Essen-Katernberg. Sprach- und Lernprobleme, auffälliges Verhalten: Immer mehr Schulkinder brauchen Unterstützung. An Essener Grundschulen gibt es deshalb „Kasis“.
Montagmorgen, zweite Stunde, in der Kantschule in Katernberg. Die Kinder der Klasse 3b, der Eulenklasse, lösen heute ein Rätsel: In Zweiergruppen lesen sie eine kurze Geschichte, beantworten Fragen dazu und erhalten am Ende ein Lösungswort. Schnell ist der kleine Klassenraum angefüllt mit murmelnden, kichernden und rufenden Kinderstimmen: „Frau Allamani!“, ertönt es immer wieder – und Frau Allamani eilt hin und her, gibt Hinweise, hilft bei schwierigen Wörtern, motiviert und lobt.
Aglantina Allamani ist Klassenassistentin für schulische Inklusion, kurz „Kasi“, und man könnte sie als „Joker“ im Klassenzimmer bezeichnen. Denn in vielen Situationen verdoppelt sie die Kapazität der jeweiligen Lehrkraft, speziell in Arbeitsphasen wie dieser, wenn immer wieder Fragen auftauchen und einzelne Kinder mehr Hilfe benötigen als andere.
Kantschule in Essen-Katernberg nimmt seit drei Jahren am Kasi-Projekt teil
Seit drei Jahren nimmt die Grundschule am „Kasi-Projekt“ teil. Denn die Situation hier ist nicht anders als an vielen anderen Schulen: Die Zahl der Kinder, die besonders viel Unterstützung brauchen, wächst. Um allen Kindern gleichermaßen gerecht werden zu können, das ist kein Geheimnis, bräuchten Schulen wie die Kantschule wesentlich mehr Personal.
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Das Kasi-Projekt der Stadt Essen soll dazu beitragen: 16 Grundschulen profitieren aktuell von einem oder einer Kasi pro Klasse. Ab dem ersten Schultag sind diese als „Lernbegleiter“ fest in die Abläufe integriert. Nach einer Weile kennen sie ebenso wie die Lehrkräfte die individuellen Stärken und Schwächen der Kinder, wissen, worauf sie achten müssen. Fällt Personal kurzfristig aus, können sie sogar einspringen.
Ihre Aufgaben im Schulalltag: Gemeinsam lesen, zusammen Aufgaben durchgehen, oder auch mal mit einzelnen Kindern den Raum wechseln, wenn sie mehr Ruhe brauchen als in den engen Klassenräumen mit knapp 30 anderen Kindern möglich ist. „Die Kasis arbeiten auf Zuruf, aber auch unabhängig von der Lehrkraft“, erklärt Pamela Krüger. „Sie sind ebenso wie die Lehrkraft eine feste Bezugsperson.“
„Es gibt Kinder hier, die gar kein Deutsch sprechen oder nur sehr wenig, es gibt Kinder, die nie eine Kita besucht haben.“
An der Kantschule habe etwa die Hälfte der 335 Schüler und Schülerinnen Förderbedarf, sagt Schulleiterin Pamela Krüger. Die Klassen seien sehr heterogen: „Es gibt Kinder hier, die gar kein Deutsch sprechen oder nur sehr wenig, es gibt Kinder, die nie eine Kita besucht haben, aber eben auch diejenigen, die gute Voraussetzungen mitbringen“.
Projekt startete mit sechs Modellschulen
Das Kasi-Projekt geht auf einen Ratsbeschluss aus dem Jahr 2017 zurück. Damals wurde entschieden, eine „Poollösung für Integrationsassistenzen“, die später in Klassenassistenzen für schulische Inklusion („Kasi“) umbenannt wurden, zu testen. Das Modellprojekt wurde von mehreren Fachbereichen in Abstimmung mit der Schulaufsicht als „präventiv-infrastrukturelles Angebot“ entwickelt und im Schuljahr 2018/9 mit sechs Modellschulen erstmals umgesetzt. Mittlerweile nehmen in Essen 16 Grundschulen mit insgesamt über 140 Kasis teil.
