Essen. Ibrahim Allouche und Tarek Saado aus Altenessen haben Menschenleben gerettet. Die Feuerwehr sagt: „Ihr könnt stolz auf euch sein!“
- Bei einer Gewaltserie am Samstagabend (28.9.) soll ein 41-jähriger Syrer zwei Wohnhäuser in Brand gesetzt haben und mit einem Lieferwagen zwei Gemüseläden angegriffen haben (mehr Infos hier).
- Wir haben mit Tarek Saado und Ibrahim Allouche gesprochen, die beide an dem Abend ihr Leben aufs Spiel setzten, um Menschenleben zu retten.
- Aus einem Brandhaus an der Altenessener Straße retteten die beiden jungen Männer ein Kind, ein Baby und mehrere Frauen.
Tarek Saado (22) und Ibrahim Allouche (24) sind „zwei ganz normale Jungs aus Altenessen“. Das sagen sie selbst über sich. Was die beiden am Samstagabend (28.9.) gemacht haben, ist alles andere als selbstverständlich. Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um anderen zu helfen. Wenige Tage ist es her, dass die beiden besten Freunde in einem Geschäfts- und Mehrfamilienhaus an der Altenessener Straße/Ecke Pielsticker Straße Menschenleben retteten.
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In einer dramatischen Rettungsaktion befreiten die beiden durch zwei Fenster im ersten Obergeschoss über zwei Leitern ein Baby, zwei Kleinkinder und mehrere Frauen. „Alleine konnte von denen niemand nach draußen“, sagt Tarek Saado. Wie viele sie genau gerettet haben, daran erinnern sich die beiden nicht mehr. Zu viel Adrenalin. Zu viel Hektik. Zu krasse Bilder. „Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich das Haus hier sehe“, sagt Ibrahim Allouche am Dienstagnachmittag (1.10.).
Gewaltserie im Essener Norden – zwei Retter im Video via Instagram:
Essener Norden wird von einer Gewaltserie mit vier Tatorten in Atem gehalten
Es ist gegen 17 Uhr, als die beiden Altenessener am späten Samstagnachmittag im Auto sitzen, um in ein Fitnessstudio an der Stoppenberger Straße zu fahren. Die jungen Männer sind sportlich, fit, muskulös. Das liegt neben regelmäßigen Besuchen im Sportstudio auch daran, dass sie bei Al-Arz Libanon 08 Fußball spielen und im Tiefbau tätig sind. Zeitgleich zu ihrer Autofahrt am späten Samstagnachmittag wird das Geschäfts- und Mehrfamilienhaus in Brand gesteckt.
Ein 41-Jähriger soll nicht nur dort Feuer gelegt haben. Auch an der Zollvereinstraße loderten Flammen. Auf das Konto des mit Machete und Messer bewaffneten Syrers sollen auch zwei Anschläge auf zwei Gemüseläden mit einem Lieferwagen gegangen sein. Die Gewaltserie mit vier Tatorten hielt am Samstag den Essener Norden in Atem. Die Behörden sprechen mittlerweile von insgesamt 35 Verletzten, gestorben ist zum Glück niemand. Ein zehn Monate alter Säugling und ein zweijähriges Mädchen schwebten zwischenzeitlich in Lebensgefahr.
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Hätten Tarek Saado und Ibrahim Allouche sowie andere Menschen am Samstag nicht so mutig geholfen, würde dem Tatverdächtigen (41) neben schwerer Brandstiftung, gefährliche Körperverletzung möglicherweise nicht nur versuchter Mord, sondern tatächlicher Mord vorgeworfen.
Altenessener sprinten vom Lidl-Parkplatz zum Brandhaus
Als die beiden „Jungs aus Altenessen“ am späten Samstagnachmittag das erste Mal an der Kreuzung Altenessener Straße/Ecke Pielsticker Straße vorbeifahren, fällt ihnen noch nichts Ungewöhnliches auf. Wenige Minuten später fahren sie mit dem Auto in entgegengesetzter Richtung erneut dort vorbei. „Ich hatte mein Handtuch für das Fitnessstudio vergessen“, erzählt Ibrahim Allouche. Und da in Sportstudios wegen der Hygiene nicht ohne trainiert werden darf, wollen die beiden kurz zurück zur Wohnung des 24-Jährigen. Als sie an dem Haus an der Kreuzung Altenessener Straße/Ecke Pielsticker Straße vorbeifahren, ist dort nichts mehr so, wie fünf Minuten zuvor.
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Rauch steigt auf, Menschen winken hinter Fensterscheiben, sie schreien. „Wir haben uns kurz angeschaut und wussten: Wir helfen!“, sagt Tarek Saado. Ihr Auto parken sie am Samstag auf dem Lidl-Parkplatz wenige Meter entfernt. Die Männer sprinten los. Vor dem Haus stehen zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Metallleitern. Die hatten andere Helfer offenbar schon kurz zuvor dort hingestellt. Ibrahim Allouche klettert die Sprossen als erstes hoch. Im ersten Obergeschoss steigt er durch ein geöffnetes Fenster. „Ich bin sofort reingegangen, weil ich ein kleines Kind gesehen habe“, sagt er. Sein Kumpel nimmt die andere Leiter, dort muss erst einmal eine Fensterscheibe eingeschlagen werden, bevor Tarek Saado ins erste Obergeschoss gelangen kann. Der Hammer sei von jemandem von der gegenüberliegenden Straßenseite vorbeigebracht worden. Dann beginnt für beide Freunde in zwei unterschiedlichen Wohnungen der Kampf gegen Flammen, Ruß, die eigene Angst.
