Essen-Rüttenscheid. Warum ein ehemaliger Verleger mit einem Schulbus voller Schallplatten durch Deutschland tourt und einen Stopp in Rüttenscheid einlegt.

30 Jahre lang lenkte der Dortmunder Michael Lohrmann einen Verlag, brachte unter anderem das Musikmagazin „Visions“ heraus. Heute steuert er mit derselben Leidenschaft einen alten amerikanischen Schulbus voller Vinyl – vornehmlich in Orten, in denen es keine Plattenläden mehr gibt. Das soll im kommenden Jahr ein Ende finden. Lohrmann ist auf Abschiedstour und legt am 8. November einen Stopp auf der Rüttenscheider Straße ein.

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Acht Meter ist er lang und trägt nur rein zufällig die Farben von Lohrmanns Lieblingsverein: 4000 Schallplatten beherbergt der schwarz-gelbe Schulbus, außerdem einen fest eingebauten Plattenspieler inklusive Verstärker und Lautsprecher. Ein Blick ins Innere offenbart übersichtlich sortiert die Musikrichtungen, darunter Rock, Pop, Jazz, Funk, Soul, Reggae, Avantgarde, Folk und Soundtracks. Klassik, Volksmusik oder Schlager? Fehlanzeige. Nicht sein Ding. Kunden können direkt in Schallplatten hineinhören und wenn gerade niemand einen Wunsch hat, dann legt der Besitzer halt nach eigenem Geschmack auf – ein Erlebnis, das einem klassischen Plattenladen in nichts nachsteht.

Jeder Termin eine Neueröffnung

Apropos Besitzer: Die Liebe zu Vinyl entstand bei Lohrmann bereits in jungen Jahren. Im zarten Alter von sieben kaufte er sein erstes Album: „Wish you were here“ von Pink Floyd – ein prägendes Erlebnis, das ihn über Jahrzehnte mit der Musik- und Medienwelt verband. Schallplatten zu hören sei für ihn wie Wellness, ein „Abkoppeln vom digitalen Wirrwarr“. Besser als Gestreamtes, bei dem man zum Skippen neige, wenn ein Song mal nicht gefällt. „Mit Vinyl ist das so eine Art ritualisiertes Hören, wo man die Platte auflegt, sie mit einer Bürste sauber macht, die Nadel auflegt und dann 20 Minuten konzentriert zuhört, um noch mal aufzustehen, die Platte zu drehen und von vorne anzufangen, bis der Abend irgendwann zu Ende ist.“

Seit einigen Jahren feiert die klassische Schallplatte ein Comeback. Etwa zehn Jahre ist es her, dass Lohrmann begann, Plattensammlungen aufzukaufen – zunächst für sich. Rock und Independent vor allem, da kennt er sich aus, schließlich sei er in den 70ern sozialisiert worden, sagt er. „Irgendwann hat mich meine Freundin gefragt, was ich mit den ganzen Platten mache, die sich jetzt im Keller stapeln. Darauf hatte ich zu dem Zeitpunkt noch keine Antwort. Aber mir war klar, dass ich irgendwann irgendwas damit anfangen werde.“

Den alten US-Schulbus hat Lohrmann in Süddeutschland gekauft, repariert und dann nach eigenen Wünschen eingerichtet - Plattenspieler inklusive.
Den alten US-Schulbus hat Lohrmann in Süddeutschland gekauft, repariert und dann nach eigenen Wünschen eingerichtet - Plattenspieler inklusive. © FUNKE Foto Services | Markus Weißenfels

Einen stationären Plattenladen wollte er nicht, Internethandel auch nicht. „Da blieb nur noch das Mobile.“ Als der langjährige Musik- und Kulturjournalist 2018 beschloss, seinen Verlag zu verkaufen, war der Plan zunächst simpel: Ein Jahr lang sollte der Schulbus durch Deutschland touren mit dem Ziel, Menschen den Klang von Vinyl wieder näherzubringen – besonders an Orten, an denen es schon lange keine Plattenläden mehr gibt. „Und damit bin ich sehr glücklich, weil ich bei jedem Termin immer so ein bisschen das Gefühl habe, als hätte ich eine Neueröffnung.“

