Essen-Altenessen. Der ÖPNV soll barrierfrei sein, doch mobilitätseingeschränkte Menschen erleben das anders: Von aufwendigen Umwegen und respektlosen Ratschlägen.

Die alte Dame ist stolz, will sich partout nicht helfen lassen: „Ich schaff‘ das schon“, sagt sie, und tritt vorsichtig an die Kante. Langsam, den wuchtigen und mit mehreren Einkaufsbeuteln beladenen Rollator vor sich, setzt sie Schritt für Schritt rückwärts die Treppe hinunter. 45 Stufen sind es bis zum Gleis, wo sie ihre U-Bahn Richtung Buerer Straße erreichen will.

Neben der Treppe fährt eigentlich der Aufzug. Und er fährt auch, tatsächlich, doch seine Türen öffnet er nicht. Unten wartet ein Mann mit Fahrrad, daran ein Korb mit einem kleinen Hund, doch auch diese beiden haben heute Pech. Grummelnd nimmt der Mann mit seinem Rad die Rolltreppe. Die Ruhrbahn und die Aufzüge – immer wieder klagen Fahrgäste über Probleme.

Essener nutzt den ÖPNV in seiner Freizeit und stößt regelmäßig auf Probleme

Essen: Mert Çördük beklagt, dass die Aufzüge am Altenessener Bahnhof ständig defekt sind
Der Aufzug fährt bis ganz hinunter zum U-Bahnsteig. Doch er sei immer wieder defekt, sagt Mert Çördük. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

In diesem Fall ist die Beschwerde eines jungen Mannes Anlass für den Besuch am Bahnhof Altenessen: Mert Çördük, 28, Rollstuhlfahrer, ist auf funktionierende Aufzüge angewiesen, wenn er die Essener U-Bahnen nutzen will. Gerade an seinem Heimatbahnhof Altenessen aber seien die Aufzüge regelmäßig defekt, sagt er. Telefonisch sei er bisher nicht weitergekommen: Eine Bandansage habe ihm mitgeteilt, dass alle Mitarbeiter im Gespräch seien und er es zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen solle. Nach dem vierten Mal habe er es aufgegeben.

Wer am Altenessener Bahnhof unterwegs ist, hat neben zahlreichen Treppen und Rolltreppen zwei Möglichkeiten, per Aufzug die Gleisebene zu erreichen: Auf der einen Straßenseite direkt vor dem Rewe-Markt fährt ein Aufzug bis ganz hinunter, auf der anderen Straßenseite, etwa 100 Meter entfernt, gibt es einen weiteren. Der aber fährt nur auf die Zwischenebene. Von dort muss man wiederum zum nächsten Aufzug laufen, der dann bis zu den Gleisen hinunterfährt. Nur eben heute nicht.

Bei der Ruhrbahn ist das Problem bekannt: Eine Sprecherin teilt auf Anfrage mit, dass einer der Aufzüge am Altenessener Bahnhof „sporadisch“ Probleme mache. „Daran arbeiten wir und sind aktuell auf Fehlersuche.“ Wie oft die Aufzüge dort im vergangenen Jahr ausgefallen sind, werde statistisch nicht erfasst.

Für Fahrgäste, die sich nicht auskennen oder nicht mobil sind, ist der Weg zwischen defektem und funktionierendem Aufzug allerdings nicht mal eben zurückzulegen. Die alte Dame mit dem Rollator war bereits eine Weile suchend auf der Zwischenebene hin- und hergelaufen, bis sie sich notgedrungen an die Treppenstufen wagte.

Website soll über Defekte informieren

Das Personenbeförderungsgesetz schreibt vor, dass seit 2022 alle Haltestellen barrierefrei sein müssen. Das ist bei der Ruhrbahn nicht so. Auf dem Papier ist man, Stand: August 2024, im U-Bahn-Bereich bei 86 Prozent barierrefreier Haltestellen. Bei den Straßenbahn-Steigen sind es 35 Prozent, bei den Bussteigen 30 Prozent.

Was defekte Rolltreppen oder Aufzüge angeht, verweist eine Ruhrbahn-Sprecherin darauf, dass Fahrgäste sowohl über die Webseite (ruhrbahn.de/essen/aktuelles/verkehrsinfo) als auch über die App „ZÄPP“ nachzuschauen könnten, welche Aufzüge und Rolltreppen aktuell nicht funktionieren.
Piktogramme in Grün oder Rot sollen anzeigen, an welchen Stationen mit defekten Aufzügen oder Rolltreppen zu rechnen ist.

