Essen. Ein „Masterplan“ soll Antworten auf die Frage geben, was aus dem alten Güterbahnhof Rüttenscheid werden könnte. Doch die fallen bescheiden aus.
Der Messeparkplatz P2 ist schon auf den ersten Blick ein Widerspruch in sich: eine riesige Brachfläche mitten in Essen-Rüttenscheid, wo Wohnungen bekanntlich begehrt und oft teuer sind, und die dicht bebauten Quartiere etwas mehr Grün gut vertragen könnten. Ausgerechnet dort „leistet“ sich die Stadt Essen so etwas.
Manche können dem etwas abgewinnen. Fahrschüler drehen dort abseits der Straßen ihre ersten Runden, ferngesteuerte Modellautos jagen über die im Sommer staubige Schotterwüste, im Herbst steigen Drachen gen Himmel, und in der Corona-Zeit war dies ein dankbar angenommener Ort für Freiluft-Sport aller Art, was gelegentlich immer noch zu beobachten ist. Mitten in der Stadt bietet der P2 also reichlich Freiraum.
Manche schätzen den Freiraum, den die Fläche mitten in Rüttenscheid bietet
Wo gibt es so was schon? Eben dort, wo eine Stadt ihre industrielle Vergangenheit schon eine ganze Weile weitgehend hinter sich gelassen hat wie Essen. Von 1872 bis Mitte der 1960er Jahre war hier der riesige Güterbahnhof Rüttenscheid, die letzten Gleise wurden in den späten 1990ern demontiert. Auf einer der ehemaligen Gleistrassen verläuft heute der Grugaradweg.
Wie unwirtlich der Messeparkplatz aber sein kann, erlebten Ende Juni Zehntausende, als sie gegen die AfD demonstrierten, die ihren Bundesparteitag in der nahen Grugahalle abhielt, und sie zur Abschlusskundgebung auf dem P2 zusammenkamen. Die Sonne heizte den an Schatten armen Platz auf, sodass Besucher sich fühlten wie in einem vorgewärmten Backofen. Nicht wenige suchten deshalb vorzeitig das Weite, und so mancher dürfte sich gefragt haben, ob sich aus diesem Ort nicht etwas machen ließe.
Der Messeparkplatz in Essen-Rüttenscheid im Video
CDU und Grüne haben diese Frage sinngemäß in einem gemeinsamen Antrag an den Rat der Stadt formuliert. Die Antwort der Stadtverwaltung liegt nun vor, in Form eines Masterplans. Um es vorweg zunehmen: Sie fällt bescheiden aus. Oder wie es der Rüttenscheider Ratsherr Rolf Fliß (Grüne) formuliert: „Das ist viel heiße Luft.“
Die Naturschutzverbände BUND und Nabu vermissen im Masterplan Chancen und Potenziale
Masterplan, das klingt nach großem Wurf und langem Atem. Einen langen Atem werde alle brauchen, die darauf gesetzt haben, dass sich auf dem Messeparkplatz etwas zum Besseren wendet, wie zum Beispiel Essens Naturschutzverbände Nabu und BUND. Was die Stadtverwaltung Masterplan für den ehemaligen Güterbahnhof nennt, sei nicht viel mehr als eine Bestandsaufnahme, kritisieren beide.
Es gebe weder Antworten auf die massiven Verkehrsprobleme noch auf die klimatische Aufheizung des Stadtteils, weder Chancen noch Potenziale der Fläche würden erkannt oder benannt. Verwundern kann das nicht, denn der Masterplan hält an einer Prämisse fest: Der Messeparkplatz sei für die Messe Essen unverzichtbar.
Die städtische Messegesellschaft ist seit 2012 im Besitz eines Großteils des ehemaligen Güterbahnhofs, die Fläche hatte die Messe von der Hopf Immobilien-Entwicklungsgesellschaft erworben. Diese hatte das Bahngelände 1998 gekauft, nachdem die Stadt Essen auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet hatte.