Dortmunder bringt Vinyl nach Essen-Rüttenscheid

Schnell entwickelte sich das Konzept „Vinylbus“ zu einem Projekt, das sich eine loyale Fangemeinde aufbaute. Was nicht heißt, dass es nie Probleme gegeben hätte. „Im Winter 2019 bin ich zum ersten Mal auf Tour gewesen, und es war toll“, erinnert sich der 53-Jährige. „Drei Monate später kam Corona, und ich hatte zwei Jahre Zwangspause.“ Diese Zeit nutzte Lohrmann jedoch produktiv: „Ich habe Sammlungen aufgekauft und meinen Bestand auf über 30.000 Platten erweitert.“ Mit dieser Reserve konnte die Tour in den Folgejahren umfangreicher und viel länger als ursprünglich geplant weitergeführt werden. Aus einem Jahr wurden fünf.

An seinen ersten Besuch in Rüttenscheid vor gut einem Jahr kann sich Lohrmann noch lebhaft erinnern – vor allem an die Parkplatzsituation. „Auf der Rüttenscheider Straße ist es sehr eng, das ist schon anspruchsvoll.“ Glücklicherweise werden seine Gastgeber, der Hifi-Shop „Aura“, den Parkplatz vor dem Laden an der Rüttenscheider Straße 176 am 8. November für ihn absperren. „Das ändert natürlich nichts an der Breite der Straße und an den vielen Klimmzügen, die man machen muss, um diese Parkbox ordentlich zu bespielen. Aber ich habe es beim ersten Mal geschafft, es wird dieses Mal auch wieder klappen.“

Pia, Oliver und Nils (v.l.) haben dem im Vinylbus in Mülheim einen Besuch abgestattet.
Pia, Oliver und Nils (v.l.) haben dem im Vinylbus in Mülheim einen Besuch abgestattet. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Die Atmosphäre im Bus sei immer angenehm, es kämen, sagt der Platten-Experte, immer nur „liebenswerte, wertschätzende Menschen“. Und kaum jemand verlässt den Bus ohne neue Errungenschaft: Die Preisspanne der angebotenen Platten liegt zwischen fünf und 100 Euro. Wer sich für Raritäten oder teurere Boxen interessiert, kann von der Internetseite eine Liste mit etwa 1000 Titeln herunterladen und im Vorfeld eine Bestellung aufgeben. Die Platten bringt Lohrmann zum Wunschtermin mit.

Der Vinylbus in Rüttenscheid

Insgesamt 100 Termine absolviert Michael Lohrmann auf seiner Abschiedstour zwischen Herbst 2024 und Winter 2025.

Der Vinylbus steht am Freitag, 8. November, von 14 bis 18.30 Uhr vor „Aura Hifi“, Rüttenscheider Straße 176. Ob er 2025 noch einmal kommt, steht noch nicht fest.

Auf der Abschiedstour gibt es Rabatte: Ab 100 Euro im Warenkorb gibt es 10 Prozent, ab 300 Euro 15 Prozent und ab 500 Euro 20 Prozent. Das gilt auch für vorbestellte Platten.

Interessierte können aus dem Internet eine Raritätenliste herunterladen und Platten per E-Mail bestellen: www.vinylbus.de.

Seit einigen Tagen ist der Vinylbus nun auf Abschiedstour quer durch Deutschland – und wird gefeiert. „Es gibt keinen Termin, an dem ich nicht beschenkt werde – das rührt mich sehr“, beschreibt Lohrmann die Zuneigung seiner Kundschaft. Die ist dankbar für die Auswahl an gut gepflegten und professionell gereinigten Schallplatten. „Ich lege großen Wert auf Qualität,“ erklärt er stolz. Einfache Dinge wie neue Innen- und Außenhüllen und das Entfernen zerkratzter Exemplare seien der Grund, warum viele Sammler dem Vinylbus so treu blieben.

Vinylbus: Entscheidung ist gefallen

Die Entscheidung, Ende 2025 aufzuhören, ist dennoch endgültig. Obwohl Lohrmann noch nicht weiß, was er anschließend machen wird. „Ich werde dann 55 sein, da ist es Zeit, kürzer zu treten“, sagt er. Zwar bereue er den Schritt nicht. Dennoch werde es für ihn ein emotionaler Abschied. „Ich sehe die Tour mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Aber nach fünf Jahren voller musikalischer Begegnungen freue ich mich darauf, was die Zukunft bringt.“ Was auch immer das sein wird.

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