Am Tag des zweiten Ortsbesuchs am Altenessener Bahnhof wurden die Aufzüge, die am späten Vormittag definitiv noch defekt waren, kaum zwei Stunden später als funktionierend angezeigt.

Mert Çördük kennt sich hier aus, in seiner Freizeit nutzt der Altenessener regelmäßig den ÖPNV Richtung Altenessen Mitte, Buerer Straße oder zum Hauptbahnhof, um seine Freunde zu treffen und etwas zu unternehmen. Zur Arbeit kann er einen Fahrdienst in Anspruch nehmen, doch in seiner Freizeit möchte er sich ebenfalls in der Stadt bewegen können: „Rollstuhlfahrer haben auch ein Anrecht auf Mobilität. Ich will selbst mobil sein.“ Das aber bedeutet, dass er immer wieder mal eine Station weiterfahren muss, als er eigentlich geplant hat, weil er sonst wegen eines defekten Aufzugs keine Chance hat, die U-Bahn-Station zu verlassen.

Hotline-Mitarbeiter soll Rollstuhlfahrerin falsche Auskünfte gegeben haben

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Ähnliches berichtet auch Redakteurin Dagmar Schwalm, die im Rollstuhl sitzt. Nach einer Abend-Veranstaltung wollte sie vom Berliner Platz zum Hauptbahnhof fahren, um von dort den Zug nach Hause zu nehmen. Morgens habe sie die Ruhrbahn angerufen, um zu erfahren, ob es auf der Strecke defekte Aufzüge gebe. Man habe ihr keine Auskunft geben können und sie an die Hotline „Schlaue Nummer“ des öffentlichen Nahverkehrs NRW verwiesen. Der Mitarbeiter dort habe ihr gesagt, dass momentan alles funktioniere, es sich aber nicht lohne, die Strecke mit der Bahn zu fahren, weil man umsteigen müsse – was nicht richtig ist: Sie solle laufen, so weit sei das nicht vom Berliner Platz zum Hauptbahnhof (circa ein Kilometer). Auf ihre Entgegnung, dass sie nicht laufen könne und im Rollstuhl sitze, habe er nur gemeint: „Na, dann rollen Sie eben.“

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Das habe sie am Abend dann, unfreiwillig, auch getan, nachdem der Aufzug am Hauptbahnhof ebenso wie an der nächsten Haltestelle, Philharmonie, defekt gewesen sei und sie erst am Rüttenscheider Stern die Gleisebene wieder habe verlassen können. Etwa 2,4 Kilometer sind es von dort bis zurück zum Hauptbahnhof. „Eineinhalb Stunden hat die Aktion gedauert.“ 

Glücklicherweise habe sie ein Auto, das nur gerade in der Werkstatt sei, und eine Assistenz, die sie fahre, denn sie könne wohl kaum einen zweistündigen Zeitpuffer einplanen, wenn sie einen beruflichen Termin irgendwo in Essen wahrnehmen müsse. „Doch es gibt auch Leute, die keine andere Wahl haben.“

Aufzug am Altenessener Bahnhof nach einer Woche noch immer defekt

Das treibt auch Mert Çördük um: „Ich bin jung und weiß mir irgendwie zu helfen, aber was ist mit alten, mit weniger fitten Menschen?“, fragt er. Als laufender Mensch würden einem diese Alltagshürden nicht so auffallen, sagt er. „Wenn meine Freunde mit mir unterwegs sind, merken sie erst, wie schwer das manchmal ist.“

Die Anlagen würden im Zwei-Monats-Rhythmus gewartet, sagt die Ruhrbahn-Sprecherin. Im Schadensfall würden Aufzüge in der Regel noch am selben Tag repariert, „sofern eine Reparatur durch uns zu leisten ist“. 

Also folgt ein erneuter Ortsbesuch, über eine Woche nach dem Gespräch mit Mert Çördük. Die Bestandsaufnahme ist ernüchternd: Noch immer ist der Aufzug auf Bahnhofsseite defekt, zudem ist eine Rolltreppe ausgefallen. Bleibt der Aufzug, der bis ganz hinunter fährt, direkt vor dem Supermarkt. Doch auch der steht heute still.

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