Der Messeparkplatz P10 am Flughafen scheidet als Alternative aus, betont die Messe Essen
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An durchschnittlich mehr als 300 Tagen im Jahr nutze die Messe das Gelände als Parkplatz- und Logistikfläche, schreibt die Stadtverwaltung in einer Stellungnahme und erweckt damit ein nicht ganz korrektes Bild. Denn eine Vollausnutzung der Fläche gibt es nur an deutlich weniger Tagen. Vor allem bei den großen Publikumsmessen wie der Motorshow garantieren 1300 Stellplätze, davon ca. 220 für Lkw, sowie Rangierflächen und Wendeschleifen aber tatsächlich den funktionsfähigen Ablauf des Messebetriebs. Und daran darf sich aus Sicht der Messegesellschaft auch nichts ändern.
Der Messeparkplatz P10, an der Lilienthalstraße unweit des Flughafens gelegen, den BUND und Nabu als mögliche Alternative zum P2 ins Spiel bringen, scheide aus, betont die Messe auf Anfrage. Denn der Bebauungsplan lasse dort Lkw nicht zu, außerdem sei der Parkplatz zu weit entfernt vom Messegelände und der Weg dorthin über die A52 zu stauanfällig. Die Stadt plant auf dem P10 zudem einen riesigen Solarpark.
Gedankenspiele über eine Gestaltung des ehemaligen Güterbahnhofs schränkt dies zwangsläufig ein. Eine „temporäre Nutzung durch modulare Begrünung“ wäre denkbar, heißt es. Mancher mag sich an „mobiles Grün“ erinnern, an Bäumchen in Ölfässer gleichen Metallkübeln, die vor Jahren in der Innenstadt postiert wurden, und sich fragen, wo die rollbaren Kübel eigentlich geblieben sind. Vorstellbar wären auf dem Messeparkplatz auch mobile Elemente wie ein Skaterpark oder Spielgeräte, heißt es weiter. Nur müsste sie jemand rechtzeitig abräumen, wenn die Messe die Fläche für ihre Zwecke benötigt. Deren Nutzung müsse „maximal flexibel“ sein.
Einen Deckel über das tiefer liegende Gelände zu legen, ist nur eine theoretische Option
Platz ist also nicht einmal für ein paar Bäume, die dort Wurzeln schlagen könnten. Und auch nicht für „Quartiers-Parkhäuser“, die Nabu und BUND dort gerne sähen.
So liefert der Masterplan wenig Neues und noch weniger Überraschendes, was die Frage aufwirft, ob der Aufwand wirklich nötig war. Rolf Krane hat das Papier gleichwohl mit „moderater Begeisterung“ zur Kenntnis genommen, wie der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Rüttenscheid (IGR) sagt. Denn vieles sei geprüft und bestätigt worden, etwa die Rampe hinauf zur Wittekindstraße wie auch Bäume, die am Rande des Areals als Ersatz gepflanzt werden sollen für das Bauprojekt der Hopf-Gruppe an der Rüttenscheider Brücke. Einige Stellplätze wird dieses Projekt übrigens kosten, sollte es denn realisiert werden. Der Bebauungsplan wird für Anfang November erwartet.
„Wäre ich Bill Gates, würde ich einen Deckel drauflegen“, fügt Krane hinzu. Auch ein solcher wurde geprüft und als „nur theoretisch denkbar“ eingestuft, nicht nur wegen der Millionen, die ein solches Bauwerk wohl kosten würde. Unter Sicherheitsgesichtspunkten wäre ein entsprechendes Tragwerk kaum realisierbar, heißt es. Auch würden unter einer solchen Überdachung „unwirtliche Angsträume“ entstehen.
Ein Deckel kommt somit wohl nur auf den Masterplan. „Das darf nicht alles gewesen sein“, sagt Grünen-Ratsherr Rolf Fliß. Aber das ist nicht mehr als ein Appell.
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