Essen. 743 Polizistinnen und Polizisten wurden 2023 verbal oder körperlich angegangen. Das ist ein neuer Höchststand. Tiefpunkt war ein versuchter Mord.

Die fortschreitende Gewalt gegen Polizisten ist alarmierend: 743 Beamtinnen und Beamte sind im vergangenen Jahr in Essen zu Opfern im Dienst geworden. Das waren fast 100 mehr als im Jahr zuvor. Auch wenn die Fälle von Widerständen oder tätlichen Angriffen insgesamt leicht um 14 auf 335 zurückgingen, stieg die Zahl der betroffenen Einsatzkräfte in diesem Zeitraum somit deutlich. Sie erreichte im Fünf-Jahres-Vergleich sogar einen neuen Höchststand.

In 2021 waren es 580 Vollstreckungsbeamte des Präsidiums, die bedroht oder körperlich angegangen worden sind, in 2020 laut der Statistik der Behörde an der Büscherstraße 597 und 610 im Jahr 2019. Für 2024 lässt sich noch keine verlässliche Tendenz abbilden. Klar ist aber, dass seit dem jüngsten Wochenende drei Polizisten mehr in der Bilanz des aktuellen Jahres auftauchen werden.

Wie Polizeisprecher René Bäuml am Sonntag auf Nachfrage bestätigte, sind die Beamten am Samstagabend bei einem Einsatz gegen einen vermutlich betrunkenen Randalierer auf der Wattenscheider Straße in Kray verletzt worden. Gegen 19.35 Uhr war der 23-Jährige vor einem Vereinsheim ausgerastet und hatte eine Scheibe demoliert, während drinnen eine private Veranstaltung lief.

Die alarmierten Einsatzkräfte erteilten ihm einen Platzverweis, dem er jedoch nicht nachkam. Als der junge Mann deshalb in Gewahrsam genommen werden sollte, „wehrte er sich massiv“, so Bäuml, und verletzte die Beamten durch seine Gegenwehr, einen von ihnen so schwer, „dass er seinen Dienst abbrechen musste“. Gegen den 23-Jährigen werde nun wegen Körperverletzung, Widerstands und Beleidigung ermittelt.

GdP Essen fordert umfassende Maßnahmen

Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen zeigt sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Essen/Mülheim „zutiefst besorgt“ und fordert „dringend umfassende Maßnahmen, um die Sicherheit und den Schutz der Einsatzkräfte zu stärken“. Denn die Belastung durch zunehmende Gewaltbereitschaft sei hoch: Insgesamt 585 Polizeivollzugsbeamte wurden im Jahr 2023 Opfer einer einfachen Widerstandshandlung, 158 sogar körperlich angegriffen.

Dank der Professionalität und des Engagements der Einsatzkräfte, so der Essener GdP-Vorsitzende Jörg Brackmann, blieben 81,4 Prozent der Beamtinnen und Beamten unverletzt, 17,6 Prozent wurden leicht verletzt, in acht Fällen blieb der Verletzungsgrad unbekannt. Erfreulich sei in diesem Kontext allein die Aufklärungsquote von nahezu 100 Prozent nach Angriffen auf Vollzugsbeamte in Essen.

Polizisten sind „extremen Gefahren ausgesetzt

Besonders erschütternd war das Schicksal von Marcel, einem jungen Polizisten, der im vergangenen Jahr in Borbeck Opfer eines schrecklichen Angriffs mit einem Auto und damit eines versuchten Mordes wurde. Der Familienvater kämpfte wochenlang um sein Leben und musste eine lange und harte Zeit der Genesung durchmachen. Heute ist er glücklicherweise wieder im Dienst, so Brackmann: „Dieser Fall steht symbolisch für die extremen Gefahren, denen Polizeibeamtinnen und -beamte ausgesetzt sind.“

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Angesichts der „dramatischen Entwicklung“ fordert die GdP Essen/Mülheim von der Landesregierung eine konsequente Bekämpfung der Ursachen der Gewalt gegen Polizeibeamte sowie eine klare gesellschaftliche Haltung gegen diese Übergriffe. Dazu zählen präventive Maßnahmen, ein stärkerer Fokus auf Respekt und Anerkennung für die Arbeit der Einsatzkräfte sowie eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Gewalt als auch das Ausschöpfen des möglichen Strafrahmens.

„Jeder Angriff auf unsere Polizistinnen und Polizisten ist einer zu viel“, betont Brackmann. „Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen, die sich täglich für die Gesellschaft einsetzen, sicher arbeiten können.“ Gewalt dürfe nicht zur Normalität werden – „wir müssen jetzt handeln“.

Der Taser „hat sich als äußerst wirksam erwiesen“

Die GdP Essen/Mülheim ist zumindest „sehr froh“, dass Taser dem Polizeipräsidium Essen flächendeckend zur Verfügung stehen. „Wir haben damit ein wichtiges Mittel an der Hand, das sich als äußerst wirksam erwiesen hat“, ist Brackmann überzeugt. Allein die Androhung, diese Technik mit dem nicht minder abschreckenden Namen „Distanzelektroimpulsgerät“ einzusetzen, habe bereits zahlreiche Widerstände und Angriffe verhindert. Landesweit haben bloße Ansagen in über 80 Prozent der Fälle gewirkt. „Es ist absolut unverständlich, warum der Taser nicht längst in allen Polizeibehörden zum Einsatz kommt“, kritisiert Brackmann. Die Erfahrungen in Essen zeigten deutlich, dass die Geräte den Schutz der Einsatzkräfte „erheblich stärken“.

Bei der Essener Feuerwehr sind im vergangenen Jahr 20 Fälle von Gewalt gegen Einsatzkräfte aktenkundig, drei davon im Brandschutz, der Rest ereignete sich im Rettungsdienst. Im Jahr zuvor waren es insgesamt elf, in 2021 zehn Zwischenfälle, in den ersten zehn Monaten dieses Jahres acht verbale oder körperliche Übergriffe, über deren Intensität jedoch keine Aussage gemacht werden könne, so Feuerwehrsprecher Nico Blum - nur soviel: „Bislang kam es zu keiner Dienstuntauglichkeit unserer Kolleginnen und Kollegen.“

Die Zahlen ließen zudem unterm Strich den Schluss zu, dass „die Häufigkeit der Übergriffe im Verhältnis zu den Alarmierungen sehr gering ist“, so Blum. Die Feuerwehr Essen zählte allein im vergangenen Jahr 15.245 Einsätze im Brandschutz und 152.588 Einsätze im Rettungsdienst.

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