Essen. Mit „Deffarge & Troeller. Keine Bilder zum Träumen“ präsentiert das Essener Museum Folkwang das Werk zweier journalistischer Ausnahmeerscheinungen
Journalismus ist kein klassisches Sujet fürs Museum. Das meist schnelle und tagesaktuelle Metier entzieht sich allzu leicht dem einordnenden Blick aus zeitlicher Distanz. Mit der Ausstellung „Deffarge & Troeller. Keine Bilder zum Träumen“ präsentiert das Essener Museum Folkwang nun eine große Retrospektive, die nicht nur zurückblickt auf ein halbes Jahrhundert herausragende Berichterstattung seit den 1950ern, sondern Themen aufgreift, die uns bis heute beschäftigen: die Folgen von Kolonisation und Globalisierung. Weltweite Krisen, Kriege und Klimawandel.
Gesehen, beschrieben, fotografiert, gefilmt und eingeordnet haben dies alles seit den späten 1950er Jahren Gordian Troeller und Marie-Claude Deffarge. Der Nachlass des für seinen politischen und kritischen Journalismus bekannten Paares ist schon vor einigen Jahren ans Folkwang gekommen. Das Ergebnis der ausgiebigen musealen Aufarbeitung ist nun in einer groß angelegten Schau zu sehen, die sich vor allem mit den großen Stern-Reportagen und Dokumentarfilmen beschäftigt, die in mehr als 55 Ländern von Japan bis Jemen, vom Iran bis zum Südsudan entstanden. Sie reichen von der frühesten Veröffentlichung „Hinter der spanischen Fassade“ über den Alltag im diktatorischen Franco-Regime bis zu Berichten über den „Blutrausch am Niger“ oder „Die Revolte der Sklaven“ im Oman.
300 Werke, darunter Fotografien, Dokumentarfilme, Tonspuren und persönliche Dokumente sind zu sehen, zu hören und zu lesen und geben Einblick in die Arbeitsweise dieses weitgereisten Paares, das auf ganz unterschiedliche Weise zum Journalismus kommt. Der Luxemburger Gordian Troeller (1917-2003) engagiert sich schon als junger Mann auf Seiten der Linken am Spanischen Bürgerkrieg, flieht später vor den Deutschen nach Portugal und verhilft Verfolgten des NS-Regimes zur Flucht. Als der freie Korrespondent die Französin Marie-Claude Deffarge (1924-1984) Ende der 1950er Jahren in Amsterdam trifft, ist die an der Sorbonne ausgebildete Ethnologin und Archäologin auch eine bekannte Flamenco-Tänzerin, zu deren Bekanntschaften sogar die damalige persische Kaiserin Fahra Diba gehört.
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Der Iran wird über viele Jahrzehnte immer wieder Thema der beiden, die nicht nur privat ein Paar, sondern auch ein gleichberechtigtes Team aus Text- und Bildreporter werden; auch wenn die Französin Deffarge ihren ersten Vornamen Marie zunächst lieber weglässt, um in der männerdominierten Medienwelt zu bestehen. Beide berichten über das Schah-Regime, erleben die Folgen der „Weißen Revolution“, sehen den Verlust der kulturellen Identität und ahnen, was da kommt: die islamische Revolution, die sie zunächst durchaus befürworten.
Vom Alltag in Kuba bis zum „Sündenbabel für Touristen“
Troeller und Deffarge gehören auch zu den ersten ausländischen Journalisten, die Anfang der 1969er den Jemen bereisen. Sie beleuchten die Lage der Kurden im Irak, berichten über den Alltag in Kuba „zwischen Kennedy und Castro“ oder über Thailand als das „Sündenbabel für Touristen“. „Es ging immer um das Gesellschaftspolitische“, sagt Ingrid Becker-Ross Troeller. Die Erziehungswissenschaftlerin und spätere Ehefrau von Gordian Troeller kümmert sich seit vielen Jahren um den Nachlass der Vollblut-Journalisten, deren Markenzeichen die „gründliche Recherche“ gewesen sei, betont Folkwang-Chef Peter Gorschlüter.
Schwarzweiß-Denken passt nicht ins journalistische Konzept
Infos zu Tickets, Katalog und Führungen
Die Ausstellung „Deffarge & Troeller. Keine Bilder zum Träumen“ ist bis zum 23. Februar 2025 im Museum Folkwang zu sehen.
Der Eintritt beträgt 8/erm. 5 Euro. Der Katalog (Verlag Scheidegger & Spiess) kostet 48 Euro.
Die Öffnungszeiten: Di, Mi 10-18 Uhr, Do, Fr 10-20 Uhr, Sa, So 10 bis 18 Uhr. Öffentliche Führungen gibt es jeweils sonntags um 12 Uhr, kostenfrei mit Eintrittskarte und Teilnahmesticker.
Mehr Infos zum Begleitprogramm: www.museum-folkwang.de
Als gut vernetzte, dem Abenteuer nicht abgeneigte Beobachter machen sich Troeller und Deffarge ein eigenes Bild von den Zuständen der Welt. Sie sind dabei nicht vor Fehleinschätzungen gefeit, aber immer auch bereit, Meinungen zu revidieren. Schwarzweiß-Denken passt nicht ins Konzept des Journalisten-Paares, das früh beginnt, seine eurozentrische Sichtweise zu überdenken.
Troeller und Deffarge erreichten mit ihrer Reportagen aus aller Welt ein Millionenpublikum und machten ihren subjektiven, oft zugespitzten Stil zum Markenzeichen. In der Ausstellung sorgen Kommentatorinnen wie die Migrationsforscherin Zeynep Aydar oder Menschenrechts-Aktivistin Amal Habani mit Begleittexten nun für die kritische Reflexion der Berichtausstattung aus heutiger Sicht.
„Für mich ist wertfrei dasselbe wie wertlos“, lautet dabei die Devise von Gordian Troeller. Und so gibt es auch zahlreiche Zuschauerreaktionen auf Fernsehbeiträge, die das Paar fürs Fernsehen macht, bis in die 1990er Jahre noch ausgestrahlt zur besten Sendezeit. Dokumentationen wie „Im Namen des Fortschritts“, „Frauen der Welt“ und „Kinder der Welt“ entstehen parallel zu ihren Reportagen und greifen Themen auf, die uns auch heute beschäftigen: Diskriminierung, Wirtschaftskrisen, Migrationsströme und Umweltzerstörung. In der Ausstellung könne man die Wurzeln jener Krisen erkennen, die das heutige Weltgeschehen beeinflussen, sagt Ingrid Becker-Ross Troeller.
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