Essen-Südviertel. Kreativ und talentiert: Kara Wickenkamp (21) lässt sich in Essen zur Maßschneiderin ausbilden. Warum das auch für ihre Chefin ein Glücksfall ist.

Erfolg für Kara Wickenkamp aus Essen: Die 21-Jährige hat den zweiten Platz bei einem bundesweiten Avantgarde-Maßschneider-Wettbewerb erreicht. Seit August ist sie Auszubildende im Atelier „Edelmaß“ im Südviertel. Noch steht sie ganz am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn, doch ihren Traumjob hat sie bereits gefunden.

Ihre Chefin Arune Elsmann, mit ihrem Betrieb seit knapp zehn Jahren an der Moltkestraße ansässig, freut sich, dass sich ihre Auszubildende beim Kreativwettbewerb unter dem Motto „Comic goes Fashion“ gegen 14, teils erfahrenere Konkurrentinnen und Konkurrenten die Silbermedaille sichern konnte. Bewertet wurden Verarbeitungsqualität und Kreativität.

Junge Essenerin hat einem bundesweiten Wettbewerb teilgenommen

Die angehenden Schneiderinnen und Schneider präsentierten die eigenhändig entworfenen und gefertigten Stücke dabei selbst auf dem Laufsteg. Der Wettbewerb fand in Erlangen im Rahmen des Bundeskongresses des Maßschneiderhandwerks statt, der alle zwei Jahre abgehalten wird.

Mit diesem Outfit erreichte Kara Wickenkamp beim Wettbewerb unter dem Motto „Comic goes Fashion“ den zweiten Platz. 
Mit diesem Outfit erreichte Kara Wickenkamp beim Wettbewerb unter dem Motto „Comic goes Fashion“ den zweiten Platz.  © K.H.Zonbergs

Für die Teilnahme so kurz nach dem Berufsstart waren schon einige Nachtschichten erforderlich. „Ich wollte mit meinem Outfit eine Geschichte erzählen“, sagt Kara Wickenkamp. „Der Comic-Schriftzug ,Boom!‘ zeigt: Die Bombe explodiert. Sie reißt an der blauen Schlaghose ein Bein ab; rote Flammen lodern auf und zerstören alles. Um mein Outfit zu einer vollwertigen Geschichte werden zu lassen, trage ich auf der Rückseite des Oberteils eine Sprechblase mit den Worten ‚Stop War‘.“ Bei der Jury jedenfalls kam die (Friedens-)Botschaft an.

Eigentlich wollte die Essenerin studieren, entschied sich aber für das Handwerk

Kreativ sei sie schon als Kind gewesen, berichtet die 21-Jährige, ihre Mutter, ebenfalls eine Maßschneiderin, habe sie unterstützt und angeleitet. Nach dem Abitur wollte Kara Wickenkamp dann allerdings Soziologie und Philosophie studieren. Oder Betriebswirtschaft, um später ins Management zu gehen.

„Aber ich habe schnell gemerkt, dass es mich doch zum Handwerk zieht“, sagt die junge Frau, die nach Dienstschluss nicht die Nadel fallen lässt, sondern gern auch in ihrer Freizeit weiter schneidert und private Sachen näht. Sie kommt eigentlich aus Hamburg, zog aber aus privaten Gründen ins Ruhrgebiet. An der betrieblichen Ausbildung schätze sie den hohen Praxisanteil, den direkten Kundenkontakt und die enge Zusammenarbeit mit ihrer Chefin Arune Elsmann (52).

Arune Elsmann hat das Atelier „Edelmaß“ im Essener Südviertel vor knapp zehn Jahren übernommen.
Arune Elsmann hat das Atelier „Edelmaß“ im Essener Südviertel vor knapp zehn Jahren übernommen. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Diese hatte das Atelier an der Moltkestraße 12a vor knapp zehn Jahren von ihrem Vorgänger Konrad Ortkemper und seiner Frau übernommen. Der Schneidermeister war seit den 1960er Jahren dort ansässig und hatte den Handwerksbetrieb aus Altersgründen aufgegeben. Arune Elsmann führt die Maßschneiderei allein. Sie arbeitet gelegentlich mit Aushilfen zusammen und bildet jetzt zum dritten Mal aus. „Wir fertigen Kleidungsstücke für Damen und Herren, wir sind keine Änderungsschneiderei“, betont Arune Elsmann, die ursprünglich in Litauen Modedesign studiert hat.

