Essen. Die Inhaber Ralf und Henriette Noreikat ziehen sich aus Altersgründen aus dem Jeans-Laden zurück. Einen Nachfolger haben sie nicht.

Marion Winants steht vor dem Schaufenster des US-Verkaufs in der Kreuzeskirchstraße in Essen. Seit einigen Wochen kleben dort Schilder und verkünden die Geschäftsaufgabe. Der Räumungsverkauf läuft. Die Essenerin erinnert sich noch an den Tag, als sie ihre erste Wrangler-Jeans im US-Verkauf in den Händen hielt. Das war im Jahr 1977 und sie 17 Jahre alt. Es musste „natürlich (!) eine Wrangler sein“, auf keinen Fall eine Levis. Denn mit der Marke unterschied man sich. Ihre Eltern seien nicht begeistert gewesen, dass sie eine solche Hose tragen wollte, die noch dazu teuer war. „Ich musste darum kämpfen.“  

Schon zu seiner Gründung Mitte der 1950er Jahre war die Exklusivität das Aushängeschild des US-Verkaufs gewesen. Die damalige Inhaber-Familie importierte Kleidung direkt aus den USA nach Essen. Der Siegeszug der Bluejeans begann damals gerade erst, und in so gut wie allen Elternhäusern liefen Debatten mit klaren Ansagen: „So läufst du uns nicht herum!“

Während Marion Winants‘ Jugend, Ende der 1970er Jahre, war die Kulturschlacht um den Kleidungsstil aber vielfach schon geschlagen und der US-Verkauf längst Kult. So gut wie jeder Jugendliche in Essen kannte den Laden in der nördlichen Innenstadt, der aber auch Kunden aus der ganzen Region hatte. „Die Sachen, die es dort gab, gab es nur dort“, sagt Marion Winants. Wer cool sein wollte, trug eine der erwähnten US-Marken, mit einer „Jingler“ etwa, der Eigenmarke von C&A, war auf dem Schulhof und in der Rock-Disco damals nichts zu gewinnen - außer Spott.

Wie ihr Bruder, so besaß auch Marion Winants nicht nur Wrangler-Jeans, sondern auch einen Parka aus dem Geschäft. Er hatte sich einen „AC DC“-Schriftzug auf die Militärjacke gebügelt, sie ein Bild von Bernd Clüver („Der kleine Prinz“) aus der „Bravo“. Von ihrem Bruder habe sie damals nur ein verständnisloses Kopfschütteln geerntet. Der softe Clüver und der provokante Parka, das passte eigentlich nicht zusammen. Egal: „Alle, die alternativer sein wollten, kauften beim US-Verkauf.“  

US-Verkauf zieht Kunden aus der Region nach Essen

Bis heute ist der US-Verkauf über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und zieht ein Stammpublikum an. Es gibt Wrangler und Levis, Parkas oder auch die schon früher beliebten Militärtaschen. Doch die Tage des Traditionsladens, der seit 70 Jahren existiert, sind gezählt. Die Inhaber Henriette und Ralf Noreikat werden ihr Geschäft Ende des Jahres schließen. Aus Altersgründen. Beide werden demnächst 70 Jahre alt. Einen Nachfolger gibt es nicht.

Die Inhaber Ralf und Henriette Noreikat stehen in der oberen Etage des „US-Verkaufs“ in der Kreuzeskirchstraße in Essen. Sie schließen demnächst ihren Laden und damit verschwindet ein weiteres inhabergeführtes Geschäft in der City.
Die Inhaber Ralf und Henriette Noreikat stehen in der oberen Etage des „US-Verkaufs“ in der Kreuzeskirchstraße in Essen. Sie schließen demnächst ihren Laden und damit verschwindet ein weiteres inhabergeführtes Geschäft in der City. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Altenessener führen den US-Verkauf seit 37 Jahren. Ralf Noreikat, der als Handelsvertreter für Jeans gearbeitet hatte, kannte den Laden schon einige Jahre zuvor. 1987 kaufte er ihn aus dem Konkurs heraus. „Das Risiko war nicht klein“, sagt Noreikat rückblickend. Die Chancen aber auch nicht. Er tauschte das Personal aus und was wohl mit entscheidend war: Er wusste aus seiner Zeit als Vertreter, was sich gut verkaufte. Die klassische Levis 501 zum Beispiel sei ein Selbstläufer gewesen.

