Essen. Die Geschäftsführerin der ev. Jugend Essen warnt vor schwindenden Ressourcen. Ein mobiles Konzept soll den Wegfall einer Einrichtung kompensieren.
Wenn sich nichts ändere, warnt Fatima Dia, dann werde die offene Kinder- und Jugendarbeit in Essen eines Tages so aussehen: Jemand macht die Tür auf, lässt die Jugendlichen rein, macht später die Tür wieder zu. Das war‘s. Sofern man dann überhaupt noch Gebäude, und damit Türen, habe.
Im September hatte die Geschäftsführerin des Jugendverbandes „Evangelische Jugend Essen“ (EJE) im Jugendhilfeausschuss im Namen des Arbeitskreises Jugend Essen (AKJ) über die prekären Bedingungen in ihrem Arbeitsbereich gesprochen. Anlass war die Schließung des Kinder- und Jugendzentrums „Zwingli“ im Nordviertel. Schon einige Wochen zuvor hatte mit dem Arbeiter-Samariter-Bund ein weiterer Träger angekündigt, einen Standort der Kinder- und Jugendarbeit aufzugeben: das Haus an der Harkortstraße in Holsterhausen.
Geschäftsführerin mahnt: zu wenige Räume für Essener Kinder und Jugendliche
Damit werde das ohnehin schon zu knappe Angebot weiter ausgedünnt: „Kinder und Jugendliche haben in Essen nicht genug Räume, die sie für sich erschließen können“, sagt Fatima Dia. Räume, an denen sie ohne Eltern frei ihren Nachmittag gestalten dürfen, Hilfe bekommen, wenn sie das möchten, oder einfach ihre Ruhe haben könnten. „Räume zur Selbstverwirklichung und zur Entwicklung.“
Die offene Kinder- und Jugendarbeit versteht sich (im Gegensatz zur aufsuchenden Arbeit) als Einladung an unterschiedliche Altersgruppen. Indem man sie begleite und ihnen Angebote mache, die an ihre Lebenswirklichkeit anknüpfen, leiste man auch Präventionsarbeit, sagt Dia. Auf dem Programm stehen etwa außerschulische Bildung, Projektarbeit oder auch einfach gemeinsames Essen. „Denn viele Kinder stehen hungrig bei uns vor der Tür.“ Kinderarmut sei speziell im Essener Norden ein großes Thema.
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Warum die Finanzierung dieser Arbeit seit jeher schwierig ist? „Weil es keinen Rechtsanspruch darauf gibt“, sagt Fatima Dia. „Bei einem Kita-Platz beispielsweise ist das anders: Darauf haben Eltern einen rechtlichen Anspruch, sobald das Kind drei Jahre alt ist.“ Eine Kommune müsse zwar für Angebote im Bereich offener Kinder- und Jugendarbeit sorgen, das lege das Kinder- und Jugendhilfegesetz im Sozialgesetzbuch fest, doch den Umfang bestimme jede Kommune selbst, und damit auch, wie viel Geld aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt wird. So sei die „generelle Unterversorgung“ in Essen zu erklären. „Es hängt von der Stärke der jeweiligen Jugendverbände und vom Willen der Politiker ab, wie gut die Kinder- und Jugendarbeit gefördert wird“, sagt Dia.
Angebote für junge Menschen von 6 bis 27
Die Angebote der offenen Kinder- und Jugendhilfe richten sich an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 6 bis 27 Jahren. Veranstaltungen werden zielgruppenspezifisch geplant, die Öffnungszeiten nach Altersgruppen gestaffelt.
Finanziert wird die Arbeit durch einen Grundbetrag, der regelmäßig fließt, sowie Projektmittel, die von den Jugendverbänden beantragt werden können. Dabei gibt es unterschiedliche Töpfe von Stadt und Land.
Die Finanzierung sei, grob zusammengefasst, wie folgt geregelt: Es werde ein fester jährlicher Grundbetrag bereitgestellt, darüber hinaus sei die Beantragung von Projektmitteln möglich. In Essen sei besagter Grundbetrag allerdings seit 2009 nicht mehr ausreichend erhöht worden, während die Kosten drastisch gestiegen seien: für Mieten, für Energie, für Personal, für Lebensmittel. Die notwendigen Ausgaben hätten sich kontinuierlich erhöht, was vielen Trägern in der Kinder- und Jugendarbeit zu schaffen mache. Vor allem kleine Jugendverbände würden zunehmend in Bedrängnis geraten. „Die offene Kinder- und Jugendarbeit in Essen ist seit Jahren drastisch unterfinanziert“, so Dia.
Zudem herrsche auch hier ein Fachkräftemangel. Qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien eben nur schwer für eine Stelle zu begeistern, die aus Projektgeldern finanziert werde und demnach etwa auf ein Jahr befristet sei.
Jugendverbände: Bedarf an Angeboten für Kinder und Jugendliche in Essen seit Corona gestiegen
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Dabei sei der Bedarf an Angeboten in diesem Bereich deutlich gestiegen, Stichwort: Corona. „Vielen Kindern und Jugendlichen fehlen durch diese Zeit wichtige Erfahrungen.“ Im gesamten Essener Stadtgebiet, und speziell im Norden, müsse die Kinder- und Jugendarbeit viel präsenter sein. Gerade dort, wo viele Menschen leben, die Transferleistungen erhalten, und „wenig Möglichkeiten haben, sich Freizeitangebote einzukaufen“.
Es komme vor, dass sie an ihren Einrichtungen den Einlass für eine Weile stoppen müssten, und die Besuchszeiten begrenzen, weil die Nachfrage zu groß und der Platz zu eng bemessen sei. „Wir überlegen uns für solche Fälle rotierende Systeme, damit jeder drankommen kann.“
„Viele Kinder stehen hungrig bei uns vor der Tür.“
Was die Schließung des Zwingli angeht, sei ein neues mobiles Konzept im Gespräch: „Wir haben sofort die Maschinerie angeschmissen, um zu gucken, wie wir trotz der geringen Mittel wenigstens ansatzweise den Bedarf decken können.“ Das mobile Angebot solle an die Einrichtung im Ostviertel („Spasshaus Komplex“) angedockt werden und regelmäßig zwei bis drei Punkte im Nordviertel ansteuern. Dafür müssten auch Kooperationen aufgebaut, und Projekte, die ohnehin bestehen, angeschlossen werden. Zudem müsse man Ehrenamtliche einbinden. „Das ist ein Pilot, das haben wir so auch noch nicht gemacht.“
Mobile Arbeit bedeute zwar nicht, dass man nun ständig „draußen im Regen“ stehe, doch natürlich wären allen Jugendverbänden geeignete Räumlichkeiten lieber. Die aber seien eben weder vorhanden noch finanzierbar. Auch die Bestandsgebäude seien oft alles andere als optimal: Da gebe es Probleme mit dem Heizen in zugigen, schlecht isolierten Ladenlokalen, woanders fehlten Toiletten und insgesamt seien die Räume oft in miserablem Zustand, zählt Fatima Dia auf. „Wir beheben, was brandschutzmäßig erforderlich ist.“ Für alles Weitere fehle meist das Geld. „Dabei möchten es die Jugendlichen verständlicherweise auch ein bisschen nett bei uns haben.“
Fatima Dia befürchtet, dass einmal kaputt gesparte Strukturen sich möglicherweise nicht mehr wiederherstellen lassen werden und appelliert an die Politik, das Thema nicht zu missachten: „Was wir an Ressourcen verlieren, werden wir nicht zurückbekommen. Es ist ein schweigendes Sterben.“
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