Finanziert wird das Kasi-Projekt aus der Inklusionspauschale des Landes und städtischen Mitteln. Jeweils für vier Jahre wird im Rahmen des Projektes ein Vertrag mit einem Träger geschlossen. Aktuell sind das Inclusio und der Malteser Hilfsdienst. Die Kasi-Kräfte sind in Voll- oder Teilzeit bei den Trägern angestellt und haben individuelle Verträge, die sich zum Beispiel nach Qualifikation und Erfahrung richten. Die Träger müssen sich im Rahmen des Vergabeverfahrens verpflichten, tarifvertraglich oder gesetzlich vorgegebene Mindestarbeitsbedingungen bzw. Mindestentgelt zu gewähren.
Manche Kinder hätten neben den Sprachschwierigkeiten auch in anderen Bereichen Defizite, mit der Motorik beispielsweise oder der Konzentration. Dennoch seien die Probleme in vielen Fällen nicht gravierend genug für die Unterstützung durch eine Individualassistenz, also eine Person, die ausschließlich für ein Kind zuständig ist. Eine solche nämlich können Eltern auf Basis sogenannter Eingliederungshilfen beantragen, wenn ihr Kind zum Beispiel eine körperliche oder geistige Behinderung hat oder bestimmte Verhaltensauffälligkeiten zeigt und allein keine Regelschule besuchen könnte. „Wenn wir den Bedarf sehen, versuchen wir bei der Beantragung zu begleiten“, sagt die Schulleiterin. „Würden wir das nicht tun, würde es bei einigen gar nicht funktionieren, obwohl sie einen rechtlichen Anspruch haben.“
Essener Kasis sollen alle Kinder in den teilnehmenden Grundschulklassen unterstützen
Zurück zur Eulenklasse: Dort kommen Nala und Miral mit ihrer Aufgabe ganz gut zurecht. Ein kleiner Hinweis von Eglantina Allamani genügt, und die beiden Achtjährigen sind der Lösung des Rätsels einen Schritt näher. Ein bisschen mehr Hilfe bekommt an diesem Tag der achtjährige Arest. Eigentlich besuchen 26 Kinder die Klasse, doch heute fehlt eines, weshalb Arest ohne Lesepartner geblieben ist. Doch Frau Allamani springt ein.
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Die Kasis seien zwar für Kinder mit Förderbedarf da, aber eben nicht ausschließlich: „Alle können von ihnen unterstützt werden“, sagt Ariane Schams-Akbari. Sie leitet das Bildungsbüro im Fachbereich Schule der Stadt Essen und bezeichnet die Kasis als „Herzensprojekt“ der Stadt. Es gebe zahlreiche positive Rückmeldungen von Eltern, Schulleitungen und Lehrkräften. Auch eine wissenschaftliche Evaluation zeige die positiven Effekte des Projektes. Die Kasis seien zwar in der Regel keine ausgebildeten Fachkräfte, brächten aber „pädagogische Affinität“ mit. „Sie werden intensiv geschult und für ihre Aufgabe qualifiziert.“
Rat der Stadt Essen entscheidet im nächsten Jahr über Weiterführung des Kasi-Projektes
Zuletzt war in den Reihen der Kasis allerdings Verunsicherung aufgekommen, weil ihre Verträge befristet sind. Das Ganze sei als Projekt konzipiert, erklärt Ariane Schams-Akbari: „Da ist Überzeugungsarbeit auf allen Ebenen nötig, das ist eben der Weg, den man gehen muss.“ Deshalb müsse man sich im nächsten Jahr erneut ein „Go“ aus dem Rat holen, um dann in eine neue „Verstetigungsphase“, vermutlich wiederum für vier Jahre, gehen zu können.
Für das Schuljahr 2025/26 sei die Kasi-Unterstützung noch gesichert, für die Phase danach müsse, soweit der Rat zustimme, neu ausgeschrieben werden. Sie aber sei zuversichtlich, dass die Arbeit mit den Kasis weitergehe: „Alle Argumente sprechen dafür.“
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