könne nicht untersagt werden. „Das Problem ist auch schon auf Bundesebene erkannt worden und der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags plädiert für ein Verkaufsverbot von Lachgas“, so Riedel weiter. Die Entscheidung des Bundes und die entsprechende Rechtsgrundlage bleibe abzuwarten.
Prof Dr. Christoph Kleinschnitz, Direktor Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen, ist das Thema nur allzu bekannt. In der Klinik für Neurologie der Uniklinik seien von 2022 bis 2024 sechs Patienten mit Lachgasvergiftung behandelt worden. Durchschnittsalter: 23, der jüngste Patient sei 16 gewesen, der älteste Anfang 30. 50 Prozent Männer, 50 Prozent Frauen – beim Lachgaskonsum zeige sich kein Unterschied zwischen den Geschlechtern.
Neurologe der Uniklinik Essen vermutet hohe Dunkelziffer
„Die Dunkelziffer dürfte aber viel höher liegen. Der Missbrauch ist massiv unter Jugendlichen“, so Kleinschnitz. Lachgas-Konsumenten seien in der Regel keine „typischen Drogensüchtigen“, die auch andere Drogen konsumierten. Häufig seien es Menschen, die sozial verankert seien, die eine Ausbildung machten oder einem Studium nachgingen. Im Schnitt hätten sie 30 Ballons an einem Abend konsumiert, zum Teil auch 50 oder mehr. Der Effekt von Lachgas hält nur kurz an.
„Lachgas zerstört das Vitamin B12 im Körper“, erklärt Kleinschnitz. Dieses kann dann seine lebenswichtigen Aufgaben im Körper nicht mehr erfüllen. Die Folge: Schäden an Rückenmark und an Nerven. Symptome könnten Bewusstlosigkeit und Lähmungen seien, einige Konsumenten könnten sich nicht mehr auf den Beinen halten. „Leichte Symptome sind zum Beispiel ein Kribbeln an Händen und Füßen und Taubheitsgefühle“, schildert Kleinschnitz. Bei dieser Symptomatik gingen die meisten wahrscheinlich gar nicht in die Notaufnahme. Stichwort: hohe Dunkelziffer.
Essener Entsorgungsbetriebe finden regelmäßig Lachgas-Kartuschen
Die gute Nachricht: Gerade weil es sich oft um junge Patientinnen und Patienten handele, regeneriere sich der Körper gut, der B12-Speicher fülle sich wieder auf und die Nerven bildeten sich neu. Aber: Das könne zum Teil dauern. „Wir haben eine junge Frau behandelt, die Wochen und Monate lang beeinträchtigt war. Sie hatte Probleme mit dem Laufen“, berichtet der Neurologe. Diese Frau habe sogar eine Reha benötigt. Kleinschnitz würde sich wünschen, dass Lachgas verboten oder zumindest Jugendlichen der Zugang verwehrt würde.
Mit anderen Folgen des Lachgas-Konsums sind die Essener Entsorgungsbetriebe (EBE) regelmäßig konfrontiert. „Unsere Kollegen finden im ganzen Stadtgebiet immer mal wieder Lachgas-Kartuschen“, berichtet EBE-Sprecher Christian Herrmanny. Besonders beliebt seien Parks und Parkplätze, der Christinenpark unterscheide sich da nicht von anderen. Die Auffindesituation lege nahe: „Man trifft sich, um gemeinsam zu konsumieren.“
Lachgas-Kartuschen müssen eigentlich zum Kiosk zurückgebracht werden
Für die EBE gehörten Lachgas-Flaschen – ähnlich wie die sogenannten Vapes, E-Zigaretten für den Einmalgebrauch – zu den „neuen Phänomenen“, die für Ärger und einen erheblichen Aufwand sorgen. Eigentlich müsste man die Kartuschen nämlich (wie man es zum Beispiel von Sodastream-Kartuschen kennt) dahin zurückbringen, wo man sie herhat. Etwa zum Kiosk um die Ecke.
Die aktuelle Menge könne man noch händeln. Man arbeite mit einem Partner zusammen, der die Retouren annehme und die Kartuschen einer korrekten Entsorgung zuführe. Je mehr Kartuschen man finde, desto schwieriger werde das allerdings. Herrmanny appelliert deshalb: „Wenn man es schon macht, sollte man die Flaschen wenigstens mitnehmen und zurück zum Kiosk bringen.“
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