Retter aus Altenessen versuchten vergeblich in obere Stockwerke zu gelangen
Ibrahim Allouche habe sich zuerst um ein Kind gekümmert und nach draußen gereicht. „Es ist jemand die Leiter hochgekommen, der hat dann das Kind genommen.“ Auch ein Baby – „klein und süß, ein Mädchen“ – wird gerettet. Allouche sagt, dass es nicht geschrien habe, sondern durch weit aufgerissene Augen völlig still vor sich hinschaute. „Ich habe aber gefühlt, wie das kleine Herz raste“, sagt der 24-Jährige. Er erinnert sich an eine Frau, er schätzt sie auf Mitte 50. „Die Frau wollte nicht runter, hatte Angst. Wir mussten sie die ganze Zeit anflehen, dass sie nach unten geht. Ich habe ihr gesagt, dass unten starke Männer stehen und die Leiter festhalten.“ Nach Minuten, die sich viel länger anfühlen, traut sich die Frau dann doch. Die Wohnung ist endlich leer. Bei der Rettungsaktion hilft den beiden Männern, dass sie Arabisch sprechen. Niemand hätte sie ansonsten verstanden, sind sie sich sicher.
Ibrahim Allouche habe dann versucht, in den Hausflur zu gehen, um in die oberen Stockwerke zu gelangen. Dort ist es nicht auszuhalten; der Rauch, die Hitze. „Ich habe nur kurz die Tür aufgemacht und das kurz eingeatmet, mir ist schwindelig geworden“, sagt der 24.-Jährige. Es sei unmöglich gewesen, sich über die Treppen weiter nach oben durchzukämpfen. Doch dort bangten noch weitere Menschen um ihr Leben... Tarek Saado sagt: „Das war das Schlimmste. Die standen alle an den Fenstern und haben nach Hilfe geschrien. ‚Wir sind kurz vorm Sterben.‘“ Den beiden Altenessener Jungs und den anderen Helfern waren zu dem Zeitpunkt die Hände gebunden. Doch Hilfe war auf dem Weg, die Feuerwehr rückte an.
Nach dem Großeinsatz im Essener Norden teilte die Feuerwehr über den Brand Altenessener Straße/Ecke Pielsticker Straße mit: „Beim Eintreffen der ersten Einsatzkräfte bot sich diesen ein dramatisches Bild. Brandrauch drang aus dem Eingang des Gebäudes, auf der Rückseite standen viele Personen in Rauch gehüllt an den Fenstern, die um Hilfe riefen, und Nachbarn hatten bereits Leitern aufgestellt, um den Menschen einen Fluchtweg aus dem Gebäude zu ermöglichen. Diese waren jedoch nicht lang genug, um an die höhergelegenen Geschosse zu gelangen.“
Altenessener Retter: Zum Glück kam die Feuerwehr
Im Gespräch mit unserer Redaktion berichtete Feuerwehrsprecher Christian Schmücker am Samstagabend von einem falsch geparkten Auto. Eine Drehleiter hätte deswegen zunächst nicht an der richtigen Stelle parken können. Auch daran erinnern sich Tarek Saado und Ibrahim Allouche wenige Tage später. Die Fensterscheibe des Autos sei eingeschlagen worden und die Handbremse dann gelöst worden, um das Fahrzeug wegzurollen. Die beiden jungen Männer wollen mitbekommen, dass dort jemand nicht böswillig geparkt habe, sondern ein Retter – ähnlich wie sie beide – schnell irgendwo parken wollte, um zu helfen.
Tarek Saado: „Wäre die Feuerwehr zwei oder drei Minuten später gekommen – ich glaube, in der zweiten Etage und im Obergeschoss hätte keiner überlebt.“ Die Bilanz der Feuerwehr nach dem Einsatz an dem Haus: Vier verletzte Erwachsene und acht Kinder. Hätten sie wieder so gehandelt? Daran besteht für die beiden Altenessener kein Zweifel. Niemand müsse in solchen gefährlichen Momenten das eigene Leben riskieren. Aber: „Man kann immer irgendwie helfen“, sagt Ibrahim Allouche. Sei es in der Situation am Samstag die Feuerwehr zu rufen, gerettete Menschen in Empfang zu nehmen, Leitern und anderes Gerät herzuschaffen.
Zu ihnen beiden hätte nach den dramatischen Szenen ein Feuerwehrmann gesagt: „Ihr könnt stolz auf euch sein. Ihr habt Menschenleben gerettet.“ Feuerwehrsprecher Christian Schmücker kann sich vorstellen, dass einer seiner Kollegen genau das gesagt hat.
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