Modedesignerin hat ihre Entscheidung für das Atelier im Essener Südviertel nicht bereut

„Ich habe es keine Sekunde bereut, das Atelier übernommen zu haben, auch wenn die Zeiten schwierig sind. Es gibt immer Leute, die maßgeschneiderte Kleidung bevorzugen oder aufgrund ihres Körperbaus nicht von der Stange kaufen können, aber trotzdem gut sitzende Kleidung haben wollen. Die ist zwar teurer, aber man hat auch lange etwas davon. Das ist nachhaltiger, als zehn Teile zu besitzen, die man schnell wieder entsorgt“, sagt die Maßschneiderin, die bis heute von ihrer Leidenschaft für Mode angetrieben wird. Neben der reinen Maßarbeit biete sie für Herren auch Maßkonfektion an, bei der die passgenauen Teile industriell gefertigt werden und damit preiswerter sind.

Die Maßschneiderei hat an der Moltkestraße eine lange Tradition. Arune Elsmann hat das Atelier von ihrem Vorgänger Konrad Ortkemper übernommen.
Die Maßschneiderei hat an der Moltkestraße eine lange Tradition. Arune Elsmann hat das Atelier von ihrem Vorgänger Konrad Ortkemper übernommen. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich
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Ihre Arbeit sei vielfältig, so Arune Elsmann. Einige Kundinnen kämen mit sehr konkreten Wünschen und Skizzen, mit anderen entwickele sie das Kleidungsstück gemeinsam. Es komme auch vor, dass ein bestimmter Stoff verarbeitet werden solle oder ein Duplikat des zerschlissenen Lieblingsstücks in Auftrag gegeben werde.

Kara Wickenkamp kann die Maßschneiderin in vielen Dingen unterstützen. Das Zuschneiden allerdings bleibt vorerst Chefinnen-Sache, aber nach der dreijährigen Ausbildung muss Kara Wickenkamp in der Lage sein, für die Gesellinnen-Prüfung ein Kleidungsstück selbstständig zu fertigen. Wie es dann beruflich weitergeht, ist noch offen. Beide Frauen können sich derzeit vorstellen, auch weiterhin gemeinsam zu arbeiten.

Das Nähen ist die Leidenschaft von Kara Wickenkamp, die im August ihre Ausbildung begonnen hat.
Das Nähen ist die Leidenschaft von Kara Wickenkamp, die im August ihre Ausbildung begonnen hat. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Aber auch ein längerer Auslandsaufenthalt würde Kara Wickenkamp interessieren, die nach Dienstschluss nicht die Nadel fallen lässt, sondern gern auch in ihrer Freizeit weiter schneidert und private Sachen näht. „Das macht sich gut im Lebenslauf“, sagt sie. Wunschländer seien Italien wegen des handwerklichen Standards oder Japan, weil sie wegen ihrer koreanischen Wurzeln eine besondere Beziehung zu Asien habe.

Kara Wickenkamps beruflicher Weg entschied sich nach einem freiwilligen, unbezahlten Praktikum im Atelier „Edelmaß“. „Meine Chefin hat sofort gesehen, dass ich die Hände dafür habe. Und mir macht es sehr viel Spaß, es hätte nicht besser kommen können“, sagt die 21-Jährige. „Auch menschlich passt es hervorragend, das ist auch wichtig, wenn man über Jahre auf engem Raum zusammenarbeitet“, ergänzt Elsmann.

Essener Maßschneiderin sieht das Thema Mindestlohn kritisch

„Eigentlich wollte ich nicht mehr ausbilden, die Politik macht es einem nicht leicht“, sagt die Maßschneiderin und spricht damit das Thema Mindestlohn an. „Man investiert viel Zeit, Mühe und Geld in die Auszubildenden, die natürlich noch keine vollwertigen Arbeitskräfte sind.“ Dass sie sich bei Kara Wickenkamp dann doch nochmal hat umstimmen lassen, hat Arune Elsmann bisher jedenfalls nicht bereut . . .

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