Erfolgsrezept nach Übernahme in Essen: richtige Auswahl, gute Beratung

Schon nach kurzer Zeit schnellten die Umsätze in die Höhe. Das Geschäft brummte wieder. Offenbar schätzten die Kunden vor allem die große Auswahl – in Spitzenzeiten gab es bis zu 4000 Jeans im Laden. Aber wohl auch die gute Beratung. Bis heute ist es so: „Wenn ein Kunde zur Tür hereinkommt, kennen wir schon Größe und Länge“, lacht Noreikat. Ohne kompetente Hilfe kann ein Jeans-Kauf zu einer anstrengenden Sache werden.  

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In Spitzenzeiten verkauften die Noreikats 16.000 bis 17.000 Jeans im Jahr, besaßen zwischenzeitlich neben dem US-Verkauf noch weitere sechs Levis-Läden unter anderem im Centro in Oberhausen. Heute gehört ihnen nur noch der Laden am Weberplatz und Ralf Noreikat erzählt nicht ohne Stolz: „Jeder Faden, jeder Knopf hier ist bezahlt.“ Ein finanzielles Risiko also verbleibt nicht, wenn sie das Geschäft demnächst schließen.

Dort hat sich seit Jahrzehnten im Übrigen fast nichts verändert. Holzfußboden, Holzregale, Holztische. Eiche rustikal. Auch wenn der Laden damit aus der Zeit gefallen zu sein scheint, betont Henriette Noreikat: „Die Kunden wollen das so. Schon, wenn wir etwas leicht verrücken, kommen Fragen, ob wir umgebaut haben.“

Kunden bedauern Aus des US-Verkaufs in Essen

Die Kunden und Kundinnen sind es auch, die den Noreikats den Abschied schwer machen. Viele kommen dieser Tage, erzählen, dass sie den US-Verkauf schon aus Jugendtagen kennen und sie es sehr bedauern, dass er nun schließt. „Das geht nahe“, sagt Ralf Noreikat und kneift dabei die Lippen zusammen.  

Der Schwiegersohn, der seit 28 Jahren mit im Laden arbeitet, möchte ihn nicht weiterführen. Das hatte er ihnen im Frühjahr eröffnet. Gram sind sie ihm nicht. Im Gegenteil. Sie seien froh, dass er dies offen angesprochen habe. Auch die Tochter und der Sohn der Noreikats, die beide im Textilhandel arbeiten, wollen nicht einsteigen.

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Die Eltern können das verstehen. Der Laden schreibt zwar nach wie vor schwarze Zahlen, aber es läuft nicht mehr wie in den Boomjahren, vieles hat sich verändert: das Kaufverhalten der Leute, der wachsende Onlinehandel. Auch das Jeans-Angebot im Handel sei größer geworden. Viele Bekleidungsmarken produzieren heutzutage eigene Jeans.

Besonders im Textileinzelhandel greift die Krise um sich. Bekannte Händler rutschten in die Pleite, manche verschwanden ganz. Und keiner weiß, wie sich der Handel in den nächsten Jahren entwickeln wird.

In dieser Situation scheint es wenig überraschend, dass sich bislang auch keine Kaufinteressenten bei den Noreikats gemeldet haben. Nur ein Syrer sei im Laden gewesen und habe Interesse bekundet, im Geschäft einen Lebensmittelmarkt zu eröffnen. Sie haben ihm den Kontakt zum Vermieter gegeben.

Ganz ins Private wird sich Ralf Noreikat nach Ladenschluss aber nicht zurückziehen. Er wird sich weiter in der Interessengemeinschaft (IG) Altenessen für seinen Stadtteil einsetzen und auch im Einzelhandelsverband Ruhr mitwirken.

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